Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Still ruht die Wiesn

Vom Stillleben mit Dackel und Weißwurst bis zur Piktogramm-Sammlung, von schlicht bis überladen ist alles dabei: Der Plakatwettbewerb fürs Oktoberfest 2022 startet - ausgerechnet jetzt.

Glosse von Anna Hoben

Wenn sich Menschen im tiefsten Winter darüber Gedanken machen, wie man im Herbst für eine Veranstaltung werben könnte, die gar keine Werbung braucht - dann handelt es sich um den Plakatwettbewerb für das Oktoberfest. So schrieb die SZ vor langer Zeit, damals, als es noch kein Corona gab, im Jahr 2019. Und wenn sich Menschen im tiefsten Winter Gedanken machen, wie man im Herbst für eine Veranstaltung werben könnte, von der man gar nicht weiß, ob sie stattfindet, dann handelt es sich um den Plakatwettbewerb für das Oktoberfest in Pandemie-Zeiten.

Es darf mal wieder abgestimmt werden, im Internet, 128 Entwürfe stehen zur Auswahl. Die beliebtesten 30 Motive gelangen in eine Endrunde, eine Jury wählt dann das Siegerplakat. Die Grafikerinnen und Designer hätten es sich wahrlich leicht machen können. Ein stachliges Virus, ein Masskrug, fertig. Aber sie haben auch diesmal ihre Fantasie angestrengt. Von der Bauhaus-Reminiszenz bis zum Retro-Motiv, vom Stillleben mit Dackel und Weißwurst bis zur Piktogramm-Sammlung, von schlicht bis bunt und überladen ist alles dabei.

Wer genau hinschaut, entdeckt allerdings doch auch Anspielungen auf die Pandemie. Sehen nicht viele der dargestellten Riesenräder aus wie überdimensionierte Coronaviren? Oder liegt das an der eigenen Wahrnehmung, die mittlerweile so konditioniert ist, dass man beim Rorschachtest jeden Kaffeetassen- und jeden Schmetterlingsklecks als Virus deuten würde?

Ein paar persönliche Sieger des Herzens seien an dieser Stelle genannt. Ganz vorne mit dabei: die auf Bierschaum schwimmenden Steckerlfische, Hendl, Radieserl und Brezn. Mystisch-rätselhaft dagegen das Plakat, auf dem eine in Graublau getauchte Theresienwiese daliegt wie ein verlassenes Kraftwerk. Am besten zum Zeitgeist passt vielleicht jener Entwurf, der ein Dirndl ohne Trägerin zeigt, das jederzeit schnell wieder im Schrank verstaut werden kann, wenn die Veranstaltung abgesagt ist. Darf bloß niemand auf die Idee kommen, das Oktoberfest als Videokonferenz stattfinden zu lassen.

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