Architekturgeschichte:Der Mann, der München zur Großstadt machte

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Oskar Pixis hat einige Gebäude wie an der Klugstraße gebaut, in denen heute noch viele Münchner leben. Sein Enkel Christian Pixis (rechts) und der Architekturhistoriker Rainer Schützeichel wollen, dass er damit in Erinnerung bleibt. (Foto: Stephan Rumpf)

Oskar Pixis hat München geprägt - doch heute erinnert sich kaum jemand an den Architekten. Ein Buch und eine Ausstellung wollen das ändern.

Von Jakob Wetzel

Man muss genau hinsehen, um das Besondere zu entdecken. Zum Beispiel, dass es im Innenhof dieses Wohnblocks Balkone gibt, obwohl doch alles so günstig wie möglich sein sollte. Dass die untersten Wohnungen trotz Spardrucks im Hochparterre liegen. Und dass die Treppenhäuser so angelegt sind, dass jede Wohnung Fenster zur Straße und auch zum Garten hat.

Hier, an der Klugstraße in Gern, ließ der "Verein für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in München" in den Dreißigerjahren 360 Kleinwohnungen für Ärmere bauen; den Auftrag hatte der Architekt Oskar Pixis erhalten. Und dessen Credo war: Ob günstig oder nicht, wer hier wohnen würde, sollte es schön haben. Speziell die Balkone - ein Kostenfaktor - waren sogar der Architekturzeitschrift Baumeister eine Erwähnung wert.

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Oskar Pixis (1874-1946) ist einer von vielen Architekten, die heute weitgehend vergessen sind. Der Zürcher Architekturhistoriker Rainer Schützeichel möchte das gerne ändern. Denn es waren Architekten wie Pixis, die das moderne München errichtet haben. Nicht die Altstadt mit ihren bekannten Kirchen und Palästen, sondern dasjenige München, in dem ein Großteil der Münchnerinnen und Münchner heute wohnt.

Pixis war einer der Architekten des Städtewachstums, einer von jenen, mit deren Gebäuden München zur Großstadt wurde. "Diese Architekten haben damals die Masse der Stadt gebaut, aber man kennt sie nicht", sagt Schützeichel. Denn ihre Wohnbauten fallen kaum auf. "Da läuft man vorbei. Und das ist per se schon verkehrt", sagt er. "Denn wo erfährt man Architektur mehr als beim Wohnen?"

Pixis' erster Wohnblock an der Klugstraße verwandelte das bis dahin dörfliche Gern in einen urbanen Teil Münchens. (Foto: Der Baumeister, 1929)

Schützeichel, der auch an der Hochschule München lehrt, hat sich vorgenommen, diese Architekten dem Vergessen zu entreißen - und mit Pixis hat er begonnen. Im Winter- und Sommersemester 2019/2020 hat er mit Studierenden das Werk des Münchners ausgegraben. Ergebnis ist eine Ausstellung in der Fakultät für Architektur an der Karlstraße 6 in der Maxvorstadt, die Corona-bedingt nur zur Eröffnung am 24. November sowie zu einer Führung mit Kurator Schützeichel am 3. Dezember zu besichtigen ist - und nur nach Anmeldung bei Kurator Schützeichel.

Dafür gibt es zusätzlich ein reich bebildertes Buch ("Oskar Pixis. Wohnbauten der 1920er- und 1930er-Jahre in München"), das im November im Deutschen Kunstverlag erscheint und dazu einlädt, das Alltägliche näher zu betrachten. "Auf den zweiten Blick" hat Johannes Kappler, der Dekan der Architekturfakultät der Hochschule, sein Vorwort hier überschrieben. Schützeichels eigener Aufsatz heißt "Lob des Unauffälligen".

Wohnen und Einkaufen: An den Ecken des Blocks an der Klugstraße plante Oskar Pixis Ladengeschäfte. (Foto: Stephan Rumpf)

Es sei nicht einfach gewesen, sich Pixis zu nähern, erzählt Schützeichel. Der Nachlass ist nur lückenhaft überliefert, und der Architekt selbst hat es der Nachwelt auch nicht leicht gemacht. Denn Pixis war zwar zwar schon früh an bemerkenswerten Projekten beteiligt. So plante er etwa für die Stadt München unter anderem an der Grundschule an der Hirschbergstraße mit, einem der größten Schulgebäude der Stadt.

Später arbeitete er in Berlin im Büro von Alfred Messel an dessen Hauptwerk mit, am Warenhaus Wertheim an der Leipziger Straße, an " dem Prototypen des modernen großstädtischen Kaufhauses", wie Schützeichel in seinem Aufsatz schreibt. Wiederum später war er Büroleiter von Theodor Fischer, dem Schöpfer der Münchner Staffelbauordnung, die der Stadt ihre heutige Struktur gegeben hat.

Doch Pixis war zugleich das Gegenteil des großbürgerlichen Fischer; er war zurückhaltend, sagte von sich, er sei "nur helfend, nicht schaffend" tätig. Schützeichel sieht das freilich anders. Architektur sei immer das Ergebnis einer kollektiven Leistung, sagt er. Im Rampenlicht stünden zwar stets nur wenige. Doch wenn man so will, steht hinter jedem Fischer ein Pixis.

Oskar Pixis wollte leben, wo er auch baute. Die Aufnahme zeigt den Bürotrakt seines Wohnhauses neben dem Laimer Schlössl mit den Zeichensälen um 1928. (Foto: Privatarchiv Pixis, München)

Oskar Pixis lebte einst im Dorfkern von Laim, was damals ein Vorort Münchens war. Im Laimer Schlössl lebte dort Pixis' Chef Fischer. Pixis selber bewohnte eine Anlage nebenan, mit Büro und großem Garten. Sein Enkel, der Galerist Christian Pixis, wohnt dort noch heute, er führt durchs Haus.

Sein Großvater sei bewusst hierher gezogen, erzählt er. Andere Architekten seiner Zeit hätten sich Villen in Bogenhausen gebaut. Pixis aber habe bewusst dort wohnen wollen, wo er auch bauen würde. Im Westen des Laimer Schlössls habe es damals nur Wiesen gegeben bis nach Pasing, sagt Christian Pixis beim Blick aus dem Fenster. Die Gegend sollte erschlossen werden, und in den Zeichensälen neben der Wohnung des Großvaters hätten damals bis zu 20 Angestellte für Fischer gearbeitet.

Oskar Pixis führte derweil ein Leben in "hippieartigem Laissez-faire", wie sein Enkel Christian Pixis in einem Aufsatz für Schützeichels Buch schreibt. Die Großmutter züchtete Bienen, die Familie hielt Ziegen und Hühner, die Kinder liefen nackt im Freien herum, und in der Mitte stand eine Gartenhütte. Es war ein Leben wie auf dem Land. Der Garten im Hof war zu Zeiten des Großvaters noch doppelt so groß wie heute, doch zumindest das Gartenhäuschen ist erhalten.

Eine der wenigen Aufnahmen von Oskar Pixis, hier vor seiner Gartenhütte. (Foto: Privatarchiv Pixis, München)

Pixis führte hier jahrzehntelang Fischers Geschäfte. Erst spät, im Alter von 50 Jahren, wagte er den Schritt in die Selbständigkeit - und baute, wofür er auch zuvor schon brannte: Wohnhäuser.

Seine Leidenschaft für diese, auch seine sozialreformerische Ader, hatte Pixis früh entdeckt. Um 1900 hatte er die Wohnungsnot der Arbeiter und Tagelöhner in den Münchner Problemvierteln Au und Haidhausen studiert. Ein Jahr darauf reiste er nach Capri, wo er sich für die Schlichtheit der Häuser in Anacapri begeisterte.

In München errichtete Pixis sowohl Einfamilienhäuser als auch große Blöcke, etwa an der Klugstraße, aber etwa in der Großsiedlung Neuhausen, einem der Gründungsbauten der Gewofag. Pixis steuerte dort die Zeile an der Balmungstraße bei.

Eine große eigene Karriere war ihm danach freilich nicht vergönnt. Das lag an den Nationalsozialisten. Pixis' Blöcke an der Klugstraße etwa hatten ursprünglich Flachdächer; die heutigen Steildächer stammen aus den Fünfzigerjahren, als sie aufgestockt wurden. Pixis hatte sich für die Blöcke womöglich von Capri inspirieren lassen; Schützeichel nennt die Architektur "moderat modern". Die Nazis dagegen nannten sie "bolschewistisch".

Möglich, dass Pixis auch geschnitten wurde, weil er 1936 an der Kunigundenstraße ein Wohnhaus für den jüdischen Arzt Gustav Blank baute, der zuvor aus seinem Anwesen im Zentrum vertrieben worden war. Pixis jedenfalls bekam nun kaum noch Aufträge. Dass er auf das Drängen seiner Familie hin einen "heimatlicheren" Stil annahm, wie Christian Pixis sagt, änderte daran nichts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Pixis schlicht zu alt. Als er 1946 starb, widmete ihm der Baumeister einen Nachruf. Sein Wirken habe sich "größtenteils in selbstgewählter Anonymität" vollzogen, heißt es darin. Mit Pixis, diesem Architekten des Städtewachstums, sei "ein Stück Münchnertum in des Wortes bester Bedeutung dahingegangen".

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Von Jakob Wetzel (Text) und Katja Schnitzler (digitale Umsetzung)

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