Süddeutsche Zeitung

Anschlag auf das Oktoberfest 1980:Berlin kündigt Entschädigung für Attentatsopfer an

Weil die Tat nun als Terror gewertet wird, können die Verletzten des Oktoberfestanschlags jetzt auf finanzielle Hilfe vom Bund hoffen. Noch sind die Opfer aber skeptisch.

Von Annette Ramelsberger

Als die Bundesanwaltschaft am Mittwoch erklärte, sie stelle nach fünfeinhalb Jahren die Ermittlungen nach möglichen Hintermännern des Oktoberfestanschlags ein, da war die Enttäuschung unter den Opfern groß, sie reagierten mit einer Mischung aus Bitterkeit und jahrzehntelang geübter Hinnahme von Rückschlägen. Nur der damals schwer Verletzte Hans Roauer konnte wenigstens etwas Gutes in der Entscheidung entdecken: Immerhin sei die Bewertung des Anschlags als rechtsextremistische Terrortat und nicht als Amoktat eines labilen jungen Mannes "eine kleine Genugtuung" nach so langer Zeit, erklärte er.

Die kleine Genugtuung könnte bald größer ausfallen. Denn die Bewertung des Anschlags als terroristischer Akt ist der Schlüssel zu einem Fonds der Bundesregierung, der Opfer von Terror- und Extremismustaten entschädigt. Und den will die Bundesregierung nun öffnen. Eigentlich können nur Menschen entschädigt werden, die nach 1990 Opfer von Terrortaten wurden - außer, wenn es sich um "besonders schwere Vorkommnisse" handelt. Als das hat das Bundesjustizministerium nun wohl das größte Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik eingestuft. Bei dem Bombenanschlag am 26. September 1980 in München wurden 13 Menschen getötet und 211 zum Teil schwerst verletzt.

Das Bundesjustizministerium in Berlin kündigte am Donnerstag, nur einen Tag nach der Entscheidung der Bundesanwaltschaft, an, man werde in Gespräche eintreten, wie die Münchner Opfer entschädigt werden können. "Wir sind der Auffassung, dass das Leid der Betroffenen des Oktoberfestattentats weitere Anerkennung durch den Staat erfahren sollte", erklärte der Sprecher. "Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Generalbundesanwalt eine rechtsextremistische Motivation der Tat festgestellt hat."

Auf diese Entscheidung hatte schon das Bundesamt für Justiz verwiesen, das für die konkreten Auszahlungen aus dem Opferfonds zuständig ist. Man sei zwar aufgeschlossen, müsse aber die Entscheidung der Bundesanwaltschaft abwarten, schrieb der Präsident des Amtes schon vor einem Jahr an die Stadtspitze. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte sich mehrfach persönlich an das Justizministerium gewandt.

"Ich begrüße es sehr, dass es jetzt eine Entschädigung vom Bund für die Opfer gibt - es hat lange gedauert", sagte Reiter am Donnerstag. "Umso wichtiger ist es, dass diese Entschädigung möglichst unbürokratisch und schnell an die Betroffenen ausbezahlt wird." Ähnliches hat auch der Anwalt vieler Attentatsopfer Werner Dietrich gefordert. Der Marathon mit dem Nachweis von Verletzungen und ärztlichen Attesten, den die Betroffenen seit 40 Jahren erlebten, dürfe nicht wieder von vorne losgehen, sagte Dietrich.

Robert Höckmayr, der als Zwölfjähriger den Tod zweier Geschwister erlebte und selbst schwer verletzt wurde, hatte bereits vor einigen Jahren einen Antrag auf Entschädigung aus dem Opferfonds gestellt. Er hat seitdem nie wieder etwas gehört. "Ich glaube erst, dass wir was kriegen, wenn das Schwarz auf Weiß bei mir auf dem Tisch liegt", sagt er. Höckmayr, 51, kann immer noch nicht fassen, warum der Staat 40 Jahre brauchte, um zu erkennen, dass es sich bei dem Anschlag auf das Oktoberfest um einen Terrorakt handelte.

Die Stadt München will es nicht bei finanzieller Entschädigung belassen - wenn denn überhaupt bald eine kommen sollte. Die Stadt will zum 40. Jahrestag des Anschlags am 26. September einen neuen Informationsort "Dokumentation Oktoberfest-Attentat" erarbeiten, der am Jahrestag eröffnet wird. "Dieser Informationsort wird insbesondere die Perspektiven der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen", sagte Reiter. Auch bei der Gedenkveranstaltung der Stadt München in Kooperation mit der DGB-Jugend sollen die Überlebenden des Anschlags eingebunden sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4962146
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.07.2020/syn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.