Olympia 1972:Wie zwei Männer die Spiele nach München holten

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"München ist Olympiastadt": Die Nachricht, dass die Sommerspiele 1972 nach München vergeben wurden, war damals ein Extrablatt wert. (Foto: Fritz Neuwirth/SZ Photo)

Der Sportpolitiker Willi Daume und der Kommunalpolitiker Hans-Jochen Vogel nutzen Mitte der Sechzigerjahre eine einmalige Chance: Sie holten die Olympischen Spiele nach München - in einer Schnelligkeit, über die man heute nur staunen kann.

Von Joachim Mölter

Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel ahnte nicht, was noch alles auf ihn zukommen sollte, als sich am 28. Oktober 1965 die Tür seines Büros öffnete und ein Gast den Raum betrat, dem er zuvor noch nie begegnet war: Willi Daume, Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), hatte kurzfristig um einen Termin gebeten. Der mächtigste Sportpolitiker der Bundesrepublik hielt sich nicht lange auf mit Vorgeplänkel, er kam schnell zur Sache: "Warum bewirbt sich München nicht um die Olympischen Spiele?"

Vogel begriff sofort, dass das keine Frage war, sondern eine Aufforderung. Er brachte erst mal nur ein Wort heraus: "Sauber!"

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Es war verwegen, fast utopisch, was Daume da ins Gespräch brachte, zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, knapp dreißig nach den Propaganda-Spielen der Nazis in Berlin. Vogel bat um Bedenkzeit, aber er brauchte nicht lange, um zu realisieren, dass sich eine einmalige Chance bot, nicht nur für München. "Wir könnten zeigen, dass wir ein ganz anderes Deutschland sind als das von 1936", erinnerte er sich später.

Und so machten sich zwei Männer ans Werk, die Olympischen Spiele nach München zu holen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Die Macher von München '72: Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (links) und Deutschlands oberster Sportpolitiker Willi Daume. (Foto: Sven Simon/Imago)

Da Willi Daume, Jahrgang 1913, Fabrikantensohn und später selbst erfolgreicher Unternehmer in Dortmund; ein leidenschaftlicher Sportler, vor Olympia '36 vom Hand- zum Basketballer umgeschult, bei den Spielen dann aber nicht eingesetzt; emotional und visionär.

Dort Hans-Jochen Vogel, Jahrgang 1926, in Göttingen geborenes Kind eines aus München stammenden Akademikerhaushalts und selbst studierter Jurist; sportlich unbedarft; nüchtern und pragmatisch.

Sie hatten auch ganz unterschiedliche Beweggründe: Der Sportpolitiker Daume wollte das Land mit einem Weltereignis aufwerten, der Kommunalpolitiker Vogel seine Stadt modernisieren. Es war "ein ehrgeiziges und opportunistisches Bündnis", das die beiden Männer eingingen, befanden die Historiker Kay Schiller und Christopher Young in ihrem Standardwerk "The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany". Und es war eine erfolgreiche Allianz: Am 26. April 1966 - nur ein halbes Jahr nach dem ersten Treffen von Daume und Vogel - erhielt München bei der Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Rom den Zuschlag für die Ausrichtung der Sommerspiele von 1972.

Was später in sechs Jahren nicht gelang, hatten Daume und Vogel in sechs Monaten geschafft

Es ging rasend schnell damals, das kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Als sich München später noch mal um Olympia bewarb, um die Winterspiele 2018, kam die Idee 2005 auf. Es dauerte dann mehr als zwei Jahre, bis das NOK die Stadt im Dezember 2007 als nationalen Kandidaten nominierte, und weitere zwei bis zur offiziellen Bewerbung beim IOC im Sommer 2009. Danach wurden die Finalisten - München, Pyeongchang/Südkorea und Annecy/Frankreich - zwei Jahre auf ihre Tauglichkeit geprüft. Im Juli 2011 votierten die IOC-Mitglieder schließlich für Pyeongchang, weil sie von Asiens lukrativem Markt profitieren wollten und sich die Stadt schon zweimal vergeblich beworben hatte. In München hatten sie danach keine Lust mehr auf einen weiteren Anlauf.

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Was damals in sechs Jahren nicht gelang, hatten Daume und Vogel in sechs Monaten geschafft. In der Zeit, in der heute eine Machbarkeitsstudie erstellt werden würde, hatten sie längst alles gemacht.

Mitte der Sechzigerjahre waren die sportpolitischen Rahmenbedingungen freilich andere. 1956, 1960 und 1964 hatten gesamtdeutsche Mannschaften bei Olympia mitgemacht, 1968 sollten die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erstmals mit separaten Teams antreten, aber noch unter gleicher Flagge (Schwarz-Rot-Gold mit weißen Olympia-Ringen) und mit gleicher Hymne (Ode an die Freude). Bei seiner Sitzung am 8. Oktober 1965 in Madrid beschloss das IOC dann, der DDR bei den Spielen 1972 die volle Eigenständigkeit zu gewähren - sie also mit eigener Fahne und eigener Nationalhymne auftreten zu lassen.

IOC-Präsident Brundage bringt Daume auf die Idee mit der Bewerbung

Der bundesdeutschen Politik missfiel das ebenso wie dem IOC-Präsidenten Avery Brundage. Der Amerikaner war als Freund der Nazis bekannt, als Juden- und als Kommunistenhasser. Auf seine alten Tage war Brundage, damals 78, indes von seinem Council überstimmt worden in Sachen DDR - woraufhin er dann wohl Daume auf die Idee einer Olympia-Bewerbung der BRD für 1972 brachte. Wenn sein Council den Ostdeutschen entgegenkomme, so signalisierte Brundage, sei es sicher auch zu einem Zugeständnis an die Westdeutschen bereit.

Weil Berlin als Austragungsort ausschied wegen '36 und des komplizierten Vier-Mächte-Status der geteilten Stadt, stand Willi Daume keine drei Wochen nach dem IOC-Entscheid zur DDR vor Hans-Jochen Vogels Tür in München.

Der hatte im Grunde gar keine Zeit, lange zu überlegen: Am 31. Dezember 1965 war schon Einsendeschluss für Bewerbungen beim IOC in Lausanne. Daume und Vogel starteten also einen Parforceritt durch die Institutionen. Ein Jahr bevor es in der Bundespolitik zur großen Regierungskoalition kommen sollte zwischen CDU/CSU und SPD, schmiedeten das CDU-Mitglied Daume und der SPD-Politiker Vogel "ihre eigene Große Koalition", wie Schiller und Young es formulierten.

Vogel rief umgehend Bayerns Ministerpräsidenten Alfons Goppel (CSU) an und sicherte sich die Unterstützung des Freistaats. Am 29. November besuchten Daume, Vogel und Goppel den Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) in Bonn und überzeugten auch ihn von der Sache. Sie einigten sich, dass Stadt, Land und Bund die Spiele zu je einem Drittel finanzieren sollten. Am 2. Dezember stimmte der Haushaltsausschuss des Bundestages zu, am 8. Dezember der ganze Bundestag, am 14. Dezember die bayerische Regierung, am 18. Dezember das NOK der BRD, am 20. Dezember Münchens Stadtrat. Einen Tag vor Bewerbungsschluss, am 30. Dezember 1965, lagen die Unterlagen beim IOC auf dem Tisch.

Anschauungsobjekt: Willi Daume (Zweiter von links) und Hans-Jochen Vogel (rechts) zeigen beim IOC-Kongress 1966 in Rom dem griechischen König Konstantin und dessen Gattin Anne-Marie das Modell des Münchner Olympiageländes. (Foto: Horstmüller /Imago)

Nun mussten noch die IOC-Mitglieder überzeugt werden. Die Erinnerung, dass München zu Zeiten der Nazis als "Hauptstadt der Bewegung" firmierte, wurde von den deutschen Lobbyisten verdrängt mit dem Hinweis, dass ja nun ein unbelasteter Mann die Stadt regierte, der nicht mal 40-jährige Vogel. Zudem kam es gelegen, dass München vergleichsweise nur mittelgroß war und eine Abkehr vom Gigantismus versprach, der das IOC 1964 in Tokio verschreckt hatte. Den vermeintlichen Nachteil, dass es in München zu der Zeit keine einzige Wettkampfstätte gab, die internationalen Standards genügte, verwandelten Daume, Vogel und Co. sogar in einen Vorteil: Alles könne nach den Wünschen der Sportverbände neu gestaltet werden auf einem brachliegenden Gelände im Norden der Stadt.

Dass die Bundesregierung in jenen Tagen dem einen und anderen Heimatland eines IOC-Mitglieds mehr Entwicklungshilfe in Aussicht stellte, hat dem Vorhaben offensichtlich auch nicht geschadet. Als Ende April '66 in Rom der Olympia-Ausrichter 1972 unter München, Montreal, Madrid und Detroit gewählt wurde, bekam München schon im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit von 31 Stimmen der 61 IOC-Mitglieder. Damit war die Vorgeschichte vorbei, die Geschichte konnte beginnen.

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