Süddeutsche Zeitung

Bestellen im Internet:Wenn der Paketmann dauernd klingelt

In München nimmt der Lieferverkehr stetig zu - die großen Paketdienste sprechen von zweistelligen Wachstumsraten im vergangenen Jahr. Wie Stadt und Anbieter mit umweltschonenden Fahrzeugen und Konzepten die damit verbundenen Probleme lösen wollen.

Von Andreas Schubert

Seit Beginn der Corona-Pandemie gehören Lieferwagen und Paketboten mehr zum Stadtbild denn je. Nach Schätzungen des weltweit tätigen Postdienstleisters Pitney Bowes hat sich das Paketvolumen 2020 in Deutschland zwischen neun und 14 Prozent erhöht. Um bei ständig wachsenden Lieferverkehren die Umweltbelastung in Grenzen zu halten, setzen die Dienstleister vermehrt auf elektrische Antriebe. Auch die Stadt München versucht, die Zahl der Lieferungen mit Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu begrenzen.

Der Anteil des Lieferverkehrs am Gesamtverkehr ist in München noch nicht untersucht worden. Die Stadt hat es aber vor und will Fördermittel beantragen, um eine entsprechende Studie zu finanzieren. Vom steigenden Paketvolumen lässt sich jedoch ableiten, dass auch der Lieferverkehr entsprechend zugenommen haben muss. Beim Marktführer DHL und beim Paketdienst DPD zum Beispiel sind vergangenes Jahr nach eigenen Angaben die Paketmengen im Raum München um 15 respektive um 16 Prozent im Vergleich zu 2019 gestiegen. Konkurrent Hermes spricht für die Zeit während des ersten Lockdowns vor einem Jahr sogar von einer Steigerung um 40 Prozent im Stadtgebiet - inzwischen sei die Zahl der Zustellungen aber wieder etwas zurückgegangen.

Doch je mehr Lieferwagen, die meistens mit Dieselmotoren betrieben werden, unterwegs sind, desto höher steigt auch die Abgasbelastung in den Stadtvierteln. Zum Thema Klimaschutz geben die Wettbewerber indes unterschiedlich ausführliche Antworten. Die DHL erklärt, man sei bereits heute mit rund 100 E-Fahrzeugen umweltfreundlich unterwegs. Briefe und kleinformatige Pakete würden mit Fahrrädern, E-Bikes und E-Trikes ausgeliefert.

Hermes will bis zum Jahr 2025 in den Innenstadtbereichen der 80 größten deutschen Städte emissionsfrei zustellen. Derzeit rüstet das Unternehmen die Flotte sukzessive auf Elektrofahrzeuge um und baut eine Ladeinfrastruktur auf. Im Großraum München sind aktuell allerdings erst zwölf E-Fahrzeuge im Einsatz, acht im Logistikzentrum in Graben im Landkreis Augsburg und vier am Verteilzentrum München Nord. Hier sollen in den nächsten Tagen noch acht weitere E-Sprinter dazukommen. Auch eine vermehrte Lieferung per Lastenrad treibt Hermes derzeit voran.

DPD erklärt lediglich, man führe derzeit mit verschiedenen Unternehmen und öffentlichen Institutionen in München Gespräche, "um sinnvolle Lösungen im Bereich der nachhaltigen City Logistik zu erarbeiten". Genauere Details könne man bislang noch nicht nennen. Doch auch für DPD spielt das Lastenrad zunehmend eine Rolle - nicht zuletzt auch, um Zusteller zu gewinnen, die keinen Führerschein haben.

UPS hingegen setzt schon seit 2017 in München auf das Lastenrad. Von acht verschiedenen Mikrodepots, die mit Lastwagen beliefert werden, starten die Paketboten mit 24 Lastenrädern in die Stadtviertel. Im Jahr 2019 konnten durch die Maßnahme nach Angaben des Münchner Mobilitätsreferats 108 Tonnen CO₂ eingespart werden, das entspreche etwa dem Mittelwert der jährlichen CO₂-Emissionen von 50 durchschnittlichen Autos.

Bei den Münchnern kommt das Liefern per Lastenrad laut Mobilitätsreferat gut an, vor allem auch, weil die UPS-Lieferanten nicht mit einem Lieferwagen in zweiter Reihe parken müssen. Derzeit führt das Referat Gespräche mit Bezirksausschüssen und anderen Anbietern, um ein stadtweites Gesamtkonzept für die Lastenradlogistik zu entwickeln.

Ein anderer Ansatz, Paketlieferungen in den Wohnvierteln zu reduzieren, wird in der neuen Tiefgarage am Thomas-Wimmer-Ring verfolgt. Hier sind Packstationen eingerichtet, zu denen sich Anwohner ihre Lieferungen zustellen lassen können. Das soll die Innenstadt und das Lehel entlasten.

Auch wenn der Anteil des Lieferverkehrs in München bisher noch nicht erfasst ist, sieht die Stadt Handlungsbedarf. Denn die Logistikunternehmen gehen davon aus, dass das gestiegene Paketvolumen und somit die Zahl der Lieferfahrten auch dauerhaft hoch sein werden. Schon vor Corona war die Zahl der Lieferungen gestiegen, die Lockdowns haben die Entwicklung dann noch beschleunigt. Inzwischen sind in manchen Straßenabschnitten regelmäßig mehrere Fahrzeuge von verschiedenen Paketdiensten gleichzeitig zu sehen, zu jeder Tageszeit. Manchmal stehen auch mehrere Fahrzeuge ein und desselben Anbieters in zweiter Reihe.

Glaubt man dem "Parcel Shipping Index" von Pitney Bowes, bekommt jeder Deutsche im Jahr mehr als 40 Pakete. Doch was ist es, das sich die Leute dauernd liefern lassen? Laut einer Marktanalyse der DPD-Group für 2020 waren etwa Lebensmittel, die vormals im E-Commerce eher ein Nischenprodukt darstellten, so stark nachgefragt wie nie zu vor. Ein Plus verzeichneten zudem auch Anbieter in den Bereichen Hightech, Kosmetik, Heimwerkerbedarf und Sport. Und: Wegen der vorübergehenden Geschäftsschließungen haben laut der DPD-Studie auch ältere Menschen über 55 vermehrt das Bestellen im Internet für sich entdeckt.

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SZ vom 19.04.2021/mmo
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