Süddeutsche Zeitung

Internetkriminalität:Tausende Kunden mit falschem Online-Shop betrogen

  • Auf einer vorgetäuschten Internetplattform hat ein 62-Jähriger bundesweit günstige Elektrogeräte angeboten.
  • Als dem promovierten Physiker sein eigens initiiertes Internetgeschäft zu heikel wurde, setzte er sich in einen Flieger nach Singapur.
  • Dort wurde er allerdings im Januar vergangenen Jahres festgenommen. Der Schaden beläuft sich auf knapp 985 000 Euro.

Von Andreas Salch

Thomas Sch. ist promovierter Physiker, Softwareingenieur und Geschäftsmann mit der Aussicht, die nächsten drei bis vier Jahre hinter Gittern verbringen zu müssen. In einem sogenannten "Fake-Online-Shop" soll der 62-Jährige bundesweit Elektrogeräte angeboten haben, die günstiger waren als auf anderen ähnlichen Portalen. Zu Ostern 2017 warb das Unternehmen, dessen Geschäftsführer Sch. war, noch einmal mit verbilligten Preisen. Bestellte Ware wurde an Kunden ausgeliefert. Bald schon wurde der Online-Shop des 62-Jährigen, der in München lediglich über eine "Briefkastenadresse" verfügte, im Ranking bei Google hoch eingestuft.

Doch das vermeintlich seriöse Internetportal entpuppte sich schon kurz darauf für Kunden als Reinfall. Bestellungen, möglich nur per Vorkasse, wurden nicht mehr ausgeliefert. Als Thomas Sch. schließlich der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, setzte er sich in einen Flieger mit Ziel Singapur. Dort wurde er allerdings im Januar vergangenen Jahres festgenommen. Seit Montag muss sich der Physiker vor dem Landgericht München I verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt ihm Betrug in 2407 Fällen zur Last. Der Schaden beläuft sich auf knapp 985 000 Euro.

Neben Sch. auf der Anklagebank sitzt eine Bekannte von ihm, Imran A. Sie ist wegen Beihilfe zum Betrug in 2407 Fällen angeklagt. Den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge soll die 59-Jährige alles eingefädelt haben. Bei einem Besuch in der Türkei Ende 2016 soll Imran A. von drei Bekannten damit beauftragt worden sein, einen geeigneten Geschäftspartner für die Gründung und Organisation eines "Fake-Online-Shops" zu finden. Imran A. soll Thomas Sch. vorgeschlagen haben, der damals bei ihr in ihrer Wohnung in München lebte. Die Hintermänner in der Türkei waren mit Thomas Sch. einverstanden.

Der 62-Jährige bekannte sich am Montag zu den Vorwürfen aus der Anklage der Staatsanwaltschaft und legte ein Geständnis ab. Sein Mandant sei "sehr blauäugig" gewesen, sagte Verteidiger Christian Gerber. Der Angeklagte habe sich von den Hintermännern in der Türkei einspannen lassen. Gegen die Männer wird noch ermittelt. Thomas Sch. selbst sagte, dass sein Verhalten "grob fahrlässig" gewesen sei. Ihm sei viel zu spät bewusst geworden, dass er sich auf Betrüger eingelassen habe. Als ihm "ein Licht aufgegangen" sei, sei es bereits zu spät gewesen. Kunden, die auf ihre Ware warteten, wurden zuletzt mit der Zusendung billiger Waffeleisen, Toaster und Puls-Uhren zufriedengestellt.

Nach Verlesung der Anklage kam es auf Initiative der Verteidiger und der Staatsanwaltschaft zu einem Rechtsgespräch mit der Kammer. Thomas Sch. sicherte das Gericht für den Fall eines umfassenden Geständnisses eine Freiheitsstrafe von nicht weniger als drei Jahren und zehn Monaten und nicht mehr als vier Jahren und vier Monaten zu. Eine Verurteilung zu einer höheren Strafe, wie sie die Staatsanwaltschaft zunächst forderte, wäre nur dann realistisch, wenn Sch. der "Drahtzieher" wäre, sagte der Vorsitzende Richter. Die Verteidigerin von Imran A., Rechtsanwältin Birgit Schwerdt, forderte einen Freispruch. Der Prozess wird fortgesetzt.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2019/zara
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