Süddeutsche Zeitung

Auftrittsmöglichkeit:Kleine Bühne, großer Mut

Open Stages bieten eine gute Gelegenheit, sich als unerfahrener Künstler vor Publikum zu beweisen. Im Café Arts 'n' Boards sind Magier und Heavy-Metal-Bands gleichermaßen willkommen.

Von Laura Kaufmann

Shobhit Arora richtet seine Smartphonekamera auf dem Tisch präzise so aus, dass die Bühne gut im Bild ist. Auf dieser Bühne, geschmückt mit einem Weihnachtsbaum voll bunter Lichter und einer Discokugel, wird er gleich selbst stehen. Es ist ein Dienstag Anfang Dezember, es ist Aroras achter Auftritt als "Showbid" auf einer Open Stage, einer Offenen Bühne. Seit einem Monat erst wagt er sich ins Rampenlicht. Noch ist er sehr, sehr angespannt. "Wenn ich dann erst einmal reinkomme, geht's", sagt er.

Im Arts 'n ' Boards, einem mit Surfboards und Bildern des Künstlers Bernhard Prinz geschmückten Lokal an der Schwabinger Belgradstraße, ist an diesem Dienstagabend volles Haus, jeder Platz besetzt. Meist sei sogar noch mehr los an den Open-Stage-Abenden, sagt Lola Aichner, "so kurz vor Weihnachten ist es ruhiger". An diesem Abend treten neben Showbid noch fünf andere Acts auf, meist sind es acht oder neun. Dafür bekommt jeder ein wenig mehr Bühnenzeit eingeräumt. Lola Aichner moderiert die "Morgenröte" des Radiosenders Ego.FM, um vier Uhr muss sie am nächsten Tag aufstehen. Durch die Open-Stage-Abende führt sie trotzdem regelmäßig - weil es ihr Spaß macht.

Jeder große Künstler hat einmal klein angefangen. Niemand ist von Anfang an perfekt. Offene Bühnen bieten die perfekte Gelegenheit, sich vor Publikum auszuprobieren. Egal ob die Kunst nur Hobby ist, oder ob jemand größere Ambitionen hegt. Hier kann sich auch mal ein schiefer Ton einschleichen oder die Stimme versagen, ohne dass es das Publikum übel nimmt.

Open-Stage-Abende finden regelmäßig in mehreren Kneipen und Bars der Stadt statt, bei denen sich die Künstler in der Regel einfach per E-Mail anmelden oder spontan vorbeikommen können. Während viele der offenen Bühnenabende spezialisiert sind - auf Poetry Slammer, Singer-Songwriter oder Rapper zum Beispiel -, kann im Arts 'n' Boards jeder das zum Besten geben, was er kann. Da ist mal ein Magier dabei und mal eine Heavy-Metal-Band, die aufwendig gestylt mit Hörnern und Fellen die Bühne erobert. Chef Michael Albrecht mischt die Auftritte selbst ab.

Showbid tritt als zweiter auf. Vor ihm war eine Band namens Tinder Forever dran, die Pfade der Mitglieder haben sich alle über verschlungene Wege durch die Dating-App gekreuzt. "Wir wollten gleich als erste drankommen, damit wir den Rest des Abends genießen können", erklärt Sängerin Lucie Kremmer.

Nun fängt Showbid an zu singen, begleitet von einer Gitarre. Mit klarer, fester Stimme singt er über Vernunft, die auch mal beiseite gelassen werden muss, von widrigen Umständen, denen er mit einem Lächeln entgegentritt, weil es anders auch nicht besser wird. Persönliche Texte, ausgefeilte Melodien. "Mich reizt das Erzählen emotionaler Geschichten. Ich denke, man sollte nicht auf die Bühne gehen, wenn man nichts zu sagen hat", sagt der 28-Jährige später, erleichtert nach seinem Auftritt. Gerade hat er sein Mathematikstudium abgeschlossen, seit einem Monat tingelt er über die Offenen Bühnen der Stadt. In der Drehleier sei er schon aufgetreten und im Lost Weekend. Seine Gigs filmt er, um sich zu verbessern. "Mein Bruder hat mich inspiriert, auf die Bühne zu gehen", sagt Showbid. "Er macht als Wieschall schon lange Musik, cooler als ich, mehr Rap. Und wir haben uns als Kinder im Auto schon darum gestritten, wer den nächsten Track auflegen darf, wir kommen aus einer musikalischen Familie."

Lina Beckert singt nicht. Sie trägt einen Poetry-Slam-Text vor. Schon als sie auf die Bühne geht, johlt ein ganzer Tisch, sie hat Freunde und Familie dabei. Wie die meisten Künstler: Die Blues-Kombo zuvor ist auf mindestens fünf hochgehaltenen Smartphones verewigt worden. Lina ist souverän und witzig, hat einen guten Rhythmus und heimst dank ihrer Fanbase den Applaus des Abends ein. Dazu noch ein Schnaps aufs Haus mit der Moderatorin, wie es hier Brauch ist für Künstler, die sich zum ersten Mal auf die Bühne trauen.

Beinahe bekommt sie mehr Applaus als der letzte Gast des Abends, der spontan, Gitarre auf dem Rücken, ins Lokal spaziert ist: Rainer Gärtner. Eigentlich tourt er gerade als Impala Ray durch Deutschland, spielt und singt begleitet von Hackbrett, Tuba und Schlagzeug. Aber heute ist er alleine hier, nutzt die intime Atmosphäre im Raum, um seine Songs unplugged, ganz ohne Mikrofon, vorzutragen, gemeinsam mit dem Publikum zu singen. Zurück zu den Wurzeln ist das für Rainer Gärtner, so hat seine Karriere angefangen. Am Ende macht er noch Werbung für sein Konzert in der Muffathalle - und ein Selfie mit Ukulele-Spielerin Maja, die wie Poetry-Slammerin Lina einen Schnaps für den ersten Auftritt spendiert bekommen hat.

"Ich bin jetzt richtig angefixt", sagt Lina, immer noch strahlend von Lob und Komplimenten und Umarmungen, mit denen sie Freunde und Familie bedacht haben. Fünf Jahre lang hat sie schon an Texten gearbeitet, ohne sie einem Publikum zu präsentieren. Bis zum nächsten Mal wird es ganz sicher nicht mehr so lange dauern.

Shobhit Arora alias Showbid wird zuhause kritisch seinen Auftritt analysieren. Rainer Gärtner fährt am nächsten Tag weiter, mit seiner Band, vorher sagt er aber noch Bekannten hallo, die er am Tresen entdeckt hat, und Tinder Forever sitzt immer noch mit Freunden beim Bier zusammen. Ein Bier, das nach dem Mut schmeckt, sich auf die Bühne getraut zu haben.

Die nächste Open Stage im Arts 'n' Boards findet am 14. Januar statt. Beginn ist um 19.30 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2019/kafe
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