Corona in München:Reiter kontert Lauterbach im Wiesn-Streit

Corona in München: "Eine selbstgemachte Katastrophe": Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) über das Oktoberfest 2022.

"Eine selbstgemachte Katastrophe": Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) über das Oktoberfest 2022.

(Foto: Political-Moments/Imago)

Der Bundesgesundheitsminister habe vor dem Fest keinen Grund für eine Absage gesehen - und keine Möglichkeiten für Zugangsbeschränkungen geschaffen, moniert der Oberbürgermeister. Auch der Stadtrat steht zur Oktoberfest-Entscheidung.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

War es richtig, das Oktoberfest stattfinden zu lassen? Und das auch noch ohne jede Einschränkung? Trotz der Corona-Inzidenz, die nun in eine Höhe von etwa 1500 geklettert ist, auch wenn es kaum noch schwere Krankheitsverläufe gibt? Trotz der besorgniserregenden Situation in den Notfallzentren der Krankenhäuser, weil gerade so viel Personal ausfällt wie selten zuvor? Oder ist die Frage nach der Wiesn am Ende die falsche Frage?

Wenn man die Wortmeldungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in den sozialen Medien korrekt interpretiert, hätte das Fest so nicht abgehalten werden dürfen. Am Samstag twitterte er: "Gesundheit der Stadt München ist gefährdet durch Belastung Kliniken und schwere Covid-Fälle. Eine selbstgemachte Katastrophe, weil kein Ende in Sicht, Fallzahlen sind hoch und steigen." Am Dienstag: "Hier ist kein Platz für Schadenfreude. Aber das Oktoberfest erinnert uns: Schreien und Rufen im Innenraum maximiert Aerosolübertragung von Corona. Im Winter wird das ein großes Problem werden."

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gibt sich angesichts dieser Äußerungen irritiert. Lauterbach habe vorher "mehrmals deutlich gemacht, dass er keinen harten belastbaren Grund sehe, die Wiesn abzusagen", teilte Reiter mit. Auf seine explizite Nachfrage hin habe der Bundesminister gesagt, dass es keine rechtlichen Möglichkeiten gebe, Zugangsbeschränkungen für das größte Volksfest der Welt zu schaffen. Er selbst hätte die 1-G-Regel präferiert, damit hätten nur frisch Getestete Zugang zum Festgelände gehabt. Bund und Freistaat hätten jedoch "nicht den Mut gehabt, hier die Voraussetzungen zu schaffen".

Ein Vorschlag: Zumindest die Wiesn-Angestellten testen

Er habe vor der Wiesn gesagt, dass die Infektionszahlen danach deutlich steigen würden, so Reiter. "Dass sich durch den vermehrten krankheitsbedingten Ausfall - auch durch die sehr frühe Grippewelle - die Situation verschärft, liegt auf der Hand." Allerdings sei die Situation im gesamten Bundesgebiet äußerst angespannt, "was das Thema Wiesn-Welle doch etwas relativiert". Es brauche deshalb dringend "bundesweite strukturelle Veränderungen des Gesundheits- und Kliniksystems".

Richtig oder falsch? Der Oberbürgermeister erhält aus dem Stadtrat für seine Entscheidung große Rückendeckung. Angesichts dessen, was man vorher gewusst habe, sei diese richtig gewesen, sagte Grünen-Fraktionschef Dominik Krause. "Dass es sich so stark auswirken würde, war in der Deutlichkeit nicht abzusehen." Für künftige Feste müsse man von diesem Jahr lernen und die "Rahmenbedingungen anpassen, eventuell auch für eine Testpflicht". Die Ratschläge des dafür zuständigen Bundesgesundheitsministers finde er "schwierig".

SPD-Fraktionschefin Anne Hübner findet ebenfalls, Lauterbach solle "seine Hausaufgaben machen und nicht mit dem Finger auf die Kommunen zeigen". Das Oktoberfest stattfinden zu lassen, sei richtig gewesen, auch wenn man im Nachhinein überlegen könne, "ob ein begleitendes, präventives Konzept besser gewesen wäre". Darüber müsse man fürs nächste Jahr nachdenken. "Man könnte zum Beispiel zumindest die Leute, die auf der Wiesn arbeiten, regelmäßig testen."

Die Notaufnahmen waren auch schon im Juli überfüllt

Keinen Grund, die Entscheidung für die Wiesn zu bereuen, sieht CSU-Fraktionschef Pretzl. "Das größere Problem ist doch, dass man es versäumt hat, die Kliniken besser aufzustellen. Dafür hätte man zwei Jahre Zeit gehabt." Was die hohe Inzidenz betrifft: Im Landkreis Cham liege diese bei 1200, "und Cham ist doch ziemlich weit weg vom Oktoberfest". Aus jetziger Sicht hält Pretzl auch Zugangsbeschränkungen für künftige Oktoberfeste nicht für nötig.

Das sieht auch Tobias Ruff, Fraktionsvorsitzender von ÖDP/München-Liste, so. Deutschland spiele bei Corona immer noch eine Sonderrolle. "Da müssen wir raus." Wer auf die Wiesn gehe, trage die Verantwortung. "Dass man sich danach drei bis fünf Tage lang ständig testet, ist ein absolutes Muss." Die Eigenverantwortung habe funktioniert, findet Gabriele Neff, Fraktionsvize von FDP/Bayernpartei. Die Herbstwelle rolle bundesweit, "das hat mit der Wiesn nichts zu tun". Linken-Fraktionschef Stefan Jagel sagt, er wisse nicht, ob es bei der Frage ein Richtig oder Falsch gebe. Die Notaufnahmen seien schon im Juli überfüllt gewesen. "Wir haben da ein grundsätzliches Problem in München - unabhängig von der Wiesn, die das jetzt noch verschärft hat."

Hier verortet auch Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) das Hauptproblem. Die Personalengpässe in den Kliniken bestünden schon länger, "unabhängig von der Corona-Pandemie". Dazu kämen nun aber akute, größtenteils eher kurzfristige Ausfälle aufgrund von Atemwegsinfektionen und Corona. Ein Hygienekonzept auf dem Oktoberfest sei dieses Jahr rechtlich nicht möglich gewesen, sagte sie. Für Aussagen zur nächsten Wiesn sei es noch zu früh.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungCorona
:Im kommenden Jahr muss es mit der Wiesn anders laufen

Niemand hat diesmal den Mumm gehabt, auf die Spaßbremse zu treten. Doch darüber zu streiten, ob das Oktoberfest ohne jegliche Schutzregelungen ein Fehler war, bringt wenig - Überlegungen für die Zukunft schon.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: