Olympiadorf:Erzieherinnen verzweifelt gesucht

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Die Leiterin ist weg, die beiden Kinderpflegerinnen sind auch am Ende ihrer Kräfte und haben gekündigt: Für die Eltern-Kind-Initiative Olytollis könnte dies das Aus im Herbst bedeuten. (Foto: Lea Kramer)

13 Kleinkinder sind ohne Betreuungsplatz, falls die private Initiative "Olytolli" im Olympiadorf wegen Personalmangels schließen muss. Auch in den städtischen Kitas sind mindestens 1000 Stellen unbesetzt.

Von Lea Kramer und Birgit Lotze, Olympiadorf

Der gelbe Bollerwagen ist im Olympiadorf bekannt. Mit dem Mehrsitzer ziehen die Olytolli-Kinder fast täglich von Spielplatz zu Spielplatz. 13 Kinder gehören zu der Eltern-Kind-Initiative, die seit 31 Jahren besteht und in einer Atelierwohnung an der Nadistraße 16 untergebracht ist. Wie es mit der Kita weitergeht, ist ungewiss. Findet sie nicht schnell neue Betreuerinnen, muss die Krippe im Herbst schließen. Dann stehen Eltern und Kinder auf der Straße. Ein Schicksal, das die Familien im Olympiadorf mit zahlreichen anderen in München teilen, obwohl Kommune und Staat immer wieder betonen, wie wichtig ihnen frühkindliche Förderung ist und dass sie in den vergangenen Jahren Milliarden investiert haben. Doch Geld allein reicht offenkundig nicht.

"Durch eine Verkettung unterschiedlicher Umstände ist es so, dass unser gesamtes Personal im Laufe eines halben Jahres gekündigt hat", sagt Susanne Habersbrunner, deren zweijähriges Kind in die Olytolli-Krippe geht. Dieses Personal bestand einmal aus einer Erzieherin, die die Krippe leitete und zwei Kinderpflegerinnen, die sie unterstützen. Seit die Leiterin gekündigt hat, hat der Druck auf die ohnehin schon stark beanspruchten Pflegerinnen zugenommen. Ein Kleinkind allein zu betreuen, ist schon eine Herausforderung. 13 Buben und Mädchen als Teilzeitkraft gerecht zu werden, ein enormer Kraftaufwand. In den vergangenen Monaten haben die beiden Frauen ihre Reserven aufgebraucht und schließlich gemeinsam beschlossen, zum Ende des Kita-Jahres zu gehen.

Hilferuf am Zaun: Die Kita Fantasia an der Kreillerstraße in Berg am Laim sucht Mitarbeitern. Banner wie dieses tauchen immer häufiger auf. (Foto: Lea Kramer)

Ein herber Verlust für die Eltern im Olympischen Dorf. "Hier wohnen 6000 Menschen", sagt Olytolli-Mitglied Habersbrunner, "es wäre schlimm, wenn noch einer Krippe die Schließung droht". Erst kürzlich hatte das Haus für Kinder "Frieden Christi", eine öffentliche Einrichtung in der Trägerschaft der katholischen Kirche, seine Gruppe für die jüngsten Kinder wieder reaktivieren können. Trotz großer Nachfrage hatte die Einrichtung lange keine Plätze mehr für unter Dreijährige anbieten können, weil sich weder Pflege- noch Erziehungskräfte fanden.

Schließt eine Kita, haben die Eltern ein Problem, denn der Münchner Norden ist, was Betreuungseinrichtungen angeht, schon jetzt unterversorgt. Insgesamt gibt es im Stadtbezirk Milbertshofen-Am Hart 56 Kindertagesstätten, davon sind 21 städtisch und die anderen 35 von einem freien Träger geführt. Dort gibt es Plätze für Hort-, Kindergarten- und Krippenkinder. Plätze für letztere sind besonders rar. Während die relativ jungen Quartiere nördlich des Frankfurter Rings mit einem Versorgungsgrad von 60 Prozent im städtischen Mittel liegen, gibt es im südlichen Milbertshofen nur für 27 Prozent der Eltern eines Unter-Dreijährigen einen Krippenplatz. Diese Zahlen hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung in der "Soziodemografischen Untersuchung" für Milbertshofen-Am Hart im April vorgelegt.

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Die Betreuungslage ist aber nicht nur im Norden der Stadt angespannt, in ganz München fehlen Erzieherinnen und Erzieher für Krippen, Kindergärten und Horte. Derzeit sind mindestens 1000 Stellen in den städtischen Häusern frei, das heißt, jede zehnte Stelle bleibt unbesetzt. Insgesamt arbeiten 6000 Erzieher, Kinderpfleger oder Sozialpädagoginnen in den 450 städtischen Betreuungseinrichtungen. Darüber hinaus gibt es dem Referat für Bildung und Sport (RBS) zufolge etwa 1050 weitere Kitas und Kindergärten, die Wohlfahrtsverbände oder private Unternehmen verwalten. Mit einer im Frühjahr gestarteten Kampagne will die Stadt neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Kinderbetreuung gewinnen. Unter anderem auf Instagram wirbt sie für die Kita-Jobs. Ob das Konzept die Richtigen erreicht, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Komplett werde jedenfalls keine städtische oder städtisch geförderte Kita aufgrund von Personalmangel geschlossen, sagt RBS-Sprecherin Ursula Oberhuber. "Es kann jedoch vorkommen, dass vorübergehend Betreuungszeiten eingeschränkt werden müssen, weil ein personeller Engpass besteht", räumt sie ein. Bei Neubauten könne es sein, dass sich die Inbetriebnahme auch deshalb verzögere.

Beim Kita-Ausbau, 2019 mit 188 weiteren Millionen Euro bezuschusst, kommt die Stadt voran. Zum Start des Kitajahres 2020/2021 hat sie 23 neue Einrichtungen fertiggestellt, 26 weitere waren im Bau. Im Jahr 2000 gab es in München gerade mal 4360 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Heute sind es mit 23 850 fünf Mal so viele. Ausreichend sind diese aber noch immer nicht. Ende des Jahres 2020 lebten 48 425 Kinder unter drei Jahren in München. Wenn 68 Prozent der Eltern ihr Kind betreuen lassen wollen - das ist die Quote, mit der die Stadt rechnet - fehlen stadtweit 9000 Plätze.

Deshalb kann es sein, dass Eltern mitunter lange Wege zur Kita auf sich nehmen müssen. Die Dauer von 30 Minuten für eine einfache Wegstrecke in öffentlichen Verkehrsmitteln hält das RBS für akzeptabel, auch einige Gerichte haben diese Sichtweise mittlerweile bestätigt. "Jedoch erhält die Mehrzahl der Eltern einen Platz in der Umgebung", so Oberhuber. Die anderen müssen durch die halbe Stadt gondeln. Den Eltern einer privaten Kita in Sendling könnte es genauso gehen. Mitte Juni kam die Kündigung per Post: Man finde kein Personal, Ende September werde deshalb die Kinderzentren-Kunterbunt-Tagesstätte (KiKu) Wildpark an der Lipowskystraße schließen müssen. Die Eltern sollten sich nach einem anderen Betreuungsplatz für ihre Kinder umsehen. Es gebe Verhandlungen mit einem Träger namens Seepferdchen Kita GmbH, diese habe die Absicht, in den Räumen eine neue Einrichtung zu eröffnen, hieß es in dem Schreiben. Die Seepferdchen sind autark, gehören aber wie die Kinderzentren Kunterbunt zur Schulbuch-Verlagsgruppe Klett.

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Betroffen waren knapp 40 Kinder. Für die Eltern kam die Kündigung der Betreuungsverträge völlig unerwartet, einige Kinder hatten sich gerade erst eingewöhnt. Mittlerweile zeichnet sich eine Lösung ab. Die Seepferdchen Kita GmbH hat angekündigt, dass sie den Kindergarten übernehmen will, die Räume und auch das Personal. Die Krippe werde wohl schließen müssen, hieß es. Christina Just, zweite Vorsitzende des Elternbeirats der Krippe, sagt, dass der Träger bei der Suche nach einem Krippenplatz helfe, wenn auch großflächig, sie habe ein Angebot in Giesing bekommen. "Ich arbeite im Süden, ich wohne im Süden und soll jetzt meinen Sohnemann nach Giesing fahren?"

Im Fall der Krippe im Olympiadorf ist alles offen. Zwar gab es Bewerbungsgespräche, einen Vertrag unterzeichnet hat aber noch keiner. Einige Eltern hätten bereits mit der Suche nach einem neuen Betreuungsplatz begonnen, erzählt Susanne Habersbrunner. Da die reguläre Frist für die Platzvergabe durch die zentrale Stelle der Stadt im März abgelaufen ist, ist die Sorge groß, bis zum Herbst vielleicht nichts zu finden. "Wir hoffen und bangen, dass es im Olympiadorf weitergeht", sagt sie. In letzter Zeit habe es aber immer öfter auch schon Gespräche gegeben, "wie das Ganze abgewickelt werden kann".

© SZ vom 16.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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