Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Es wurde Licht

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Mit Roland Kaiser endet in der Münchner Olympiahalle die lange Stille. Der Schlagerstar begeistert mehr als 6000 Fans - auch wenn er weiß, dass das nicht allein sein Verdienst ist.

Von Dirk Wagner, München

Hat es je einen euphorischeren Applaus gegeben als den, mit dem Roland Kaiser in der Olympiahalle begrüßt wurde? Noch war der Schlagerstar nur als Schattenspiel auf einem weißen Vorhang zu sehen, da brach bereits ein tosender Beifall die Stille, die 566 Tage in diesem Ort für Großveranstaltungen geherrscht hatte. "Man lebt nur zweimal. Man stirbt nur einmal", sang der 69-jährige. Und mehr als 6000 Zuschauer in der komplett bestuhlten Halle erlebten so etwas wie ein zweites Leben nach einer anderthalbjährigen Nahtoderfahrung der hiesigen Konzertbranche.

Doch weil die Pandemie noch nicht überwunden ist, sollte ein besonderes Hygienekonzept die Besucher in der Olympiahalle schützen. Das schien gut vorbereitet, denn beispielsweise trotz der Prüfung von Impf- und Genesenennachweisen oder Negativtests kam es zu keinen größeren Wartezeiten am Einlass. Und auch die Gastronomie in der Halle war bestens auf ihre Kunden vorbereitet. Lediglich, dass man Getränke nicht zum Sitzplatz mitnehmen durfte, irritierte ein wenig.

Doch auch das interessierte niemanden, als die Schatten der Geigenspielerinnen dann den des Schlagerstars auf dem Bühnenvorhang rahmten. Dazu dieser fast vergessene laute und raumfüllende Sound einer Live-Band. Endlich wieder Konzert! Dann fiel der Vorhang. Der Beifall wurde noch lauter, noch euphorischer. Zuschauer sprangen von den Sitzen. Und Roland Kaiser badete in einer Begeisterung, von der wohl auch er geahnt haben mochte, dass sie nicht nur ihm allein gebührte. Vielmehr entlud sich hier eine monatelang aufgestaute Sehnsucht nach Kulturveranstaltungen in solcher Größe sowie der Dank dafür, dass Kaiser die Hoffnung auf ein Leben nach der Pandemie mit solchem Auftritt nährt. Denn gerade in solchen Zeiten ist die Musik frei nach Shakespeare sogar mehr als nur der Liebe Nahrung.

Für ihre Zubereitung hat Kaiser darum die besten Köche des Landes engagiert. Etwa die Cellistin Lee Caspi, die auch zu Kaisers Produzentinnen zählt. Begleitet von Jörg Weisselbergs Leadgitarre entfachte sie auf dem Cello ein Solo, das fast schon die Rockgeschichte seit der auf der Bühne entflammten Gitarre von Jimi Hendrix hätte neu schreiben können. Oder die Geigerin Jacqueline Lambart, die mit ihren Einlagen jeden Zweifel an der Rocktauglichkeit der Violine zu streichen verstand. Und nicht zuletzt die Saxofonistin Tina Tandler, die sich schon in der DDR als freiberufliche Musikerin behauptete. Seitdem ist sie im Jazz und Blues ebenso daheim wie in der klassischen Musik. Schon 2006 spielte sie in der Band von Roland Kaiser. Zum Luxus seines aktuellen Programms zählt, dass eine solche Ausnahmemusikerin diesmal nur für wenige, auf den Abend verteilte Momente als Akkordeonistin oder eben Saxofonistin auf die Bühne fand. Nichtsdestotrotz zählte auch sie zu jenen starken Frauen, die den immer noch als Frauenschwarm gehandelten Entertainer engelsgleich stützten.

Wobei die Leistungen der mitwirkenden Herren nicht ignoriert werden dürfen. Etwa die des Gitarristen William "Billy" King, der sein Saitenspiel auch mal der Chorsängerin Christiane Eiben überließ, derweil er nun als Sänger im Duett mit Roland Kaiser brillierte. Zusammen sangen sie Willie Nelsons "To All The Girls I Loved Before". Oder der bereits erwähnte Weisselberg, der Puccinis Arie "Nessun Dorma" als warmes Gitarrensolo in gekonnt hohen Tönen erklingen ließ. Mit solchen Köchen gelang Kaiser eine Nahrung der Liebe, die letztlich auch die eigenen Schlager wie "Dich zu lieben", "Santa Maria" oder "Amore Mio" in den verdienten Pophimmel hob. Aus eben diesem entlieh sich Kaiser dann auch den einfühlsam vorgetragenen Elvis-Klassiker "In The Ghetto", den es bald auf Kaisers Weihnachtsalbum zu hören gibt. Doch jetzt feierten seine Fans erst einmal Auferstehung.

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