Kriegshelden und Aufständische. Fragen über Volk, Verrat und Treue. So sehr wünscht man sich einen Weltgeist, in dem diese Begriffe ein nicht mehr so großes Gewicht haben. Doch Tschaikowskis Oper „Mazeppa“, die diesen Themenkomplex nach einem Poem von Puschkin vor dem komplizierten Hintergrund der Beziehung zwischen der Ukraine und Russland verhandelt, ist schmerzlich aktuell.
Mazeppa, ein ukrainischer Volksheld, ist dabei schon in der literarischen Vorlage dem damaligen russischen Zeitgeist entsprechend, eher negativ konnotiert und verrät seinen alten Freund Kotschubej gleich zweimal: Er verführt dessen deutlich jüngere Tochter Maria und entfremdet sie von der Familie. Und er schwärzt Kotschubej beim Zaren an, was ein Todesurteil gegen diesen zur Folge hat. Dass Kotschubej Mazeppa als Aufständischen, der die Befreiung der Ukraine plante, zuvor ebenfalls als Rache für die Verführung seiner Tochter beim Zaren verraten wollte, macht die Sache nicht besser. Privates und Politisches vermischen sich zu einer grausamen Tragödie. Für die einzige Überlebende Maria wartet am Ende nur der Wahnsinn.
Bei den Tiroler Festspielen in Erl hatte „Mazeppa“ im Juli in einer fulminanten Neuinszenierung Premiere. Die russisch-ukrainischen Beziehungen und identitätsstiftenden Zuschreibungen ließ man hier außen vor, verlegte die Handlung ins mafiöse Milieu der postsowjetischen Ära in Russland und zeigte die giftige Grausamkeit Einzelner nach unbedingter Macht Strebender.
Für die nun anstehende Sommerpremiere hat das freie Opernensemble Opera Incognita um Regisseur Andreas Wiedermann nun in München ebenfalls Tschaikowskis „Mazeppa“ gewählt.
Dessen Inszenierungen sind durch ungewöhnliche Neuverortungen in München ja mittlerweile legendär. Benjamin Britten gab es im Schwimmbad, Guiseppe Verdi im Arri-Studio, Philip Glass’ „In der Strafkolonie“ verlegte man in den Justizpalast und Wagners „Rienzi“ ins Audimax der LMU.
In jenem größten Hörsaal der Universität wird nun auch die Aufführung von Tschaikowskis „Mazeppa“ stattfinden, ebenso im Lichthof der LMU. Und auch hier wird sich der ungewöhnliche Ort der Inszenierung semantisch mit einmischen, ist dieser Ort doch zugleich Wirk- und Gedenkstätte des Widerstands der „Weißen Rose“ gegen den NS-Terror. Doch Wiedermann hat bisher ein fabelhaftes Gespür für derartige Bezüge bewiesen, ebenso wie Ernst Bartmann als musikalischer Leiter, der es immer wieder geschafft hat, große, mächtige Orchesterpartituren feinsinnig für ein Kammerorchester zu arrangieren.
Mazeppa, Premiere: Samstag, 31. August, weitere Vorstellungen 6., 7., 13., 14. September, jeweils 19.30 Uhr, LMU, Geschwister-Scholl-Platz 1