Süddeutsche Zeitung

Experimente im Nachtleben:P1 eröffnet Ableger in Kitzbühel

Das einstige Wahrzeichen Münchner Exklusivität probiert es in Österreich mit einer Winter-Dependance. Ein Klischee? Natürlich, aber das erzählt so einiges - nicht nur über diesen Club.

Von Philipp Crone

Vielleicht ist es Größenwahn, vielleicht Verzweiflung, vielleicht keins von beidem. Das P1, die uralte Diskothek im Haus der Kunst, wird im Dezember eine Filiale in Kitzbühel eröffnen. Nun kann man sagen: Ein P2 in Kitzbühel im Winter, das ist so, als ob ein Club seinen Gästen hinterherzieht, so etwas kann gar nicht scheitern. Da werden weiterhin gut gebräunte Herren mit dem Siegerlächeln des erfolgsverwöhnten Unternehmers oder zumindest deren Söhne am Tresen sitzen und generös die Champagnerkarte mit der Lesebrille überfliegen, ehe sie der nächsten jungen Dame in Reichweite ein Glas hinstellen. Nur halt früher am Abend, direkt nach der letzten Abfahrt. Ein Klischee? Natürlich, aber Klischees sind eines, wenn nicht das Erfolgsgeheimnis des P1. Dazu kommt das sehr alte Gerücht, der Club müsse bald seine harte Tür ganz schließen. Dieser vielstimmige Abgesang auf ein Wahrzeichen, mit geheuchelter Sorge geäußert, hält das P1 ziemlich stabil im Münchner Bewusstsein.

Was ist nun richtig? Betreiber Franz Rauch sagt selbstverständlich, das es dem Unternehmen gut geht. Er wollte aber schon seit Jahren mal etwas ausprobieren und der bislang einmalige Ausflug mit einer Außenstelle in Garmisch 2010 zur Ski-WM sei ein voller Erfolg gewesen. Allerdings setzt er nun in Kitzbühel lieber auf das Pop-up-Prinzip und schließt im März, wenn die Münchner wieder nach Hause fahren. Klar ist jedenfalls: Selbst ein Ur-Club wie das P1, in dem das exklusive München-Prinzip miterfunden wurde, muss sich offenbar wandeln und anpassen. Wobei es zu Beginn auch wirklich noch einfach war in der Stadt.

Als das P1 vor 35 Jahren aufmachte, war München ein anderer Ort. Es gab erst eine Handvoll Bars und ebensoviele Diskotheken, die damals noch Eastside, Namenlos oder Greyhound hießen. Dann eröffnete ein in der Stadt schon bekannter Gastronom namens Käfer einen kleinen Club an einem besonderen Ort, spielte andere Musik, bot nur Steh- statt Sitzplätzen an, und die Prominenten flogen auf einmal durch die zunächst sehr weiche Tür ein wie die Nachtfalter ins Flutlicht.

Im ehemaligen Offizierscasino der amerikanischen Besatzer am Englischen Garten und im Haus der Kunst etablierte sich abends ein Münchner Mikrokosmos. Stars und ausgeflippte Leute, manchmal flippten auch die Stars aus. Mick Jagger flirtete ganz ohne Champagnerkarte und Tina Turner rekelte sich unter rieselnden Geldscheinen. Ein kleiner Raum, aus diesem Grund auch bald als "Stüberl" bekannt, aus dem man sich bald irre, wunderliche und rasante Geschichten erzählte. Wer alles da war, wer mit wem womöglich was auch immer anstellte.

Der Andrang wuchs und eher zufällig wurde die geschlossene Tür dann zu einem Markenzeichen des P1. Einer der Türsteher schaute derart grimmig, so erinnerte sich Michael Käfer einmal, dass einige davon angestachelt begannen, für den Titel des Stammgasts zu trainieren. Mancher Student opferte jahrelang jeden Abend dem Ziel, irgendwann als sogenannter Siebener geadelt zu werden, also ein Gast, der jeden Abend in der Woche kommt. So jemand konnte vor aller neidischer Augen den grimmigen Türsteherblick erweichen und mit Handschlag eingelassen werden. Als Lohn für monatelanges Anstehen gab es dann eben für die Fünfer bis Siebener die an einem bestimmten Punkt einsetzende allabendliche Bestätigung der eigenen Exklusivität, im P1 konnte man sie genießen.

Das Ausgehen in München hat sich gewandelt - das P1 hält sich

Sich etwas einbilden, nur weil man an einem bestimmten Ort ist, dieses heute eher verbreitete Gefühl in der Stadt, gab es damals auf wenigen Quadratmetern in potenzierter Form. Wieder einmal galt in München: In ist, wer drin ist. Das von Helmut Dietl in "Kir Royal" verdichtete Wettkampf-Motto dieser Stadt, nirgends war es kondensierter zu erleben als an dieser nun immer härteren Tür. Klar aber war dann eigentlich auch, dass dieses Karma mit dem Umzug des Clubs an die Westseite und der Erweiterung auf ballermann-fähige Club-Größe schwinden würde. Wenn zu viele in sind, sind auf einmal alle out. Oliver Kahn war 2002 das wohl letzte Nachtlebenszeichen der großen Ära dieses Sehnsuchtsortes an der Prinzregentenstraße 1. Der Kunstpark lockte, die Sperrzeit war gefallen, das P1 hielt sich, aber die Alternativen setzten ihm zu.

Seitdem es keine harte Tür mehr braucht, gibt es Sommerfeste und Terrassen-Eröffnungen zur Gästeakquise. Mittlerweile leitet die nächste Generation nach Michael Käfer und seinem Partner und jetzigen Inhaber Franz Rauch den Club. Man verschickt Mails, flutet die sozialen Netzwerke. Ein versteckter Miniclub mit mysteriösen oder weltbekannten Partyprofis war früher, heute eröffnet man einen Ableger, im Keller des Chizzo-Restaurants mitten in Kitzbühel.

Vielleicht ist es der allgemeine Ausverkauf des Besonderen, der an manchen Stellen die Stadt verändert, der auch hier zu sehen ist. Vielleicht ist es ein Reinfall. Wahrscheinlich aber ist es vor allem einfach eine solide Werbeoffensive genau an der richtigen Zielgruppe.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019/zara/infu
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