Friedensbewegung:Viren, Wirren, Widrigkeiten

Ostermarsch 2021

Früher gingen Hunderttausende auf die Straße, dieses Mal mehrere Hundert.

(Foto: Robert Haas)

Seit 60 Jahren wird beim Münchner Ostermarsch demonstriert, natürlich auch jetzt in Zeiten der Pandemie. Während in der Innenstadt gegen Kriege und die Klimakrise angesungen wird, verzweifeln Händler am "ständigen Auf-und-wieder-zu".

Von Stephan Handel

Der Zeitsprung passiert, als der Zug gerade in die Brienner Straße einbiegt. Die Friedens-Propaganda aus dem Lautsprecherwagen stoppt, stattdessen: Musik! Wirklich und tatsächlich "Sag mir, wo die Blumen sind", jener Pete-Seeger-Song, der seit bald 70 Jahren verlässlicher Begleitsound bei Demos, Kundgebungen, Aufzügen ist, wann immer es für das Gute und gegen das Böse geht. Und ein paar Demo-Teilnehmer singen tatsächlich mit.

Der Münchner Ostermarsch ist nur unwesentlich jünger als Pete Seegers Lied - 1961 zogen zum ersten Mal Friedensbewegte zum Königsplatz, wo Erich Kästner seine Rede begann mit einem Zitat aus dem Faust - der Osterspaziergang natürlich. Die Anreise war damals allerdings weiter als heute: Der Marsch begann in Fürstenfeldbruck, am amerikanischen Fliegerhorst, weil die USA dort Raketen aufbewahrten. An diesem Samstag beträgt die Wegstrecke nur einen Bruchteil davon: Vom Geschwister-Scholl-Platz zur Brienner Straße und weiter zur Kundgebung auf dem Königsplatz.

Erich Kästner bei Anti-Atomwaffen-Ostermarsch 1961

Erich Kästner (links) bei der Abschlusskundgebung des ersten Münchner Ostermarschs 1961.

(Foto: Göbel/dpa)

Dort gibt es zum Auftakt einen weiteren Klassiker pazifistischen Sängertums: "Das weiche Wasser bricht den Stein", das seit der Friedensbewegung Anfang der Achtzigerjahre der Selbstvergewisserung der Wohlmeinenden dient. Damals, als es gegen den Doppelbeschluss der Nato ging, gingen Hunderttausende auf die Straße. Im Jahr 2021 sind es deutlich weniger, auch wenn die Zahlen je nach Quelle differieren: Von 1000 Marschierern sprechen die Veranstalter, die Polizei will 270 gezählt haben. Die Corona-Auflagen hätten 200 Teilnehmer beim Marsch, zusätzlich 400 am Königsplatz erlaubt. Subjektiver Eindruck: Dem Umzug haben sich eher mehr als 200 angeschlossen, nicht alle haben dann aber Lust, vor den Propyläen herumzustehen.

So viel noch: Alle tragen Masken, alle halten Abstand, die Polizistinnen und Polizisten haben dieses Mal wirklichen keinen Anlass einzuschreiten.

Die Band ist mit ihrem Lied jetzt fertig, der Gitarrist tritt einen Schritt zur Seite, was ein äußerst ungünstiges, wenn auch saukomisches Bild schlagartig verbessert: "Ostermarsch" steht auf einem Transparent an der Rückseite des kleinen Podiums, der Kopf des Musikers hat ausgerechnet das "m" darin verdeckt. Scheint aber fast niemand gesehen zu haben.

Die Redner verschiedener Couleur befassen sich mit verschiedenen Themen: Aufrüstung, Globalisierung, Klima, Jemen, Libyen, Syrien. Keiner vergisst zu erwähnen, dass die Probleme der Welt, ihre Krisen, Kriege und Katastrophen ja nicht verschwunden sind, nur weil Deutschland gerade darüber diskutieren muss, ob T-Shirt-Läden und Elektronikmärkte öffnen dürfen.

Apropos Elektromärkte: Vor dem Saturn am Stachus hat sich am Samstagvormittag tatsächlich eine von wenigen nennenswerten Menschenschlangen in der Fußgängerzone gebildet. Der gesamte Einkaufskilometer bis zum Marienplatz wirkt wie stillgelegt - ein bisschen was ist schon los, es scheint auch höhere Nachfrage nach Modeartikeln für junge Frauen zu geben - aber kein Vergleich schon zu einem normalen Einkaufssamstag vor Corona, geschweige denn zum Karsamstag, an dem ja normalerweise auch der Tourismus langsam in Schwung kommt.

Vor dem Männermodehaus Hirmer steht ein Mann und lässt sich mit seinen Hirmer-Tüten fotografieren, als habe er gerade ein Großwild erlegt. Das ist aber auch die einzige Freudensbekundung - sonst entsteht eher der Eindruck, die Leute erledigten, was sie zu erledigen haben, mehr aus Pflicht oder Notwendigkeit denn aus Lust am Shoppen. Halt, da vorne, doch noch mal eine Schlange! Aber nein: Die Menschen stehen am ehemaligen Sporthaus Munzinger am Rathauseck an, da ist jetzt eine Schnellteststelle.

Wolfgang Fischer, Vorsitzender der Werbegemeinschaft City Partner, kann den trüben Eindruck mit Zahlen belegen: Irgendjemand hat tatsächlich die Passanten in der Neuhauser Straße gezählt, am Samstag waren es 37 000. "Im Jahr 2019, also vor Corona, waren es am Karsamstag 170 000", sagt Fischer. Am Ostermontag weiß er schon, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter, die Notbremse ein bisschen lockern will, weil die Inzidenz drei Tage unter 100 geblieben ist. Einerseits freut Fischer sich darüber - andererseits: "Wie soll man das den Angestellten und den Kunden erklären, dieses ständige Auf-und-wieder-zu?"

"Hoch die internationale Solidarität!" haben die Ostermarschierer am Königsplatz skandiert. Wolfgang Fischer plädiert nur halb scherzhaft für eine Lösung aus England; er nennt sie die Buckingham-Lösung: "Wenn die Queen im Buckingham-Palace ist, dann ziehen sie eine Fahne auf. Der OB könnte doch auch am Rathaus eine Fahne hissen, wenn aufgesperrt werden darf, und keine, wenn nicht. Dann wüsste jeder Bescheid." Wie gesagt, Wolfgang Fischer meint das scherzhaft, aber nur halb.

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