Süddeutsche Zeitung

Auftakt im Schottenhamel:Kräftemessen in Dirndl und Lederhosn

In der Anzapfbox auf dem Oktoberfest geht es diesmal nur sehr kurz darum, mit wie vielen Schlägen der Oberbürgermeister die Wiesn eröffnet. Stattdessen wird eifrig darüber spekuliert, wie sich die politischen Verhältnisse in München nach der Kommunalwahl im März 2020 sortieren.

Von Elisa Britzelmeier, Heiner Effern und Franz Kotteder

Dieter Reiter (SPD) trägt eine neue, wieder eine kurze. Markus Söder (CSU) sagt, er besitze auch eine. Da er diese in der Anzapfbox aber nicht trägt, muss er selbst bezeugen, wie er darin aussieht: "Steht mir auch gut", sagt er also. Die Lederhose ist das Modethema in den Minuten, bevor der Oberbürgermeister im Schottenhamel-Zelt am Samstag das erste Fass anzapft und die erste Mass dem Ministerpräsidenten reicht, wie es der Brauch ist. Zwei Schläge benötigt Reiter. Aufgeregt sei er nur die 30 Sekunden vorher, sagt er. Genau genommen sind es dieses Mal nur 28, denn als das Festzelt die letzten beiden Sekunden herunter zählt, ist der OB schon fertig. Reine Routine, auch in der kurzen Ledernen, die er wohl auch in den kommenden Jahren zum Anzapfen gerne tragen würde.

Doch oben auf dem Balkon, auf dem die Polit- und andere Prominenz die Eröffnung des Oktoberfests feiert, sitzen zumindest zwei, die das Modethema gerne erweitern würden - denn im März 2020 ist Kommunalwahl. Man könnte beim Anstich im kommenden Jahr gerne diskutieren "welches Dirndl man trägt", sagt Kristina Frank, die für die CSU Oberbürgermeisterin werden will. Wenigstens darin ist sie sich mit ihrer Konkurrentin von den Grünen einig. Diese hätte auch kein Problem damit, einem CSU-Ministerpräsidenten in Lederhose die erste Mass zu reichen. "Es würde mir eine Freude sein", sagt Katrin Habenschaden.

Die Wiesn soll eigentlich ein möglichst politikfreies Volksfest sein. Doch wenn am Tag des Anzapfens die gesamte Münchner Politprominenz zusammen sitzt, geht es nicht ohne. Seit jeher ist das Oktoberfest schließlich auch ein Gradmesser, wie das Volk die Macht in Stadt und Land verteilt hat. Blickt man am Tag des Anzapfens von den Bänken unten hinauf zur Polit-Galerie, sitzt seit vielen Jahrzehnten in der Mitte ein Oberbürgermeister von der SPD, links davon verspeisen dessen zahlreiche Getreue ihre Hendl und trinken ihre Massen. Mit ihm am Tisch hält als oberster Gast ein Ministerpräsident von der CSU Hof, seine Parteifreunde freuen sich rechts von ihm des Lebens und der Wiesn. Links am Rand sitzen in der ersten Reihe dann noch ein paar Grüne. So mancher oben am Balkon hofft oder fürchtet, dass diese Sitzordnung gewaltig durcheinandergewirbelt wird, wenn das Volk im März wählt.

Vor allem die Grünen spekulieren darauf, dass sie mehr Platz auf der Galerie besetzen können. "Bei der SPD war eh ein Tisch leer, den haben wir schon gekapert", sagt die Bundestagsabgeordnete Margarete Bause. Übersetzt man das Ziel für die Kommunalwahl in wiesntaugliche Zahlen, dann wünscht sich die grüne OB-Kandidatin Katrin Habenschaden, dass für ihre künftige Fraktion zwei Tische nicht mehr reichen sollten. Wobei sie schon selbstbewusst mit zehn Menschen pro Garnitur rechnet, was gut 20 Mandate im neuen Stadtrat bedeuten würde. Und so ganz weit links vom Geschehen wie auf dem Balkon sieht sie ihren Platz und den ihrer Parteifreunde künftig auch nicht. "Da wo wir jetzt sitzen, das wird unserem Platz in der Stadtgesellschaft nicht mehr gerecht", sagt Habenschaden.

Das dürfte auch der prominente Stammgast der Grünen so sehen, Claudia Roth, Vizepräsidentin des Bundestags. Sie gilt ja als gesetzt, seit das städtische Protokoll sie vor einigen Jahren einmal nicht zum Anzapfen eingeladen hatte, worüber sie sich damals bitter enttäuscht zeigte. Heute, da die Grünen vor Kraft kaum laufen können, wäre eine solche Nichtbeachtung natürlich erst recht nicht angebracht. Überhaupt sind die Grünen schon lange vor dem Anstich dermaßen gut gelaunt, dass sie eigentlich keine erste Mass mehr bräuchten.

Doch was die Wiesn-Laune angeht, braucht sich auch CSU-Kandidatin Frank nicht zu verstecken. Sie ist notorisch gut gelaunt, wenn das Oktoberfest ansteht. "Das ist jedes Jahr ein Traum." Den würde sie im kommenden Jahr gerne noch mit einem neuen Erlebnis bereichern. "Selbstverständlich zapfe ich an", sagt sie demonstrativ, "wenn auch beim ersten Mal vielleicht noch nicht mit zwei Schlägen." Und ihre Fraktion im Stadtrat dürfte nach der Kommunalwahl gerne zweieinhalb Wiesntische belegen. Das würde dem Ergebnis von 2014 entsprechen, 26 Sitze hatte die CSU bei der Kommunalwahl erreicht.

Ministerpräsident Söder kann einem Personalwechsel in der Anzapfbox trotz Buhrufen bei seiner Vorstellung im Zelt entspannt entgegen sehen. Als frisch gewählter Regierungschef weiß er, dass er nun erst mal gesetzt ist. Vergangenes Jahr habe der OB noch gesagt, mal schauen, wem er heuer die erste Mass gebe, sagt Söder. "Nächstes Jahr werden wir sehen, von wem ich sie bekomme." Das Münchner Stadtoberhaupt könne dann gerne ein Dirndl tragen. Ob das eher schwarz oder grün als tragenden Ton habe? "Wir von der CSU haben Dirndl in vielen verschiedenen Farben." Fragt man bei CSU-Stadträten nach der Prognose für die künftige Sitzordnung, dann werden die eigenen Kollegen und die Grünen ihre Tische schon vollbekommen. Und die SPD? "Die muss beim Oberbürgermeister auf dem Schoß sitzen", scherzt Johann Sauerer. Wobei darin eine Portion Ernst enthalten sein dürfte.

Doch den Sozialdemokraten fällt trotz schlechter Wahlergebnisse und einer veritablen Krise ihrer Partei nicht ein, dass sie nach Jahrzehnten an der Macht in München einfach so klein beigeben. Oberbürgermeister Reiter sieht seinen Platz in der Ratsbox und den von seiner Fraktion weiter "in der Mitte" des Balkons. Gut zwei Wiesntische sollten die Sozialdemokraten im Stadtrat weiter im Schottenhamel benötigen, sagt er. Obwohl Reiter die Hilfe seiner Partei aus Berlin schon längere Zeit wenig schätzt, hat er prominente Gäste mitgebracht. Neben SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sind die Bundesministerinnen für Justiz und Verbraucherschutz, Christine Lambrecht, und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey, zum Oktoberfest-Auftakt gekommen. Für Giffey ist es die erste Wiesn überhaupt. "Schon beeindruckend", sagt sie schmunzelnd, "man kann sehr gut nachvollziehen, wie bedeutsam dieses Fest als Gemeinschaftserlebnis ist. Und diese Verbindung von Brauchtum einerseits und Internationalität auf der anderen Seite, die hat schon was." Das gelebte Brauchtum kann sie auch beim OB bewundern. Er habe schon als Kind eine Lederhose gehabt, erzählt er. Und jetzt eine zum Anzapfen. Dass dort in der Box kommendes Jahr das Dirndl eine wesentliche Rolle spielt, das will er verhindern. "Die Lederhose wird dort auch nächstes Jahr das Thema sein."

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SZ vom 23.09.2019/baso
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