Süddeutsche Zeitung

Arbeiten auf dem Oktoberfest:"Verschwinde, hau ab!", hat die Chefin mir nachgerufen

Lesezeit: 4 min

Als Mandelverkäufer, Sanitäterin oder Bedienung waren sie erstmals dabei. Vier Wiesn-Angestellte erzählen, was sie fasziniert und schockiert hat auf dem größten Volksfest der Welt.

Von Katharina Federl

Die Süddeutsche Zeitung hat mit Oktoberfest-Angestellten gesprochen, die zum ersten Mal auf der Theresienwiese dabei waren. Was haben sie erwartet - und wie ist es gekommen?

"Mir wurde in meinem Leben noch nie so eine Unfreundlichkeit entgegengebracht"

"Ich habe die ersten sechs Tage der Wiesn an einem Essensstand gearbeitet. Ich war immer pünktlich und zuverlässig, habe sogar andere Mädels eingelernt. Am sechsten Tag habe ich meine Chefin dann nach meinem Arbeitsvertrag gefragt, weil er mir bis dahin noch nicht ausgehändigt wurde. Daraufhin hat sie mich angeschrien und wüst beschimpft. Sie hat mir gesagt, ich kann den Arbeitsvertrag unterschreiben und dann soll ich nach Hause gehen und nie wieder kommen. Die Begründung: Meine Frage sei nervig und respektlos, man solle ihr einfach vertrauen. 'Verschwinde, hau ab!', hat die Chefin mir nachgerufen, vor den Augen unserer Gäste. Eigentlich hatte ich vor, die ganze Wiesn-Zeit durchzuarbeiten.

Auch sonst herrscht an dem Stand ein sehr harter Ton. Ich habe schon einige Erfahrungen in der Gastronomie gesammelt und weiß, dass es oft stressig und auch mal etwas lauter werden kann. Aber so einen Umgang habe ich noch nie erlebt. Anfangs habe ich, wie auch meine Kolleginnen, bei sehr vielen Dingen weggehört, versucht, sie zu ignorieren.

Ich habe das Gefühl, meine Chefin hat kein Bewusstsein dafür, wie man mit Menschen umgeht. Sie hat nach mir gepfiffen wie nach einem Hund. Ich würde behaupten, mir wurde in meinem Leben noch nie so eine Unfreundlichkeit entgegengebracht. Auf der Wiesn arbeiten würde ich trotzdem nochmal, dann aber auf jeden Fall an einem anderen Stand."

Lara (Name geändert), 19

"Ich habe zum Teil 17 Stunden gearbeitet, nicht weil ich musste, sondern weil ich wollte"

"Ich studiere Medizin in Wien und bin extra für die Wiesn wieder nach Hause gekommen, weil ich wissen wollte, wie es ist, dort als Sanitäterin zu arbeiten. Einsätze hatte ich in der Behandlung, in der Überwachung und im Tragedienst. Bei den Tragediensten geht man raus zu den Menschen und holt diejenigen ab, die Hilfe benötigen. Daran musste ich mich anfangs ein bisschen gewöhnen, weil es öfter vorgekommen ist, dass man eine Person angesprochen hat, die nicht sofort reagieren konnte, die man aber auch nicht sofort mit ins Rettungszelt nimmt. Hier ist einfach ein anderes Level von Betrunkensein normal, das war neu für mich.

Was ich auch noch nicht kannte, ist die sogenannte Haftfähigkeitsuntersuchung, die die Polizei für Menschen einfordert, die zum Beispiel über Nacht in die Ausnüchterungszelle gebracht werden sollen. Die wird vom Chefarzt der Sanitätsstation durchgeführt. Oft haben Festgenommene uns Sanitäter währenddessen angefleht, ihnen aus der Patsche zu helfen. Das war manchmal etwas unangenehm, weil das nicht unsere Aufgabe ist. Zum Glück wurde ich aber ausführlich eingewiesen und hatte immer Leute bei mir, die sich gut auskannten. Generell haben mich die Kollegialität und die Hilfsbereitschaft unter den Menschen hier echt beeindruckt, ich konnte jederzeit Fragen stellen.

Alles in allem war es für mich eine tolle Erfahrung. Ich habe zum Teil 17 Stunden gearbeitet, nicht weil ich musste, sondern weil ich wollte. In medizinischer Hinsicht habe ich viel dazulernen können und kenne mich beim Assistieren mittlerweile echt gut aus, vor allem wenn es um Kopfwunden und Schnittverletzungen geht."

Lina, 19

"Am schönsten war es, morgens über die Wiesn zu schlendern, wenn niemand da ist"

"Ich weiß zwar nicht, ob das Mandelbrennen etwas ist, was ich mein Leben lang machen würde, aber auf der Wiesn hat der Job echt Spaß gemacht. Drei Tage hat es ungefähr gedauert, bis ich alle Tricks drauf hatte: Wann kommt der Zucker rein? Bei welcher Nuss darf Kakao hinzugefügt werden? Wie vermeide ich Zuckerklumpen? Vor allem, wenn man so angenehm eingearbeitet wird, wie ich es wurde, macht man echt schnell Fortschritte. 'Du musst das jetzt', habe ich nicht einmal gehört. Stattdessen hieß es: 'Wenn du auf dies und das achtest, wird es besonders gut.'

Am schönsten war es, Frühschicht zu haben und morgens über die Wiesn zu schlendern, wenn niemand sonst da ist. Das hat was. Wenn ich abends Schluss hatte, war die Hölle los. Überall Besoffene, die sehr rücksichtslos sind, vor allem im Umgang mit Frauen. Einmal standen vor unserem Stand drei Jungs, die einem Mädchen die ganze Zeit nachgepfiffen haben. Das muss einfach nicht sein.

Dass die Stimmung beim Arbeiten irgendwann etwas angespannter ist, ist für mich total verständlich. Meine Chefin ist jeden Tag von halb neun Uhr morgens bis Wiesn-Ende da, hat seit zwei Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Das ist zwar nicht mein Problem, trotzdem verstehe ich ihre Situation und schaue deshalb über manche Dinge hinweg. Nächste Woche gehen wir mit dem gesamten Team zum Abschluss essen, das finde ich schön. Meine Chefin meinte schon, dass ich nächste Wiesn wieder dabei sein soll. Da bin ich mir aber noch nicht ganz sicher."

Lucas (Name geändert), 53

"Ich kann nicht beurteilen, wie es wirklich ist, auf dem Oktoberfest zu arbeiten"

"Ich habe mich total auf die Wiesn gefreut, war bereit, viel und lange zu arbeiten, gutes Geld in kurzer Zeit zu verdienen. Leider wurde ich aber größtenteils enttäuscht. Ich habe im Biergarten gearbeitet, dort, wo man auf schönes Wetter angewiesen ist. Weil es heuer an den meisten Tagen geregnet hat, sind die Gäste und dementsprechend auch der Umsatz ausgeblieben. Oft stand ich nutzlos rum, wurde früher nach Hause geschickt.

Ich glaube nicht, dass ich nach diesem Jahr beurteilen kann, wie es wirklich ist, auf dem Oktoberfest zu arbeiten. Nicht nur wegen des Wetters, sondern auch wegen der Corona-Pandemie sind viel weniger Menschen gekommen als üblich. Meine Freundinnen und Bekannte, die früher mal auf der Wiesn gearbeitet haben, haben die verrücktesten Geschichten auf Lager, erzählen von ausgelassener Stimmung und gemeinsamem Feiern nach der Schicht. Nichts davon deckt sich mit meinen Erfahrungen. In vielen Momenten war ich ziemlich gelangweilt und genervt, hatte das Gefühl, dass ich gerade sinnvollere Dinge tun könnte. Das ist echt schade. Ich kenne die Wiesn als Gast und mag es sehr, dort zu sein. Aber in diesem Jahr hat es sich irgendwie anders angefühlt."

Vanessa (Name geändert), 33

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5667559
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.