Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Anstich:Söder zu Layla-Debatte: "Jeder soll singen können, was er will"

Lesezeit: 3 min

Kurz vor dem Anstich wird Bayerns Ministerpräsident grundsätzlich - und verteidigt das Singen des sexistischen Lieds Layla auf dem Oktoberfest.

Von Isabel Bernstein, Sarah Maderer, Ana Maria Michel, Martin Moser und Melanie Strobl

Nach zwei Jahren Pandemie scheint Münchens Oberbürgermeister dann doch am Ende etwas eingerostet zu sein: Drei Schläge hat Dieter Reiter in diesem Jahr gebraucht. Das ging schon mal besser. In Vor-Corona-Zeiten schaffte er es noch mit zwei. Mit diesem kleinen Ruckler ist nun um Punkt 12 Uhr das 187. Oktoberfest gestartet. Endlich, sagen Wiesn-Fans.

Das Oktoberfest steht in diesem Jahr unter schlechten Vorzeichen: Pandemie, Inflation, Ukraine-Krieg, Energiekrise - und dann noch das schlechte Wetter zum ersten Tag: Schon frühmorgens waren Menschen in Dirndl und Lederhosen Richtung Festgelände unterwegs. Bei Temperaturen um die neun Grad bildeten sich an den noch geschlossenen Eingängen zum Festgelände lange Schlangen. So manch einer stand hier seit fünf Uhr morgens.

Als dann am Vormittag die Wirte mit festlich geschmückten Wagen und Brauereigespannen zum Festgelände fahren, säumen Hunderte die Straßen in der Münchner Innenstadt. Die Zuschauer haben beim Einzug der Wiesnwirte an der Schwanthalerstraße den Rat des Deutschen Wetterdiensts offenbar befolgt und tragen Jacke und lange Hose statt kurzer Tracht. Auch den Leuten auf den Festwägen sieht man an, dass es kalt ist. In den vergangenen Wiesn-Jahren wurde mehr gewunken und geschunkelt. Ein Musikant eines Spielmannszugs verlangt laut nach Schnaps, als der Zug kurz Halt macht. Er bekommt keinen, aber bald geht es ja ins warme Zelt.

Kein Bier, bevor der OB nicht angezapft hat

Derweil heißt es in den Festzelten: Warten auf den Oberbürgermeister. Es gibt Spezi und Wasser, es gibt kein Bier, solange Dieter Reiter nicht die Wiesn eröffnet hat. Auf den Sitzbänken im Schottenhamel-Zelt sieht man am späteren Vormittag schon das ein oder andere müde Gesicht. Eine Freundesgruppe berichtet davon, dass sie schon seit 6.30 Uhr gewartet habe. Helen Hedenstrand ist extra aus den Niederlanden angereist, andere Freunde von ihr aus Schweden oder aus der USA. "Everybody was pushing and running", sagt Hedenstrand, als sie vom Hineinrennen ins Zelt berichtet.

Denn als um kurz nach 9 Uhr das Festgelände geöffnet wurde, gab es kein Halten mehr: Tausende rannten durch den Haupteingang auf dem Weg zum nächsten Festzelt, um einen der begehrten Plätze zu ergattern. Corona-Schutzmasken trug kaum einer der überwiegend jungen Besucher.

Kurz vor dem Anstich wird der Regen an der Theresienwiese nochmal heftiger. Die Menschen strömen weiter zu den Zelteingängen. Im Schottenhamel-Festzelt treffen wenige Minuten vor zwölf die beiden Hauptprotagonisten ein, Dieter Reiter, der als Oberbürgermeister anzapfen soll, und Markus Söder, der als Ministerpräsident die erste Mass bekommt.

Und dann wird Söder grundsätzlich

Und dann setzt Söder, offenbar schon ganz im Wahlkampfmodus für die Landtagswahl, nochmal zu Grundsätzlichem an und lässt kurz vor Anstich ein politisches Sprüchlein los - alle Kameras sind schließlich in diesem Moment auf ihn gerichtet: "Jeder soll auf dieser Wiesn anziehen, was er will, jeder soll essen, was er will, und wenn hier mal die Band ein Lied spielt, das nicht jedem gefällt, dann soll auch jeder singen können, was er will." Söder spielt auf die Debatte um das sexistische Lied Layla an.

Die wartende Menge beklatscht den Ministerpräsidenten für seine angebliche "Liberalitas Bavariae", wie es der Moderator des Anstichs, Michael Sporer, nennt. Münchens Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne), die das erste Mal in der Anzapfbox war, hat für Söder nur ein müdes "Ja mei" übrig: "Die Bemerkung hätte es meines Erachtens nicht gebraucht. Aber ehrlich gesagt ist mir die ganze Diskussion sowieso einen Hauch zu blöd."

Oben auf der Promi-Tribüne verdrehen auch die Ehrengäste der Landtags-Grünen die Augen. Nicht weit entfernt sitzen die Freien Wähler. Auch ihr Chef Hubert Aiwanger hat eine Botschaft: "Sehr schön, dass wir nach dieser langen Zeit wieder ein Oktoberfest feiern können! Und all denen, die jammern, was hier an Strom und Gas verbraucht wird, sei gesagt: Wenn alle daheimbleiben würden und sich was warm machen würden, würde bestimmt nicht weniger Energie verbraucht!"

Das Festzelt steht mittlerweile auf den Bierbänken, um mitzubekommen, wie viele Schläge der Oberbürgermeister denn nun braucht: "Obs zwei oder drei sind, ist egal", scherzte noch der Ministerpräsident. Das Zelt beginnt, den Countdown runterzuzählen. Punkt 12 Uhr setzt Reiter an, ein Schlag, gebannte Blicke, ein zweiter Schlag, Bier spritzt - es reicht noch nicht. Der dritte Schlag, das Bier fließt.

Der Rest ist Routine: Die erste Mass reicht Reiter dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der traditionell in der Anzapfboxe dabei ist. Böllerschüsse verkündeten den Start des 187. Oktoberfestes, Reiter und Söder stoßen auf eine friedliche Wiesn an. Später, am Tisch auf der Empore mit Reiter, gibt sich Söder Reiter gegenüber gönnerhaft: "Wiesn ist politische Friedenszeit. Er hat das gut gemacht beim Anzapfen."

Lauterbach ruft zur Vorsicht auf der Wiesn auf

Auch wenn ohne Auflagen gefeiert werden kann - die Corona-Gefahr ist nicht gebannt. Die Behörden mahnten Besucher, bei Erkältungssymptomen einen Test zu machen und zum Schutz anderer nicht krank zum Fest zu kommen. Mediziner rechnen nach der Wiesn - wie nach anderen Volksfesten - mit einer Corona-Welle.

Bundesgesundheitsminister Karl-Lauterbach rief zum Auftakt des Oktoberfestes zur Vorsicht auf. "Ich möchte kein Spielverderber sein: Aber wer die Wiesn besucht, sollte trotzdem aufpassen. Vorerkrankten ist ein Besuch auf jeden Fall abzuraten. Und alle anderen sollten sich vor einem Zeltbesuch aus Rücksicht auf andere testen lassen", sagte der SPD-Politiker am Samstag. Dass das Riesenvolksfest wieder stattfinde, sei vertretbar. "Die Impfbereitschaft, das Verständnis für die Maßnahmen, die Vorsicht der Bevölkerung machen es möglich."

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