Opernfestspiele:Die Liebe zum Lied

Opernfestspiele: Absolutes Vertrauen zwischen Sänger und Pianist: Gerold Huber (li.) und Bariton Christian Gerhaher (re.) sind ein symbiotisches Künstlerpaar. Bei Gerhahers drei Festspiel-Liederabenden ist jetzt Ammiel Bushakevitz für den erkrankten Huber eingesprungen.

Absolutes Vertrauen zwischen Sänger und Pianist: Gerold Huber (li.) und Bariton Christian Gerhaher (re.) sind ein symbiotisches Künstlerpaar. Bei Gerhahers drei Festspiel-Liederabenden ist jetzt Ammiel Bushakevitz für den erkrankten Huber eingesprungen.

(Foto: Wilfried Hösl)

Christian Gerhaher, Jonas Kaufmann und Marlis Petersen verraten, was ihnen das Kunstlied bedeutet.

Von Christian Gerhaher; Von Jonas Kaufmann; Von Marlis Petersen, München

Selten war mehr Kunstlied als bei diesen Opernfestspielen. Mit Christian Gerhaher, Jonas Kaufmann, Marlis Petersen, Anna Prohaska oder Ian Bostridge hat die Staatsoper die großen Lied-Interpretinnen und -Interpreten unserer Zeit auf die Bühne geholt für diese, wie Kaufmann sagt, "subtilste und persönlichste Form des Singens". Wie individuell die Herangehensweise der Sängerinnen und Sänger ist, erzählen hier Christian Gerhaher, Jonas Kaufmann und Marlis Petersen, die sich selbst stets auch in künstlerischer Partnerschaft mit ihren großen Liedbegleitern am Klavier sehen. Eines verbindet wohl alle: eine unumstößliche, zärtliche Liebe zum Lied.

Christian Gerhaher: letztgültiger Deutung entzogen

Opernfestspiele: Christian Gerhaher gilt als einer der größten Liedinterpreten unserer Zeit, zumeist begleitet vom wunderbaren Pianisten Gerold Huber.

Christian Gerhaher gilt als einer der größten Liedinterpreten unserer Zeit, zumeist begleitet vom wunderbaren Pianisten Gerold Huber.

(Foto: Wilfried Hösl)

Mein Beruf als Sänger entstand vor allem aus meiner Begeisterung für den Liedgesang. Seinetwegen wollte ich singen. Natürlich muss man auch dazu ein gewisses Rüstzeug, das manche eine Technik nennen würden, erwerben. Die hohe Lage bei Schubert, die Lautstärke-Kontraste Mahlers, die wuchtigen Brahms-Lieder sind für einen reinen Liebhaber in meinen Augen einfach nicht zu realisieren. Und dennoch finde ich am Kunstlied gerade besonders reizvoll, dass eine klangliche Vergleich- und Einordenbarkeit im Sinne eines Timbres hier nicht zum Tragen kommt, nicht von Interesse ist. Vielmehr ist es der jeweils singuläre, für den Moment der Aufführung angebracht erscheinende Klang eines Liedes, seiner einzelnen Takte und Silben, die einem eine jeweilig angebrachte Farbigkeit abfordern. Sie kann durch Vokalisen oder "Technik" nicht wirklich präformiert werden. Insofern gälte mir eine Haltung der Exekution eines Liedes im Sinne einer Anwendung standardisierter Mittel als diesem geradezu nicht angemessen, als theoretischer Mangel an künstlerischer Aufrichtigkeit und Radikalität. Ich muss sagen, das gefällt mir, auch wenn es einen dauerhaft anstrengenden Prozess mit sich bringt.

Außerdem gefällt mir, dass die in meinen Augen grundlegende Vieldeutigkeit jedes Kunstwerkes sich beim Kunstlied nochmals steigert, ja, dass diese hier zum für mich vielleicht entscheidenden Charakteristikum wird. Die Verbindung eines bedeutungsoffenen Gedichtes (und das ist Lyrik in meinen Augen immer ein Stück weit) mit einem sich der letztgültigen Deutung auch stets entziehenden Stück Musik potenziert sich zu einem sehr stark dem Abstrakten zuneigenden Gesamtgebilde. Eine schöne Analogie finde ich da in der Aufführungsform: Wie sich Gedicht und Musik durchdringen, fast ohne einander zu berühren oder zu durchmischen, so sehe ich auch die ganz verschiedenen Klänge von Klavier und Gesang sich verweben, so als ob die Vokale, Konsonanten und Farben des Gesangs sich zwischen den harfenartigen Klangfächer der Klaviersaiten begäben, ohne dass sich die Töne des einen oder anderen je wirklich stören oder gegenseitig auslöschen würden. So schön, hochsinnlich, ja hinreißend manche Orchestrierungen von Liedern auch sein mögen, die klangliche Klarheit eines Klaviers kann ein Orchester nicht ersetzen. Dessen immense Vielfarbigkeit mag berauschen, im Grunde aber tendiere ich dazu, sie beim Lied eher störend und verunklarend zu nennen - aufführungspraktisch fast unnötigerweise verkomplizierend -, sie im Grunde als die Perversion des Liedes zu bezeichnen; wobei künstlerische Perversionen ja durchaus sehr attraktiv sein können.

Das bringt mich aber zu dem Punkt, ohne den das Lied als Faszinosum für mich auch nicht funktionieren würde. Das betrifft Gerold Huber, meinen Kammermusikpartner seit 34 Jahren. Ohne seine tiefe und aufrichtige Künstlerschaft könnte ich das meiste am Kunstlied wohl nicht so sinnbringend erfahren.

Christian Gerhaher ist Lied- und Opernsänger (Bariton). Im März ist sein Buch "Lyrisches Tagebuch, Lieder von Franz Schubert bis Wolfgang Rihm" bei C.H. Beck erschienen. Der Festspiel-Liederabend mit ihm, Anna Prohaska und Ammiel Bushakevitz (Klavier), findet am Freitag, 29. Juli, 20 Uhr, im Nationaltheater statt.

Jonas Kaufmann: die persönlichste Form des Singens

Opernfestspiele: Auch ein Heldentenor sucht die leisen Töne: Für Jonas Kaufmann ist der Liedgesang nicht zuletzt auch Stimmhygiene.

Auch ein Heldentenor sucht die leisen Töne: Für Jonas Kaufmann ist der Liedgesang nicht zuletzt auch Stimmhygiene.

(Foto: Wilfried Hösl)

Für mich ist der Liedgesang die Königsklasse des Singens. Zunächst wegen der besonderen Situation: Wir sind zu zweit (respektive zu dritt, wie bei den Duetten mit Diana Damrau), sind somit wesentlich unabhängiger als im Opern- und Konzertbetrieb und können uns künstlerisch viel mehr entfalten. Außerdem haben Liederabende einen besonderen dramaturgischen Reiz: Man hat unendliche Möglichkeiten, aus einzelnen Liedern eine besondere Geschichte zusammenzustellen, man kann den Bogen über unterschiedlichste Epochen und Stilrichtungen spannen, man kann Stücke, die per se gar nichts miteinander zu tun haben, in Beziehung setzen. Freilich darf man nicht vergessen, dass jedes Lied eine abgeschlossene Geschichte für sich ist. Oder, wie zum Beispiel beim "Erlkönig" von Schubert und Goethe, ein Drama im Kleinstformat. Und diese Geschichten muss man allein mit Tönen und Worten erzählen, ohne Bühnenbild, ohne Kostüm und Maske. Zudem erfordert das Liedrepertoire vom Sänger wesentlich mehr Feinarbeit als jede andere sängerische Disziplin: mehr Farben, mehr Nuancen, mehr Differenzierung in der Dynamik, subtileren Umgang mit der Musik und mit dem Text. Deshalb ist Liedgesang auch das Beste, was man als Sänger für die Stimmhygiene tun kann; da kommt jede schlechte Angewohnheit sofort ans Licht. Alles das macht für mich den besonderen Reiz des Genres aus. Und wenn man so sehr miteinander vertraut ist wie Helmut Deutsch und ich seit nun mehr 30 Jahren, versteht man sich im Idealfall blind, hört genau aufeinander und spürt sofort, was der andere will. Das hat zur Folge, dass dasselbe Programm niemals gleich klingt, sondern jedes Mal anders. Selbst Lieder, die wir fünfzig Mal gemeinsam aufgeführt haben, gestalten wir immer wieder anders - weil wir bestimmte Passagen und Nuancen in einem anderen Licht sehen, sie anders empfinden. Nicht zuletzt ist der Liedgesang auch eine Form von Bekenntnis. Wobei sich hinsichtlich des "Geschichten-Erzählers" wohl immer die Geister scheiden: Die einen sehen ihn als objektiven Betrachter, der alles in eine Form bringt, rational und überlegt. Die anderen sehen ihn als jemanden, der die Geschichten mit jeder Faser seines Herzens nachempfindet. Ich bin ein großer Verfechter der zweiten Variante: Für mich ist Liedgesang die zarteste, subtilste und persönlichste Form des Singens. Weil er den tiefsten Blick in die Seele des Künstlers gewährt.

Jonas Kaufmann ist ein vielfach ausgezeichneter Opern- und Liedsänger (Tenor). Neben seinem großen Opernrollenrepertoire hat er sich besonders dem romantischen Lied verschrieben.

Marlis Petersen: eine "Oper im Innern"

Opernfestspiele: Starsopranistin Marlis Petersen stößt bei ihrer Forschungsreise durch das Lied-Repertoire immer wieder auf rare Edelsteine.

Starsopranistin Marlis Petersen stößt bei ihrer Forschungsreise durch das Lied-Repertoire immer wieder auf rare Edelsteine.

(Foto: Wilfried Hösl)

Sehr spät habe ich das Lied entdeckt - ich war schon zehn Jahre aktive Opernsängerin -, aber dafür war die Liebe umso heftiger!! Es war die Begegnung mit Jendrik Springer, der als Korrepetitor neu an die Wiener Staatsoper kam; er spielte so erzählend und farbig das Klavier, dass ich ihn gleich fragte, ob er auch das Lied-Repertoire mag. Seine begeisterte Antwort war der Anfang einer jahrelangen Entdeckungsreise durch die Schatztruhe des Liedes und der Beginn einer großen Leidenschaft mit diesem Genre.

Zu Beginn war ich bei Liederabenden extrem aufgeregt, weil man sich nicht wie auf der Opernbühne hinter einer Geschichte oder Regie verstecken kann, sondern eins zu eins als Person vor dem Publikum steht. Alles ist viel näher, viel persönlicher, und die große Aufgabe für eine:n Liedsänger:in ist es, die Texte, die Situation und die Gefühle des Liedes für die Herzen der Zuhörer spürbar zu machen. Ich sage gerne, das Lied ist eine "Oper im Innern", und es ist eine herausfordernde Aufgabe, diese mit Tiefgang und unzähligen Stimm-Facetten singend zu erzählen.

Irgendwann wollte ich meine ganz eigenen Geschichten erfinden und nicht nur Lieder aneinanderreihen oder Zyklen singen, die man von vielen Interpreten und Interpretinnen schon oft gehört hat. Das war die Geburtsstunde meiner Dimensionen-Trilogie, die auch zusammenfiel mit der Wiederbegegnung mit meinem Pianisten Stephan Matthias Lademann nach 24 Jahren! Nun war mir sehr wichtig, dass die Lieder-Reise, die ich dem Hörer anbiete, auch etwas mit uns und unserer Welt zu tun hat.

2016, als alles Fahrt aufnahm, war ich selber in einem großen Umbruch und musste zur Ruhe kommen. Diese Ruhe hat mich darauf aufmerksam gemacht, wie wir Menschen durch das Leben rasen, irgendeiner Vorgabe oder einem System folgend, und den stillen, großen, alten Baum vor der eigenen Türe nicht mehr wahrnehmen. Ich sah immer mehr, wie viele Menschen dieses große Geschenk des Lebens auf diesem unglaublichen Planeten übersehen, vergessen. Ich begann dann zu forschen, welche Lieder es gibt, die sich mit der Natur, dem Menschen darin, seinem Hadern und Sehnen beschäftigen, und so entstand die erste CD namens "Welt". Als Untertitel heißt es bei allen drei CDs: "Mensch und Lied..." Und ich glaube, dass diese Kombination großes Heilungspotenzial für die suchende Seele hat.

Nach der Welt, dem Hier und Jetzt, wollte mein Blick ins Drüben, in die "Anderswelt", um dort zu schauen, was es hier nicht zu schauen gibt. Die dritte CD im Bunde, die "Innenwelt", war gerade fertig, als Corona unser Leben lahmgelegt hat. Der Blick nach Innen wurde plötzlich immens wichtig für uns alle und so wurde dieses Thema brandheiß, selbst für die Lieder-Podien. Auf dieser Reise durch die Welten (bei der Gesamtausgabe gab es sogar noch eine "Neue Welt" mit dem Blick auf die gemeinsame Vision) bin ich auf rare Edelsteine gestoßen. Komponisten, die kaum einer kennt, die selten aufgeführt werden, so wie Hans Sommer, Richard Rössler, Sigurd von Koch....

Es war eine Forschungs-Expedition, die ich nicht missen möchte, emotional und schöpferisch, und ich hoffe, dass auch das Publikum neugierig und offen mit auf die musikalische Reise geht!

Marlis Petersen ist eine Opern- und Liedsängerin (Sopran). Der Festspiel-Liederabend mit ihr und Stephan Matthias Lademann (Klavier) findet am, Di., 26. Juli, 20 Uhr, im Prinzregententheater statt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: