Olympia-Attentat 1972:Gedenken im Geist der Athleten

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"Wir wollen so an die Toten erinnern, wie sie gelebt haben", sagt die israelische Generalkonsulin für München, Sandra Simovich (vorne ohne Fahrrad). (Foto: Robert Haas)

Eine Fahrradtour erinnert an die elf Sportler und den Polizisten, die beim Anschlag auf das israelische Mannschaftsquartier von palästinensischen Terroristen getötet wurden.

Von Julian Hans

Man kann sich an diesem Morgen im Olympiapark vorstellen, wie es zugegangen sein mag im Lager der israelischen Mannschaft, bevor im Morgengrauen des 5. September 1972 die Geiselnehmer zuschlugen: Mehrere Sprachen werden durcheinander gesprochen. Die Geburtsorte der Teilnehmer liegen verstreut um den Globus.

Etwas von dieser Atmosphäre ist 48 Jahre später wieder zu spüren, als sich am Freitagmorgen etwa 50 Personen am Gedenkort für die elf Athleten und den deutschen Polizisten im Olympiapark versammeln, die bei dem Attentat getötet wurden. Man hört Englisch und Russisch, Hebräisch und Deutsch.

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Die Lebensläufe von elf Isrealis und einem Deutschen, die bei dem Anschlag ums Leben kamen, sind auf Tafeln an der Gedenkstätte in München geschrieben - gegen das Vergessen.

Es war die Idee von Sandra Simovich, der Generalkonsulin von Israel in München, das Gedächtnis an die Getöteten in diesem Jahr mit einer besonderen Aktion wach zu halten. Nicht allein mit Trauerreden, sondern auch mit einer Unternehmung, die etwas vom Geist dieser Mannschaft lebendig werden lässt. "Wir wollen so an die Toten erinnern, wie sie gelebt haben", sagt Simovich. "Und ihr Leben war mit dem Sport verbunden." Deshalb steigen nach einer kurzen Ansprache der Generalkonsulin die Gäste auf ihre Fahrräder und radeln zusammen anderthalb Stunden lang 25 Kilometer über die Dörfer und durch die Felder bis zum Fliegerhorst Fürstenfeldbruck.

In der Connollystraße 31 im Olympischen Dorf hatte die Geiselnahme begonnen. Dort, wo vor drei Jahren das Mahnmal an die Opfer errichtet wurde, im Kolehmainenweg 11, war damals der sogenannte Pressehügel: Hier hatten die Fotografen und Fernsehleute ihre Kameras aufgebaut. Die grobkörnigen Bilder der Terroristen auf einem Balkon sind zu einem Symbol des Schreckens geworden, der damals München, Deutschland und die Welt erfasst hat, vor allem aber den noch jungen Staat Israel.

Der Hass von damals existiert noch immer: Die Polizei eskortiert die Teilnehmer

Das andere Bild ist das des ausgebrannten Helikopters am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Mosche Weinberg, der Trainer der Ringer, und der Gewichtheber Josef Romano wurden schon am Morgen der Geiselnahme getötet. Neun weitere Athleten starben bei der gescheiterten Befreiungsaktion in der Nacht auf den 6. September in Fürstenfeldbruck. Dort verlor auch der Münchner Polizist Anton Fliegerbauer sein Leben. Die Radtour verbindet beide Erinnerungsorte.

"Man kann hier viel lernen über die israelische Gesellschaft und ihre Heterogenität", sagt Michael Bader vom bayerischen Kultusministerium. "Die meisten der Getöteten waren Einwanderer aus der Sowjetunion und aus Osteuropa." Zum Beispiel der Gewichtheber Zeev Friedman, dessen Familie 1960 über Polen nach Israel fliegen konnte. Eine Postkarte, die er am 26. August 1972 aus dem Olympischen Dorf an seinen Vater verfasste, ist als Faksimile am Gedenkort abgebildet. "Ich habe hier viele alte Freunde getroffen", schreibt er auf Russisch. "Gib Mama einen Kuss. Wir sehen uns bald zuhause". Die Karte erreichte die Eltern erst nach seinem Tod.

Während der Radtour über Land ist Gelegenheit, über die Sportler zu sprechen. Und über jüdisches Leben in Deutschland heute. Der ADFC hat sich angeschlossen und die Route ausgewählt, Mitglieder des jüdischen Sportvereins Maccabi radeln mit. Die Bürgermeisterin Katrin Habenschaden von den Grünen stößt in Olching dazu, und das Münchner Polizeipräsidium ist auch vertreten. Nicht nur weil ein Münchner Polizist unter den Opfern war, sagt Fabian Frese, der im Büro des Polizeipräsidenten arbeitet. "Wir wollen Solidarität zeigen. Sowohl mit den jüdischen Mitbürgern als auch mit den Gästen aus Israel".

Die Attacke, mit der palästinensische Terroristen nicht nur eigene Landsleute aus israelischen Gefängnissen freipressen wollten, sondern auch die deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof, sei damals einer von mehreren antisemitischen Angriffen in Bayern gewesen, erinnert Frese. Zwei Jahre zuvor hatten arabische Terroristen einen Anschlag auf eine israelische Maschine am Flughafen Riem verübt. Im selben Jahr starben sieben Bewohner eines jüdischen Seniorenheims in der Reichenbachstraße bei einem Brandanschlag. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Als Lehre aus der Geiselnahme und der gescheiterten Befreiung wurden später die Spezialeinheiten GSG 9 und SEK gegründet.

Fast ein halbes Jahrhundert später ist das Leben für Juden in Deutschland noch immer nicht sicher. Die Radtour wird von der Polizei eskortiert, der Generalkonsulin wurde davon abgeraten mitzufahren. "Der Hass von damals ist heute noch lebendig", warnt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Jüdischen Gemeinde München, auf der Gedenkfeier. "Unsere Gesellschaft ist nur dann sicher und frei, wenn Sicherheit und Freiheit für alle gewährleistet ist."

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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