Sperrung des Oktoberfestgeländes in München„Extreme Gefahr“: Warnhinweise wegen Wiesn-Sperrung sorgen für Verunsicherung

Lesezeit: 4 Min.

Während das Oktoberfest-Gelände abgesperrt war, wurde am Mittwoch gegen 11.04 Uhr ein Warnhinweis über die Medienkanäle des amtlichen Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes verschickt.
Während das Oktoberfest-Gelände abgesperrt war, wurde am Mittwoch gegen 11.04 Uhr ein Warnhinweis über die Medienkanäle des amtlichen Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes verschickt. (Foto: Robert Haas)
  • Nach einer Bombendrohung gegen das Oktoberfest wurde am Mittwoch um 11.04 Uhr eine Warnung über das System "Cell Broadcast" an Tausende Smartphones in München verschickt.
  • Die Warnhinweise waren uneinheitlich formuliert und zeigten teilweise ganz München als Gefahrengebiet, obwohl nur das Oktoberfestgelände betroffen war.
  • In Schulen und Kindergärten sorgte die Warnung für Verunsicherung, da während des Unterrichts unvermittelt die Handys schrillten und zunächst unklar war, was zu tun sei.
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Nach der Sperrung des Oktoberfestes wegen einer Bombendrohung ertönte auf Tausenden Smartphones  in der Stadt ein Sirenenton. Nicht alles lief glatt, in Schulen und Kindergärten war die Verwirrung groß. Wie das Warnsystem „Cell Broadcast“ funktioniert.

Von Joachim Mölter und Max Muth

Ratlose, irritierte, verängstigte Menschen: Der Warnhinweis, mit dem am Mittwochvormittag über die Medienkanäle des amtlichen Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes auf die Sperrung des Oktoberfestgeländes aufmerksam gemacht wurde, hat offensichtlich mehr zur Verunsicherung beigetragen als zur Beruhigung. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte im Bayerischen Rundfunk (BR) bereits eine Aufarbeitung des Geschehens. Er kritisierte, dass die auf Handys verschickte Warnung zu vage gewesen sei: „Vor was wird denn jetzt eigentlich konkret gewarnt? Und wie soll sich die Bevölkerung verhalten, um einer möglichen Gefahr zu entgehen?“

Zuständig für den Zivilschutz ist in München die Branddirektion und ihre Integrierte Leitstelle: Von dort aus werden alle Einsätze und Maßnahmen von Feuerwehr und Rettungsdiensten gesteuert. Dort wurde auch die Mitteilung herausgegeben, die  am Mittwoch um 11.04 Uhr gleichzeitig mit einem Sirenenton auf Tausende Smartphones in der Stadt ausgespielt wurde. Je nachdem, über was für ein Handy die Leute verfügen und welche Warn-App sie installiert haben, erhielten sie unterschiedlich formulierte und dargestellte Mitteilungen: Mal war auf einer Karte die gesamte Stadt München als Gefahrengebiet rot markiert, obwohl im darunter stehenden Text nur das Festgelände auf der Theresienwiese als gefährdeter Bereich genannt wurde.

Mal hieß es unter der Überschrift „Extreme Gefahr“ auch nur lapidar „für München“, ohne nähere Ortsangabe; im weiteren Verlauf wurde darauf verwiesen: „Informieren Sie sich in bekannten Warnmedien.“ Dazu gab es einen Link, den man im Internet-Browser hätte eingeben müssen. Auf einigen Mobiltelefonen ging gar keine Nachricht ein.

Wo mehrere Menschen zusammen waren, die unterschiedliche Warnhinweise bekommen hatten, schauten sie sich zumindest ratlos an – in Büros, in Schulen, selbst im Stadtrat. Dort hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das Gremium bei der turnusgemäßen Vollversammlung bereits um 9.30 Uhr über die Sprengstoffdrohung gegen das Oktoberfest und die daraufhin veranlasste Sperrung des Geländes informiert. Warum die Allgemeinheit erst anderthalb Stunden später gewarnt wurde, ist eine der Fragen, die sich im Nachhinein stellten.

Eine andere ist, wie das Warnsystem überhaupt funktioniert. „Cell Broadcast“ nennt sich die Technologie, die bei der drastischen Münchner Warnung zum Einsatz kam. Hoheitliche Stellen können damit dringende Nachrichten an Bürger in ziemlich genau festgelegten Gebieten verteilen. Dazu wird einfach bestimmt, welche Funkzellen die Botschaft „broadcasten“, also verbreiten, und welche nicht.

Voraussetzung ist nur ein Handy mit 4G- oder 5G-Empfang. Ältere Modelle bekommen die Warnung nicht. Anders als bei Apps wie Katwarn oder Nina wird die Information nicht per Pushmitteilung aus der App verbreitet, sondern direkt über das Betriebssystem des Handys. Zumindest in der höchsten Warnstufe 1 lassen sich die Warnungen durch die Nutzer auch nicht abschalten. Es gilt einfach: Wer sich in einer der relevanten Funkzellen befindet, dessen Handy wird ein Sirenengeräusch machen und die Warnbotschaft anzeigen.

Die Technik ist sehr nützlich, zum Beispiel bei Katastrophen oder Terrorwarnungen. In Japan, den USA und den Niederlanden ist das System schon seit mehr als zehn Jahren im Einsatz, in Deutschland erst seit 2023.

Ganz ausgereift scheint die Synchronisation mit anderen Programmen allerdings nicht zu sein, wie sich an den unterschiedlichen Mitteilungen erkennen lässt. Wie die Münchner Feuerwehr auf Anfrage mitteilte, pflegt sie beim Auslösen einer Warnung die Informationen zunächst zentral ins sogenannte Modulare Warnsystem (MoWaS) ein: „Dann wird die Information automatisiert je nach Verbreitungskanal – also Cell Broadcast, Katwarn, NINA und weitere – an die jeweiligen Systeme weitergeleitet.“

Warum dort dann uneinheitliche Warnstufen herauskamen wie beispielsweise einfach „Gefahr“ in einem Fall und „extreme Gefahr“ in einem anderen, konnte die Branddirektion zunächst nicht erklären: „Hier kann nur das Bundesamt für Bevölkerungsschutz Antworten liefern, da es sich um einen bundeseinheitlichen Warnprozess handelt“, hieß es. Später erklärte ein Sprecher der Feuerwehr: „Das Warnsystem Cell Broadcast verwendet vier Warnstufen, das Warnsystem MoWaS, über das von unserer Seite aus gewarnt wird, kennt nur drei Stufen.“ Am Mittwoch sei von der Feuerwehr „die mittlere von den drei für uns zur Verfügung stehenden Warnstufen gewählt“ worden.

Warum der Alarm erst um 11.04 Uhr ertönte

Weil wegen des Großeinsatzes in der Lerchenau die Gesamtsituation unklar gewesen sei, habe man die Warnhinweise eben in der ganzen Stadt verschickt, um alle Einwohner und Touristen, die aufs Oktoberfest wollten, „frühzeitig“ zu warnen, dass sie das Gebiet besser meiden sollten. Dass die Warnung erst um 11.04 Uhr gesendet wurde, erklärte eine Feuerwehr-Sprecherin zum einen damit, dass das auf den offiziellen Öffnungstermin der Wiesn abgestimmt gewesen sei.

Zum anderen hieß es: „Die Meldung kam zu dem Zeitpunkt, als die Ermittlungsergebnisse der Polizei die Dringlichkeit hierzu mit Fakten untermauern konnten.“ Auf den Aspekt, dass der OB schon anderthalb Stunden vorher wegen einer „verifizierten Sprengstoffdrohung“ die Sperrung des Geländes angekündigt hatte, ging die Feuerwehr nicht ein.

Vor allem in Schulen sorgte es zunächst für Verunsicherung, als während des Unterrichts unvermittelt die Handys schrillten. „Die größte Herausforderung an den Schulen war, mit der Unruhe nach dem Auslösen der Warn-App umzugehen“, erklärte eine Sprecherin des Referats für Bildung und Sport (RBS): „Dafür wurde in der Regel über die Funktion und Zielsetzung der Warn-App aufgeklärt.“

Für Krisensituationen gebe es auch eine Koordinierungsgruppe unter Leitung des staatlichen Schulamts; aus diesem Gremium werden die Schulleitungen direkt über notwendige Maßnahmen instruiert, wie zum Beispiel über Schulschließungen. Das sei auch am Mittwoch der Fall gewesen, teilte das RBS mit. Tatsächlich war eine Grund- und Mittelschule in der Nähe des Lerchenauer Tatorts am Morgen geschlossen geblieben. Bei Gefahrenlagen sei es das Ziel, „ausschließlich belastbare Informationen weiterzugeben, transparent zu kommunizieren und Beunruhigungen zu vermeiden“.

Es gebe auch ein Handbuch für alle städtischen Schulen, wie mit Gefahrensituationen und -meldungen umzugehen ist; darin seien Leitfäden für Durchsagen enthalten. Zumindest in einem Gymnasium habe die Ansage des Direktors indes eher weitere Verwirrung und Verstörung  geschürt, erzählten Schüler später daheim. Insgesamt, so das RBS, seien die Rückmeldungen der Schulen hinsichtlich der Information aber „sehr positiv“ gewesen.

Eltern von Kindergartenkindern berichteten noch, dass nach dem Auslösen des Warnhinweises hektischer Betrieb in Chatgruppen herrschte, weil niemand wusste, was jetzt zu tun sei. Wie das RBS mitteilte, habe es die Kitas noch am Mittwoch mit Leitfäden versorgt zur kindgerechten Kommunikation der Vorkommnisse in der Lerchenau und auf dem Oktoberfest.

Grundsätzlich hätten sich aber wohl die Erwachsenen gewünscht, dass mit ihnen besser kommuniziert worden wäre.

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Bombendrohung gegen Oktoberfest
:Die verwaiste Wiesn

Ein brennendes Haus, ein Toter, Sprengfallen – so beginnt ein Tag, der die Stadt München in Atem hält. Wegen einer Drohung muss wenig später auch das größte Volksfest der Welt geräumt werden.  Polizisten durchsuchen das Gelände – doch am Abend soll auf der Wiesn schon wieder gefeiert werden.

SZ PlusVon René Hofmann

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