Süddeutsche Zeitung

Wirtekrug zum Oktoberfest:Glühende Bäckchen, ausladendes Dekolleté

Voller Vorfreude stellen die Wiesnwirte ihren Festkrug vor - und ernten auch Kritik. Wiesn-Stadträtin Anja Berger hätte sich gewünscht, dass "nicht immer dieses Motiv" genommen wird.

Von Sarah Maderer

"Endlich wieder eine Wiesn-Veranstaltung", hört man Peter Inselkammer, Wirt des Armbrustschützenzeltes und Sprecher der Wiesnwirte, sagen, noch bevor man über die Schwelle zur Terrasse des Seehauses am Kleinhesseloher See im Englischen Garten getreten ist. "Die erste Pre-Wiesn Veranstaltung 2022", wird er später bei seiner Ansprache hinzufügen. Gemeinsam mit seiner Frau Katharina begrüßt er am Montagabend die eintreffenden Gäste - um die sechzig werden es sein - zur Präsentation des diesjährigen Festkruges der Wiesnwirte, an seiner Seite im Empfangskomitee Weinzelt-Wirt Stephan Kuffler.

Kuffler kommt bei diesem Anlass eine doppelte Sonderstellung zu, einerseits als Gastgeber im Seehaus, andererseits als künstlerische "Extrawurst" auf dem Motiv des neuen Kruges. Er zeigt eine weibliche Wiesn-Bedienung, die 14 Masskrüge stemmt, einen für jedes Wiesn-Zelt. Die Zelte werden dabei jeweils durch die Bebilderung auf den Krügen symbolisiert, das Armbrustschützen durch die Armbrust, das Hofbräu durch den Aloisius, und überhaupt ist das Tierreich stark vertreten, darunter Löwe, Ochse, Käfer, Fisch. Nur Kufflers Weinzelt, das keine Massen verkauft, findet sich in Weinflasche und Reben wieder.

Entworfen wurde dieses Motiv vom Illustrator Rudi Skukalek, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern Maximilian Fliessbach und Tita Gronemeyer zum ersten Mal den Krug der Wiesnwirte gestalten darf. Verglichen mit vorherigen Krügen wirkt Skukaleks Darstellung weniger traditionell, das Strahlen der vor Energie strotzenden Servicekraft erinnert an eine Comic-Figur. "Ich bin nicht von vornherein so im Oktoberfest verwurzelt, dass ich seit Generationen dazu einen Bezug hätte, deswegen sieht das auch anders aus. Das haben sie wohl auch so gewollt", mutmaßt Skukalek über die Künstlerwahl der Wiesnwirte. Wobei er sich die Idee zum Motiv nicht auf die eigene Fahne schreiben könne, die stamme nämlich von Katharina Inselkammer.

Schwer vorstellbar, dass die Idee zu diesem Motiv von einer Frau stammt, doch Katharina Inselkammer lächelt bei dieser Verkündung mindestens so zufrieden und stolz wie die Bedienung auf dem Krug. Und die sticht ins Auge, auch wenn an diesem Abend in der wortführenden Männerrunde nur auf die Darstellung der 15 Zelte eingegangen wird. Die Zeltkrüge arrangieren sich nämlich um das ausladende Dirndl-Dekolleté einer blonden, kräftigen Servicekraft, samt Herzerlausschnitt, Herzerlhalsband und glühenden Bäckchen. "Ich wollte eine, der man auch zutraut, dass sie 15 Krüge tragen kann, die mit fröhlich-stolzem Ausdruck die Wiesnwirte repräsentiert", so beschreibt der Künstler Skukalek seine Krugdame. Der zweite Wiesnwirte-Sprecher Christian Schottenhamel kommentiert den diesjährigen Krug mit den Worten: "Für mich persönlich strahlt er bayerische traditionelle Lebensfreude aus."

Die Wiesnwirte wollen heuer auf Heizstrahler in den Biergärten verzichten

Die einzige Frau in der Ansprachen-Runde, Anja Berger, Grüne, Wiesn-Stadträtin und als solche die erste weibliche, beschränkt ihre Rede auf den Zuspruch und ihre Freude darüber, dass die Wiesnwirte in diesem Jahr auf die Heizstrahler in den Biergärten verzichten wollen: "Ein wunderbares Signal im Zeichen des Klimawandels." Erst im persönlichen Gespräch kommentiert Berger, die selbst gerne Dirndl trage und auch an diesem Abend in einem hellblauen Exemplar erscheint, den neuen Krug: "Das positive Lebensgefühl der Wiesn trifft er schon, da gehören die Frauen und Bedienungen im Dirndl ja dazu. Ich würde mir nur wünschen, dass nicht immer dieses tiefe Dekolleté als Motiv genommen wird, sondern vielleicht mal etwas Vielfältigeres. Mir geht's darum, dass Frauen auf der Wiesn respektvoll behandelt werden und dass das kein Freibrief ist, weil ich glaube, dass Bedienungen da auch gewisse Erfahrungen haben." Von solcherlei Bedenken an diesem Abend keine Spur.

Zuweilen meint man, einer Art Klassentreffen nach zwei Jahren beizuwohnen, besonders als sich die Wirte beim Fototermin vor dem Werneck-Denkmal "in zwei Reihen aufstellen" sollen, "die Großen nach hinten, die Kleinen nach vorne", wobei die Großen den Kleinen pantomimisch die neuen Krüge über den Kopf ziehen.

In erster Reihe hat sich neben Rudi Skukalek und Anja Berger Münchens Wirtschaftsreferent und Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) eingereiht, einer der wenigen in Anzug statt Tracht. Wie seine Vorredner Inselkammer und Schottenhamel schmettert Baumgärtner jede Frage nach einer potenziellen Wiesn-Absage ab: "Nein, nein und nochmals nein! Wir bereiten uns intensiv auf die Wiesn vor, und ich bin mir sicher, dass sie stattfindet."

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