Was für ein Kontrast: Auf der einen Seite eine kunterbunte Olchi-Welt voller Witz, Liebe, Fürsorge. Und auf der anderen die eigene Kindheit: Strenge, Scham, Prügel. Erhard Dietl, der später Generationen von Kindern mit seinen Olchi-Geschichten glücklich macht, erlebte selbst in Regensburg alles andere als eine glückliche Familie. Seinem launischen, prügelnden Vater hat der erfolgreiche Autor jetzt ein Buch gewidmet: "Ein Vater wie meiner" (Oetinger-Verlag).
Erhard Dietl sitzt wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag in seinem Atelier in München-Haidhausen. Die Regale sind bis zur Decke gefüllt mit Olchi-Büchern, an den Wänden hängen Plakate, von denen die knuddeligen grünen Wesen fröhlich in die Welt blicken. Sein Alter sieht man dem Autor und Zeichner nicht an, auch nicht, dass die Arbeit an dem Buch ihn womöglich aufgewühlt haben könnte.
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Dabei ist das, was er sich da von der Seele schrieb, durchaus verstörend. Zärtlich, sagt Dietl, war der Vater nur zum Dackel. Seine Frau und die Kinder mussten spuren. "Dass er meine kleine Schwester, die noch keine drei Jahre alt war, geschlagen hat, das konnte ich ihm nie verzeihen." Er selbst wird noch verprügelt, als er schon fast ein junger Mann ist. Mit 15, erinnert er sich, schleicht er sich wieder mal mit einem schlechten Zeugnis nach Hause. Erst erntet er eine schallende Ohrfeige. Dann rastet der Vater völlig aus. Er schlägt mit Fäusten auf seinen Sohn ein und tritt nach ihm, auch als der schon wimmernd am Boden liegt. "Ich befürchtete, er wusste nicht mehr, was er tat, und würde nicht mehr aufhören können, bis er mich am Ende totgeprügelt hätte", schreibt Dietl im Buch. Er habe den Vater oft gehasst. Und doch immer um seine Anerkennung gerungen. "Ich wollte etwas vorweisen können, was er gut findet."
Zur Zeit arbeitet er am zweiten Olchi-Kinofilm, am nächsten Buch
Der Vater ist vor mehr als 20 Jahren gestorben, das genaue Datum weiß Dietl gar nicht mehr. Er hat längst Abstand gewonnen. Wie er da sitzt und erzählt, wirkt er entspannt, lacht immer wieder während des Gesprächs. Zur Zeit arbeitet er am zweiten Olchi-Kinofilm, am nächsten Buch. Es gibt Olchi-Bilderbücher, Geschichten für die ersten Lesestunden, Spiele, Rätsel, Bastelsets. Seit 30 Jahren zeichnet der Münchner die kleinen grünen Wesen mit den drei Hörnern auf dem Kopf und erfindet lustige Geschichten für sie. Mehr als 40 Bücher sind es bis heute.
Wer die Olchis noch nicht kennt, dem sei gesagt: Sie leben auf einer Müllkippe in Schmuddelfing, sie furzen, fluchen, stinken, sie essen Schuhsohlen, trinken Fahrradöl, baden im Schlamm und können Ordnung nicht ausstehen. Aber sie sind eine glückliche Großfamilie. Alle kümmern sich umeinander, um Gesetze kümmern sie sich eher wenig.
"Ja, klar", sagt Dietl jetzt, "es liegt schon nahe, dass ich mir damit eine heile Welt geschaffen habe, die ich selbst nicht hatte. In der Kinder Vertrauen und Geborgenheit erleben." Das erzkatholische Regensburg der 1950er Jahre und die unglückliche Ehe seiner Eltern sind die Umgebung, die ihn prägt. Der kirchliche Kindergarten, in den ihn seine Mutter stecken will, befindet sich im dunklen Kohlenkeller eines Stadthauses. Der kleine Erhard weigert sich, dorthin zu gehen und bekommt Schlafstörungen vor lauter Angst. Die Mutter verabreicht ihm Contergan als Gegenmittel.
Neben Dietls Zeichentisch steht seine Gitarre. Er hat gerade eine CD aufgenommen, Titel: "Oide Buidl". Widmung: "Für mein Vatter." "Aus Trotz", sagt Dietl und lacht, "denn so eine Auseinandersetzung, die hört ja nie auf." Und während das Buch seltsam emotionslos, fast protokollarisch geschrieben ist, sind die Lieder umso berührender. Dietl hat eine tiefe bayerische, lyrische Stimme, wenn er singt. Die Musik für die fünfköpfige Band, in der sein Sohn mitspielt, ist vielseitig arrangiert. Bei seinen Lesungen trägt er auch ein paar dieser Lieder vor. Zum Beispiel das vom Teufel: "Die zehn Gebote muss i auswendig kenna, der Teufel spuit sei Liad wie a Rattenfänger. Er spuit so leise auf ana glühenden Trompet'n, und i geh zum Beichten und zum Beten."
Bei der Großmutter hängt ein Papstbild im Wohnzimmer. Ab und zu dürfen die Kinder dort "Heilige Messe" spielen: "Mit meiner Kirchen-Ausrüstung zog ich hinüber ins großelterliche Wohnzimmer, machte eine Nische im dunklen Nusssbaum-Buffet zum Altar, las in meinem kleinen Gebetbuch und betete für bessere Schulnoten und gegen das Herzstechen meines Vaters", schreibt Dietl im Buch. Und beim monatlichen Beichten in der Kirche fragt der Pfarrer immer: Bist du unkeusch gewesen?
Er habe lange gebraucht, bis er das schlechte Gewissen, die ständige Scham ablegen konnte, sagt Dietl. Aber es gibt auch kleine Fluchten aus dieser Enge. Die Großeltern, die in der Nähe wohnen, sind großzügig. Der Opa bringt dem Enkel das Schafkopfen bei und hört ihm zu. "Er war wie ein Freund für mich, und er hatte immer Zeit", sagt der Autor. "Das fehlt manchen Kindern heutzutage ja." Und dann waren da noch die langen Nachmittage an der Donau. "Dort waren wir Kinder wirklich frei, da wusste kein Erwachsener, was wir tun."
Er illustrierte Bücher von Kirsten Boie, Christine Nöstlinger, Joachim Ringelnatz, Erich Kästner
Als er 16 ist, zieht die Familie nach München. Dietl entdeckt die Musikclubs, raucht die ersten Joints im Englischen Garten. Geht zum "Steppenwolf"-Konzert in den Circus Krone. Weil er schon immer sehr gut gezeichnet hat, verlässt er das Gymnasium und geht auf die Grafikerschule, dann wird er an der Kunstakademie aufgenommen. Mit Zeichnungen für Kinderzeitschriften verdient er nebenher Geld. Bald ist auch die "Sesamstraße" dabei und das "Sternchen" des Magazins Stern. Er illustriert Bücher von Kirsten Boie, Christine Nöstlinger, Joachim Ringelnatz, Erich Kästner. Und eines Tages im Jahr 1990 sitzt er vor einem weißen Blatt Papier - und die Olchis entspringen seiner Feder.
Hat sein Vater je seinen Erfolg gewürdigt? "Vielleicht war er stolz auf mich, gezeigt hat er es nicht." Der Vater ist freiberuflicher Redakteur, später Fotograf, immer ohne Geld. "Als ich 15 war", erinnert sich Dietl, "hab' ich mit meinem ersten Ferienjob 600 Mark verdient." In der Essiggurkenfabrik, ein harter Job. Der Teenager will sich eine Elektrogitarre kaufen. Da drängt der Vater, der wieder mal knapp bei Kasse ist, ihm das Geld zu leihen. "Ich sah es nie wieder." Seinen Frust ertränkt das Familienoberhaupt in Alkohol. In München fotografiert er einige Jahre für die CSU, kommt angeblich Franz Josef Strauß nahe und verdient sich zusätzliches Geld, indem er für die DDR spioniert. Das alles bleiben aber Andeutungen. "Ich bereue es, dass ich es nie geschafft hab, mit ihm über sein Leben zu sprechen", sagt Dietl.
Was er weiß, stammt zum größten Teil aus Erzählungen seiner Mutter. Sie hat auch vieles aufgeschrieben, das war ihr Ventil, denn aufzubegehren wagt die bigotte Frau nicht. Sie nimmt hin, dass der Vater seine Geliebte mit nach Hause bringt und ihr erklärt: "Du wirst heut Abend Rahmschnitzel kochen, weil die Eva kommt. Sie hat die ganze Woche nichts Gescheites zu essen gehabt." Zum Ausgleich lädt die Mutter den Pfarrer zum Sonntagsbraten ein. "Sie hat noch lange nach dem Tod des Vaters Alpträume gehabt", sagt Dietl, "aus Angst, er könnte zurückkommen."
"Ich kann nur jedem raten: Schreibt eure Geschichte auf. Es geht euch hinterher besser."
Ihn selbst habe das Schreiben befreit. "Ich kann nur jedem raten: Schreibt eure Geschichte auf. Es geht euch hinterher besser." Geholfen hat ihm sicher auch seine eigene Familie. Er hat zwei Kinder aus erster Ehe und drei Enkel, und mit seiner zweiten Frau eine zwölfjährige Tochter - "das ist ein großes Glück. Ich hab versucht, bei meinen eigenen Kindern alles anderes zu machen."
Jede Woche bekommt der Olchi-Schöpfer Post von seinen kleinen Fans, per Brief oder Email. "Ich antworte allen", sagt er und grinst. "Sonst würden die sich ja ärgern."