Wiesn 2022:Kuscheln gegen Putin

Wiesn 2022: Große Zelte und Brauereien stellen auf der Wiesn erneut unter Beweis, wie feinfühlig sie auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren.

Große Zelte und Brauereien stellen auf der Wiesn erneut unter Beweis, wie feinfühlig sie auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren.

(Foto: Ralph Peters/imago)

Auf dem Oktoberfest wird dieses Jahr Verzicht geübt: auf Heizstrahler, Fleisch und sogar die "Layla". Über die Wiesnwirte, ihre Liebe zum Planeten - und wo sie ihre Grenzen hat.

Glosse von Christian Mayer

Seit jeher wissen die Münchner, was sie an ihren Wiesnwirten haben, die Gastronomen auf dem Oktoberfest stehen für ganz besondere Werte, für Barmherzigkeit, Generosität, moralisches Handeln und die Abkehr vom Profitdenken. Um überhaupt nur in die engere Auswahl für diese wichtige Aufgabe zu kommen, müssen die Bewerber nachweisen, dass es ihnen keinesfalls um ihre Karriere oder ums Geldverdienen geht, sondern ausschließlich um das seelische Wohl ihrer Gäste sowie um eine nachhaltige Wirtschaft, denn als Wiesnwirt rettet man obendrein noch das Weltklima und schafft Anreize zur globalen Entspannung, ist doch klar.

In dieser Woche haben die Chefs der großen Zelte und die Münchner Brauereien erneut unter Beweis gestellt, wie feinfühlig sie auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren: Sehr gerne, so verkündeten sie mit stolz geschwellter Brust, wollen sie in dieser schwierigen Zeit ihren Beitrag leisten. "In so einer Energiekrise müssen wir alle zusammenhalten", formulierte es Festwirt Christian Schottenhamel. Wegen der Gasknappheit werde man in diesem Jahr auf Heizstrahler in den Biergärten verzichten - also weg mit den wärmenden Pilzen, Zusammenrücken ist jetzt erste Wiesnpflicht, Kuscheln gegen Putin. Was für ein starkes Signal! So können sich die Münchner mit der kühlen Maß in der Hand auch gleich schon mal an die neuen Raumtemperaturen in diesem Inflationswinter gewöhnen.

Die Liebe zum Planeten ist bei den Wiesnwirten enorm ausgeprägt, daher gibt es in diesem Herbst eine weitere wichtige Neuerung. Erstmals kann man in einigen Zelten in den Genuss veganer Weißwürste kommen, was ganz sicher großen Anklang finden wird bei der Mehrheit der Gäste; gelebter Hedonismus auf Basis von Erbsenproteinen, das passt doch perfekt zum veganen Bier! Kein Wunder, dass der Wiesnchef Clemens Baumgärtner völlig aus dem Häuschen ist bei so viel Öko-Bewusstsein, ist er doch selbst ein Sinnbild für die neue Volksfest-Askese.

Nur der Vorschlag der Grünen, auf dem Oktoberfest künftig nur noch Bio-Hendl zuzulassen, scheitert bisher am Widerstand der Großgastronomen. Schließlich könne man die dadurch entstehenden Mehrkosten nicht durch Preisaufschläge an die Gäste weitergeben, ließ Wirtesprecher Peter Inselkammer wissen. Ja, so kennen wir sie, unsere sozial eingestellten Wiesnwirte, ohne die München ein deutlich ärmerer Ort wäre.

Selbstverständlich setzt man auf der Wiesn 2022 auch kulturell auf Deeskalation und Befriedung aller gesellschaftlicher Teilgruppen. Der Ballermann-Song "Layla" über das geile Wirken einer Puffmutter soll daher in den Zelten nicht gespielt werden, wegen offenkundiger Blödheit, teilten die Wirtesprecher mit. Und Blödheit hat auf der Wiesn rein gar nichts verloren - da wäre sogar das Bio-Hendl noch das kleinere Übel.

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