Ostfriedhof:Warum München ein neues Krematorium hat

Ostfriedhof: Der Aufbahrungsraum ist durch große Fensterscheiben schon vom Besuchergang aus zu sehen.

Der Aufbahrungsraum ist durch große Fensterscheiben schon vom Besuchergang aus zu sehen.

(Foto: Florian Peljak)

Angehörige können sich nun direkt am Sarg verabschieden und die Einäscherung begleiten. Auch das Livestreaming von Trauerfeiern ist möglich.

Von Patrik Stäbler

Im Dezember 1908 ist der Verein für Feuerbestattung München nach jahrelangem Ringen am Ziel. Seitens des städtischen Magistrats wird ihm im Wirtschaftshof des Ostfriedhofs ein Verbrennungsofen für Sargbretter und Trauerkränze zur Verfügung gestellt - für eine jährliche Pacht von 200 Goldmark. In der Folge baut der 1891 gegründete Verein die Anlage zu einem Leichenverbrennungsofen um. Und so kann dort im November 1912 die erste Feuerbestattung in München stattfinden.

Seither hat der Umgang mit den Toten nicht nur in München einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Dort werden heute 70 Prozent aller Leichen eingeäschert - Tendenz seit Jahren steigend. Vor diesem Hintergrund hat die Stadt nun ein neues Krematorium im Ostfriedhof eröffnet. In dem dreieckigen Gebäude, das sich an die denkmalgeschützte Trauerhalle anschließt, befinden sich die Räume zur Verabschiedung, Aufbahrung und Einäscherung unter einem Dach. Dies ermögliche eine "Abschiednahme aus einem Guss", wie es Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) bei der Eröffnungsfeier formulierte. Das neue Krematorium löst den 40 Jahre alten Vorgängerbau ab. Dieser sei ein "rein technisches Gebäude" gewesen, sagte die städtische Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek. "Beim neuen Krematorium steht der Mensch im Mittelpunkt."

Ostfriedhof: Lang erwartet: das neue Krematorium im Ostfriedhof.

Lang erwartet: das neue Krematorium im Ostfriedhof.

(Foto: Florian Peljak)
Ostfriedhof: Blick in die Ofenhalle: Thomas Schlichting, Leiter Seelsorge und kirchliches Leben im Erzbischöflichen Ordinariat, kann die Sargeinfahrt beobachten.

Blick in die Ofenhalle: Thomas Schlichting, Leiter Seelsorge und kirchliches Leben im Erzbischöflichen Ordinariat, kann die Sargeinfahrt beobachten.

(Foto: Florian Peljak)

Trauernde können sich dort erstmals direkt am Sarg verabschieden - in einem separaten Raum, bis zu 24 Stunden lang. "In diesem Bereich haben wir eine hohe Nachfrage, die in Zukunft noch größer werden wird", sagte der Leiter des Krematoriums, Arndt Schulte Döinghaus. Gleiches gelte - nicht zuletzt infolge der Pandemie - für das Livestreaming von Trauerfeiern, was im neuen Verabschiedungsraum möglich sei. Von dort kommt der Leichnam weiter zur Aufbahrung, ehe es zur Einäscherung geht. Diese können Trauernde im Neubau mitverfolgen - hinter einer Glasscheibe aus einem Nebenraum. Eine solche Begleitung der Sargeinfahrt sei deutschlandweit in Krematorien einmalig, sagt Schulte Döinghaus. "Es gibt Trauernde, die das nicht wollen, weil es ihnen zu nah ist. Aber insgesamt wird diese Möglichkeit immer öfter nachgefragt." So viel Service hat freilich seinen Preis: Ab 2500 und bis zu 9000 Euro koste eine Feuerbestattung, sagt der Leiter. Wobei man bei Sargbestattungen etwa mit dem Doppelten rechnen müsse.

Der Anspruch im neuen Krematorium ist es laut Schulte Döinghaus, die gesamte Abschiedszeremonie von der Trauerfeier bis zur Urnenbeisetzung an einem Tag zu ermöglichen - auch das ein Wunsch vieler Trauernder. Sie sollen bald auch den Leichenschmaus in unmittelbarer Nähe abhalten können. Denn direkt neben dem Krematorium baut die Erzdiözese München und Freising bis Ende 2024 das Trauerpastorale Zentrum "Haus am Ostfriedhof", wo es nebst seelsorgerischer Begleitung auch ein Café geben wird. Mit dieser Einrichtung und vor allem mit dem neuen Krematorium reagiere man auf die "veränderte Trauerkultur", sagt Schulte Döinghaus. Zudem, ergänzt Beatrix Zurek, "stehen wir ja auch im Wettbewerb". So gibt es zwar in München und dem Umland nur dieses Krematorium. Jedoch können Angehörige, die eine Einäscherung wünschen, auch auf teils privatwirtschaftliche Einrichtungen in der weiteren Umgebung ausweichen - etwa in Augsburg, Kissing und Mainburg. Andersherum werden auch im Münchner Krematorium viele Auswärtige vorstellig: Bei knapp einem Drittel der jährlich 8000 Einäscherungen wird die Urne danach versandt - innerhalb Deutschlands oder ins Ausland.

Ostfriedhof: Ort der Stille: Die vier Meter hohe Bronzeskulptur "Phönix" hat der Bildhauer Josef Henselmann eigens gefertigt.

Ort der Stille: Die vier Meter hohe Bronzeskulptur "Phönix" hat der Bildhauer Josef Henselmann eigens gefertigt.

(Foto: Florian Peljak)

Für den nun eröffneten Neubau hat die Stadt fast 23 Millionen Euro in die Hand genommen. Das Gebäude füge sich harmonisch in die historische Friedhofsanlage ein, lobt Baureferentin Jeanne-Marie Ehbauer. Zudem sei mit dem Meditationsgarten "ein Ort der Stille" für Besucherinnen und Besucher entstanden. Dort findet sich auch die fast vier Meter hohe Bronzeskulptur "Phönix", die der Münchner Bildhauer Josef Henselmann eigens für diesen Ort angefertigt hat.

Nebst derlei optischen Vorzügen bringe der Neubau aber auch eine erhebliche Verringerung des Strom- und Energiebedarfs mit sich, sagt Arndt Schulte Döinghaus. So verbrauche eine Einäscherung nur sechs bis zwölf Kubikmeter Erdgas - ein Viertel der bisherigen Menge. Dies sei in den aktuellen Zeiten wichtiger denn je, sagt der Leiter mit Blick auf die Energiekrise. Sie ist der Grund, weshalb das alte Krematorium vorerst weiter betriebsbereit gehalten wird - "als Reserve". Denn sollte man infolge einer Gasmangellage nur noch tageweise mit Erdgas beliefert werden, "dann könnten wir im alten und im neuen Gebäude insgesamt sieben Öfen einsetzen", erklärt Schulte Döinghaus. Noch aber gebe es im Krematorium keine Engpässe.

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