Ein Gutachten setzt neue Maßstäbe: Beim umstrittenen Projekt an der Paketposthalle hat sich eine Mehrheit von befragten Münchnerinnen und Münchnern für den Bau von zwei Hochhäusern mit einer Höhe von 155 Metern ausgesprochen. Auch gab es die Anregung, über ein drittes Hochhaus nachzudenken, falls dafür mehr Freiflächen und möglichst viel bezahlbarer Wohnraum entstünden. Diese Ergebnisse aus dem "Bürger*innen-Gutachten" zum Projekt Paketposthalle hat die Stadt am Freitag veröffentlicht.
Münchens zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) sprach von einem "tollen Ergebnis". Der weitere Planungsprozess der Stadt werde "wesentlich auf den Empfehlungen aus dem Gutachten aufsetzen". Von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der wegen seiner Corona-Infektion die Teilnahme an der Pressekonferenz absagen musste, hieß es: "Hier haben Münchnerinnen und Münchner kreativ und mit großem Engagement ihre eigene Stadt mitgeplant." Er freue sich, "dass sie sich auch mehrheitlich offen gezeigt haben, für eine Architektur, die innovativ ist und mehr Höhe wagt".
Investor Ralf Büschl, Beiratsvorsitzender der Büschl-Unternehmensgruppe aus Grünwald, versprach im Anschluss in einer Mitteilung, man werde "die wertvollen Impulse in unsere Planung übernehmen". Zugleich sieht er in dem Gutachten "eine deutliche Absage an das laute Geschrei der wenigen Gegner" seines Bauprojekts . Der damit angesprochene Robert Brannekämper, CSU-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Vereins "Hochhausstopp", nannte das Gutachten-Verfahren eine "Farce", es könne "demokratisch legitimierte Instrumente wie einen Bürgerentscheid nicht ersetzen".
Die Halle ist für die Öffentlichkeit bislang unzugänglich
Die Stadt hatte das Gutachten im vergangenen Jahr in Absprache mit dem Investor initiiert, um ein Bild zu gewinnen, welche Erwartungen die Münchnerinnen und Münchner an das Bauprojekt auf dem 8,7 Hektar großen Grundstück um die denkmalgeschützte Paketposthalle haben. Es liegt zwischen der S-Bahn-Station Hirschgarten und der Arnulfstraße. Bisher geplant sind 1100 Wohnungen und 3000 Arbeitsplätze, zudem soll die bisher für die Öffentlichkeit unzugängliche Halle, die noch von der Post genutzt wird, zu einem Zentrum für Kultur und Sport werden. Der Plan sieht neben den zwei Türmen den Neubau von insgesamt sechs sechsgeschossigen Komplexen vor, in denen vor allem die Wohnungen unterkommen soll. Die geplanten Zwillings-Hochhäuser, die Münchens höchste Gebäude würden, waren beim Landesamt für Denkmalpflege auf Ablehnung gestoßen, weil sie der Wirkung von Schloss Nymphenburg schaden würden.
Die 112 zufällig ausgewählten Münchnerinnen und Münchner, die das von einem unabhängigen Institut durchgeführte Gutachten in einem mehrtägigen Prozess erstellten, teilen diese Bedenken mehrheitlich nicht. Ein Teil plädiert allerdings dafür, für die Gestaltung der Hochhäuser einen Architekten-Wettbewerb zu veranstalten. Ein Sprecher Büschls sagte: "Wir sind bei jedem Fassaden-Wettbewerb dabei." Die Planung der Hochhäuser müsse aber bei Herzog/de Meuron bleiben, das sei auch mit der Stadt so vereinbart worden.
Die Befragten äußern auch Kritik an Stadt und Investor: Büschl hatte mit der grundlegenden Planung direkt das Architekturbüro Herzog/de Meuron beauftragt, die Stadt machte deren "Masterplan" zur Grundlage für den Start ins Genehmigungsverfahren, ohne einen städtebaulichen Wettbewerb einzufordern. Ein solcher wäre laut Gutachten "das geeignete Instrument gewesen". Ob das Konzept von Herzog/de Meuron "die bestmögliche Variante für die Bebauung des Areals" darstellt, darüber waren sich die Teilnehmenden uneinig. Dennoch plädiert eine Mehrheit dafür, damit weiterzuarbeiten. Wenn die Empfehlungen aus dem Gutachten befolgt würden, sehe man "einen großen öffentlichen Nutzen" durch das Bauprojekt.
Besonderen Wert legt das Gutachten auf eine nachhaltige Bauweise und darauf, mehr Grün- und Freiflächen einzuplanen, dafür würde man auch eine höhere Bebauung in Kauf nehmen. Für die Paketposthalle wird ein Konzept verlangt, in dem geregelt ist, "wer das Risiko des Betriebs der Halle trägt".
Die Empfehlungen werden in einem "relativ einfachen" Beschluss für den Stadtrat zusammengefasst
Stadtbaurätin Elisabeth Merk erklärte, wie es nun weitergeht: Ende März werde sie einen "relativ einfachen" Beschluss in den Stadtrat einbringen, der die Empfehlungen zusammenfasst. "Dann werden wir uns mit der Frage auseinandersetzen, was für Änderungen an der Planung nötig sind und wie man sie umsetzt." Sie sprach von "einem großen Hausaufgabenbuch". Im Oktober wolle sie dem Stadtrat einen Beschluss mit konkreten Aussagen vorlegen. Im Bebauungsplanverfahren, mit dem der Stadtrat Baurecht neu schafft, steht als nächstes der Billigungsbeschluss an, eine Art Vorentscheidung dazu, wie das Projekt am Ende aussehen wird. Dieser sei derzeit für Mitte 2023 geplant, sagte Merk.
Allerdings gibt es eine Unwägbarkeit, nämlich ob es zum von CSU-Politiker Brannekämper angekündigten Bürgerentscheid kommt. Er und seine Mitstreiter sehen sich in der Tradition der Initiatoren des Entscheids von 2004, bei dem eine knappe Mehrheit sich dagegen aussprach, Hochhäuser von mehr als 100 Metern zuzulassen. Der Entscheid war nur für ein Jahr bindend. Es ist aber seither kein höheres Gebäude genehmigt worden. Der Verein "Hochhausstopp" fordert, die Stadt solle "wieder eine demokratisch legitimierte Entscheidung der Bürgerschaft herbeiführen".
Ein solches vom Stadtrat initiiertes Ratsbegehren befürworte ihre Partei zwar, wie Bürgermeisterin Habenschaden bekräftigte, weil es in einer grundsätzlichen Frage Planungssicherheit schaffe. Allerdings würde sie die Frage nicht mehr ganz so eng mit dem Projekt an der Paketposthalle verknüpfen. Zudem gebe es keine Mehrheit für ein Ratsbegehren. SPD/Volt und CSU lehnen das ab.
So oder so werde man einen Bürgerentscheid einleiten, kündigte Brannekämper an. Man habe bereits Texte für die Entscheidung vorbereitet. "Ich gehe davon aus, dass wir im März anfangen, die nötigen Unterschriften zu sammeln. Wir brauchen ungefähr 50 000 Unterschriften, das wird viel Arbeit."