Süddeutsche Zeitung

München 1972:Unser Waldi und der Bär

Das Maskottchen der Olympischen Spiele ist auch nach 50 Jahren noch ein sympathischer Hund - im Gegensatz zu etlichen seiner Nachfahren, bei denen es auf Vollvermarktbarkeit ankam.

Von Holger Gertz

Das Olympiamaskottchen Waldi ist nach all den Jahren so lebhaft in Erinnerung, weil die Hersteller schon bei der Produktion auf vernünftige Zutaten geachtet haben. So findet man bei Ebay auch fünfzig Jahre später exzellent erhaltene Exemplare, kaum ausgeblichen, für die man hundert Euro und mehr anlegen muss. Aber Waldis Langlebigkeit ist nicht nur eine Frage des Materials. Was ihn von anderen Maskottchen unterscheidet, ist seine Philosophie, das Understatement eines selbstbewussten Kurzbeiners. Olympia ist nicht nur eine sportliche Leistungsshow, auch 1972 waren die Spiele eine Bühne für Revierkämpfe der Weltmächte. Bei Olympischen Spielen in der Schäferhundnation Deutschland nun ausgerechnet den Münchner Herzensdackel als Maskottchen voranzustellen, das typische Haustier eines Münchner Bürgers, war eine umwerfende Idee und Ausdruck des Zeitgeistes. Damals konnte man tatsächlich darauf hoffen, das Martialische, Furchteinflößende habe bald ausgedient.

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, erkennt man, wenn man sich Waldis Nachfolger anschaut. 2014 zum Beispiel, bei den Winterspielen im russischen Sotschi, amtierten ein Hase, ein durchtrainierter Schneeleopard sowie ein etwas untersetzter Eisbär, der Polarbär genannt wurde, was zutreffend war, denn der Polarbär polarisierte. In den Souvenirshops war er zwar schnell ausverkauft. Der ultrarechte Brachialrhetoriker Wladimir Schirinowski aber hatte längst verfügt, der dicke Bär sei "faul", und dem durchtrainierten Präsidenten Putin gefiel der Schneeleopard sowieso besser. Aus dem allerdings, bei den hohen Temperaturen in Sotschi, schnell ein Tauwetterleopard wurde.

Jedenfalls: ein Politikum mittlerweile, diese Maskottchen. Etwas Gebieterisches dürfen sie schon haben, weshalb Bären gern engagiert werden. Auch in Moskau 1980, Calgary 1988, Salt Lake 2002, Pyeongchang 2018 wachten Mitglieder der weitverzweigten Bärenfamilie über olympische oder paralympische Spiele, 2000 in Sydney ein Stachelameisenbär, 2010 in Vancouver sogar ein Geisterbär. Gefragt waren außerdem Tiger, Wolf und Pyrenäenberghund. Inzwischen treten oft größere Maskottchengruppen in Erscheinung, weil: Wenn man ein Tier verkaufen kann, warum soll man nicht drei verkaufen können?

Der Münchner Dackel war ein Einzelkämpfer, das nächste Alleinstellungsmerkmal Waldis, der von der jungen Künstlerin Elena Schwaiger kreiert worden war, unter Aufsicht des Design-Riesen Otl Aicher natürlich, und nach klar umrissenen Vorgaben, was Farbe und Form anging, zum Beispiel: "Kopf und Schwanz in himmelblau." Schon Anfang 1972 waren zwei Millionen Exemplare in mehr als hundert Ländern verkauft worden, die SZ titelte: "Olympia-Waldi als Goldesel", aber die Erträge waren überschaubar. Jedenfalls im Vergleich zu später, 1984 in Los Angeles, als die Spiele in ihre aktuelle Hochkommerz-Epoche eintraten. Da waren Experten aus den Disney-Studios im Einsatz, um das Maskottchen zu entwerfen, so entstand der Weißkopfseeadler Sam, Comicwesen und Nationaltier in einem, ein auf Vollvermarktbarkeit getrimmter Überflieger. Die Farbgebung folgte dem unausgesprochenen Grundsatz: Riesenschnabel und Monsterfüße in dottergelb.

Waldi war erst das zweite Maskottchen der olympischen Geschichte, 1968 in Grenoble war "Shuss" aus den Kulissen hervorgebraust. Kein Biathlet, wie der Name vermuten ließe, sondern ein kleiner Skifahrer. In tieferer Erinnerung geblieben sind die wenigsten Maskottchen, vor allem die Kreationen aus der jüngeren Vergangenheit verlieren sich in ihrem Geflecht aus Ansprüchen: Merchandise-tauglich sein und irgendwie das wieder so wichtige Nationalgefühl bedienen müssen und dabei bitte auch noch attraktiv für junges Publikum bleiben. So sind zuletzt oft analog-digitale Zwischenwesen entstanden, geeignet fürs Stofftierregal und fürs Computerspiel, überladen mit Bedeutung. In Peking in wenigen Wochen nimmt zum Beispiel der Panda Bing Dwen Dwen seinen Dienst auf, der eine Ganzkörperschale aus Eis trägt, die einem Astronautenanzug ähnelt und, laut offizieller Website - "ein Tribut an die Umarmung neuer Technologien für eine Zukunft mit unendlichen Möglichkeiten" sein soll. Gewaltiger Ballast auf den Schultern eines einfachen Pandas.

Dass nach Waldi allerdings gar nichts Brauchbares mehr gekommen wäre, kann man auch nicht sagen. Cobi zum Beispiel, jener schon erwähnte Pyrenäenberghund von den Sommerspielen 1992 in Barcelona, ein hübsches kubistisches Kunstwerk des Designers Javier Mariscal. Sperrig, nicht auf den ersten Blick ein Herzenswärmer, aber dann doch angekommen bei den Menschen, in Barcelona und dem Rest der Welt. Kann natürlich sein, dass das auch mit der Zeit zusammenhängt, in der er antrat. 1992, da war die Mauer gerade weg, da schien die Welt tatsächlich zusammenzuwachsen. Da sah es aus, als würde alles besser. Im Gegensatz zur Gegenwart.

Oder 1976, da trat Montreal mit einem Wappentier an, das zum Kanadier gehört wie der Dackel zum Münchner. Amik war ein Biber, ein Biber ist auch auf der 5-Cent-Münze und im alten Wappen Montreals. Der Biber ist geduldig, arbeitet hart, sein Pelz war wichtiges Handelsgut. Der Maskottchen-Biber von 1976 hatte keine Ganzkörperschale aus Eis, aber er hatte etwas vom selbstironischen Charme seines Vorgängers Waldi.

Der übrigens nicht nur in München in guter Erinnerung ist, sondern weltweit. Man begegnet ihm hier, man begegnet ihm dort. Im Lausanne zum Beispiel gibt es im Olympischen Museum einen Shop, in dem auch die bemerkenswertesten Maskottchen der Vergangenheit zu kaufen sind, neu aufgelegt natürlich. Der gute alte Waldi - Schwanz und Kopf in himmelblau - muss sich auch in diesen Regalen nicht verstecken, vor keinem Bären, keinem Tiger.

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