Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Momente:So schön war die Wiesn in diesem Jahr

Das Oktoberfest geht in die Endrunde - die Tage davor waren heiter, turbulent und manchmal auch etwas gefährlich. Über André, das Plüsch-Brathendl und eine ziemlich wilde Maus. Ein persönlicher Rückblick.

Von SZ-Autorinnen und SZ-Autoren

Bloß nicht kippeln

Draußen dämmert es, und drinnen im Winzerer Fähndl geht ein bisschen die Sonne auf, weil die Gruppe Nachtstark gerade alle Register zieht. Da gibt's kein Halten mehr, bei "Cordula Grün" springt auch Patricia aus Perugia auf die Bierbank gleich hinter der Showbühne, obwohl sie kein Wort versteht. Patricia ist das erste Mal auf dem Oktoberfest, aber strahlt eine trachtenmäßige Grandezza aus. Als erfahrener Wiesnprofi, der man zu sein glaubt, hat man für sie und ihren Freund einige Tipps bereit: Schön langsam trinken und nur mit einer ordentlichen Grundlage, danach auch mal eine Alkoholfreie einstreuen, immer die Kontrolle bewahren, capisci? Und bei Liedzeilen wie "Ich hab sie tanzen gesehen..." unbedingt darauf achten, dass man mit beiden Beinen fest auf der Bank steht, die manchmal gefährlich kippelt... Patricia nickt ahnungsvoll. Gerade als sie vom Tisch aufgestanden ist, passiert das Desaster: Der Wiesnprofi selbst gerät nahezu unverschuldet ins Wanken und stürzt mit der halbleeren Bierbank auf den Boden. Was für ein toller Stunt, dafür gibt's spontanen Applaus vom Nebentisch, eine Mischung aus Häme und Erleichterung. Zum Glück sind die Knochen noch heil. Ist halt schon ein Balanceakt, so ein Abend.

Christian Mayer

Auf geht's. Rattatatatatt!

Fahrgeschäfte sind immer so eine Sache. Auf dem Teufelsrad habe ich mir vor Jahren mal einen blauen Fleck am rechten Unterschenkel geholt, eine leichte Hautverfärbung ist tatsächlich dauerhaft geblieben. Und bei den ganzen neumodischen Menschenschleudern wird mir schon vom Zuschauen schlecht. Aber Wilde Maus? Muss sein!, bestimmt die Kollegin, mit der ich den wunderbaren, gleichnamigen Film von und mit Josef Hader vor gut fünf Jahren im Kino gesehen habe. Hinhaltender Widerstand: zwecklos. Rein in die Gondel, Bügel runter, auf geht's. Rattatatatatt! Scheint der Apparatur große Mühe zu machen, uns nach oben zu befördern. Das Heimtückische an der Wilden Maus sind die scharfen Kurven und die abrupten Wendungen. Gut, dass ich mir im Lauf der Jahre schützende Fettpolster zugelegt habe, sonst gäb's wieder blaue Flecken. Kurve links, Kurve rechts, eine Schussfahrt, wieder Kurven, noch mal rauf und runter. Dann: vorbei. Belustigte Blicke von der Kollegin und Zuschauern am Ausgang: Ich bin wohl kein Held des Fahrgeschäftefahrens, und man sieht's mir auch an. Für heuer reicht's - nächstes Jahr dann wieder Wilde Maus, Ingrid!

Franz Kotteder

Die Musi ist überhaupt ned fad

Wenn man dicht vor der Bühne sitzt, kann man Josef Menzls verkniffenen Zug um die Mundwinkel erkennen. Der Kapellmeister hat auf sein Notenblatt gut sichtbar "nicht mehr lang" gekritzelt, wohl als Ermutigung an sich selbst. Er wui wieda hoam, kein Wunder, nach dem Shitstorm, dem Bräurosl-Gate. "Die schlechteste Wiesn-Kapelle aller Zeiten", wie sie sich mittlerweile selbstironisch auf Instagram nennt, gilt vielen allerdings ganz im Gegenteil als beste Blaskapelle Bayerns. In der Bräurosl sammeln sich Blasmusik-Enthusiasten aus ganz Deutschland und Österreich. Da wird ekstatisch "Menzl, Menzl, Menzl" skandiert und über kulturelle Aneignung diskutiert: Wer Partymusik wolle, der solle dann bitteschön auch nicht "Dem Land Tirol die Treue" schwören. Seine Kapelle hat nun nicht nur 18 500 Instagram-Follower, sie hat es vor allem geschafft, die Herzen der Bayern zu berühren. Das Zelt ist an diesem Tag voller Fans, alles johlt, alles schunkelt, die Hände zum Himmel, auch ohne entsprechenden Song. Und die Musi ist überhaupt ned fad, Menzl spielt Queen, Abba, die Beatles und, wie passend, "I Will Survive".

Cosima Kopfinger

Das ist ein perfekter Tag

Es ist Donnerstagmittag, am sechsten Tag strahlt die Sonne zum ersten Mal ungestört über der Wiesn. Der Augustiner-Biergarten ist so gut besucht, dass man tatsächlich an ein paar Tischen fragen muss, ob noch drei Plätze frei sind. Es ist warm; die Strickjacke nimmt zunächst auf der Bank Platz, die mitgebrachte Decke, in eine robuste Plastiktüte gepackt, sogar darunter. Und schnell entwickelt sich das, was einen perfekten Wiesn-Tag ausmacht: Ratschen, Essen, Trinken - in der Sonne. Da kommt eine befreundete Familie mit zwei Kindern, die bald zum Karussellfahren muss. Ein älteres Ehepaar, dass das "Layla"-Lied wahrscheinlich gar nicht kennt, der Selbstständige, der seinen Laden spontan zugesperrt hat, eine Frau, die versetzt wurde und sich ebenfalls allein an den Tisch gesellt. Die mitgebrachte Zeitung wird sie nicht lesen. Die jüngere Schwester baut Überstunden ab, später kommt auch die ältere Schwester dazu und hat ein Pärchen aus Brüssel dabei - bierselig fällt das Englischreden leichter. Als es schon dunkel wird, sitzt plötzlich eine alte Bekannte am Nachbartisch und erzählt, was sich seit dem letzten Treffen alles ereignet hat. Es ist halt immer ein bisschen emotional auf der Wiesn. Weil es dieses Jahr fast keine Heizstrahler gibt, geht es zum Abschluss doch noch ins Zelt. Nur den Sechzger-Marsch spielen sie diesmal leider nicht mehr.

Martin Anetzberger

Umfahren der Festwiese unmöglich

Wer in diesem Jahr endlich auf die Wiesn gehen könnte, es aber nicht tut, braucht sich deshalb noch lange nicht sicher fühlen. Weder ist man gefeit vor den Konsequenzen eines Fetzen-Suri (bayerisch für Rausch). Noch bleibt man verschont vor Verrückten, nur weil man sich dem Wahnsinn durch großräumiges Umfahren der Festwiese zu entziehen versucht. So kommt man auch als Unbeteiligte in den Genuss eines persönlichen Wiesn-Moments wie diesen: Dienstagnachmittag, zur Rush Hour in der U4 von der Theresienwiese. Eine bestens gelaunte junge Frau, dem Slang nach Australierin, sitzt einem feschen Typen in Tracht gegenüber. Ihre Hände liegen in seinen, sein Blick versinkt in ihrem, während sie plaudern. Hingerissen lauscht er ihren Worten, lächelt sie an und nickt ihr aufmunternd zu. Sollte er bemerkt haben, dass sie ein Plüsch-Brathendl auf dem Kopf trägt, so lässt er es sich nicht anmerken. Ebenso wenig wie die Umstehenden - in München sind sie zu Wiesnzeiten ganz andere Dinge gewohnt.

Violetta Simon

"Two hundred meters weiter, there is a Pissrinne"

Die Wiesn gehört neben dem Fußballstadion zu den wenigen Orten auf der Welt, an denen man als Mann mehr Zeit für die Toilettenschlange einplanen muss als die Frauen. Vor allem dann, wenn das gewählte Herrenklo kein Urinal hat und das von draußen nicht erkennbar ist. Die Stimmung in der Schlange ist also ähnlich gereizt wie die Blasen der Männer, die sie bilden. Und so drängt sich immer wieder einer vorbei, um zu schauen, ob die Leute vor ihm wirklich alle Größeres vorhaben oder einfach nur zu blöd sind, das Urinal zu finden. Irgendwann versucht auch ein Amerikaner, der Sache auf den Grund zu gehen. Hilfe bekommt er von einem Ortsansässigen, dessen Bayerisch nach geschätzten vier Mass Bier noch deutlich besser zu funktionieren scheint als sein Englisch. "Two hundred meters weiter, there is a Pissrinne."

Jan Schmidbauer

Ein regelrechtes Zelt-Hopping

Das Timing spielte gerade auf dieser Wiesn eine nicht zu unterschätzende Rolle. Weil man unter der Woche problemlos beinahe in jedes Zelt einfach so hineinspazieren konnte, betrieben einige ein regelrechtes Zelt-Hopping, auch wenn sie eigentlich einen reservierten Platz hatten. Der reservierte Tisch, den man nicht ohne eifriges Werben voll bekommen hatte, war deshalb nur dauerhaft mit vier bis fünf Personen besetzt. Weil es fast ein bisschen fad wurde, hätte man auch nichts gegen ein paar angesäuselte neue Gesichter auf der Bank neben sich gehabt. Aber die hatten ja anderweitig Platz. Kurz vor Zeltschluss sind dann plötzlich alle Freunde wieder am Tisch, weil man ja eigentlich gemeinsam hier ist, noch ein bisserl rumschauen und gegebenenfalls was fahren will. Draußen aber drängt es alle nach einer unentschlossenen Runde übers Gelände irgendwann plötzlich auseinander. Die einen verschwinden ins Wein-, die anderen versuchen ihr Glück im Käferzelt, die ganz anderen wiederum müssen ganz, ganz dringend nicht auf die Toilette, sondern ins Teufelsrad. Der kleine Rest der Runde einigt sich schließlich, vor dem Heimweg noch einen Schnaps zu trinken. Weil man damit zu lange gewartet hat, haben die Stände aber schon zu. Hier wäre ein richtiges Timing angesagt gewesen.

Andreas Schubert

"Oans, zwoa, André!"

Am sehr späten Abend, wenn die Zapfhähne fest zugedreht sind und die Zelte abgesperrt, wohnt der Wiesn-Zauber anderen Orten inne. Genauer: Den blauen Bussen der Ringlinie 68, die im Zehn-Minuten-Takt rund um das Stadtzentrum an den vielen Haltestellten singende und heftig angeheiterte Menschen in Tracht ausspucken. Vorher müssen sie diese allerdings erst einsammeln. Der Beethovenplatz ist die nächste Haltestelle zur Theresienwiese. Abfahrt gegen Mitternacht. Alle drängen in den Bus, nur der André fehlt. "André, wo bist du?", ruft einer von vorne. Auf den Sitzreihen stimmen alle ein, es wird ein richtig schöner Chor daraus. Als es über den Goethe- und danach den Kapuzinerplatz geht, ist der gesamte Bus schon bei den schönsten Wiesn-Hits angekommen, mit leicht geändertem Text. "Allez, André, eine Straße, viele Bäume", "André Roads", "Hey André". Ein vielstimmiger Chor erklingt und als man nach Überqueren der Isar den Berg nach Giesing hochfährt, ist Busreihe eins bis zehn in der Kurve heftig beim Schunkeln, unterbrochen von "Oans, zwoa, André!" Johlen, Gackern, Gelächter, und Lucie ruft begeistert: "Im Bus ist es ja lustiger als im Wiesnzelt!"

Ulrike Heidenreich

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