München ohne Oktoberfest:Wiesnträume unterm Fallbeil

Leeres Oktoberfestgelände

Die Bavaria blickt auf die Theresienwiese, doch ein Oktoberfest gibt es in diesem Jahr wieder nicht.

(Foto: dpa)

Um diese Zeit sehnt der Münchner eigentlich dem Start des Oktoberfests entgegen. Doch in diesem Jahr fällt die Wiesn aus - und das stürzt manchen in Verzweiflung.

Glosse von Stefan Simon

Nur noch 45 Tage, dann ist es so weit. Dann geht die Wiesn nicht los, wieder nicht. Die Stadt bleibt auf Entzug, mit ungeahnten Folgen. Der Oberbürgermeister wird Punkt zwölf gedankenverloren zum Schlegel greifen, den er bekanntlich immer bei sich tragen muss, so wie der amerikanische Präsident den Atomkoffer. Er wird kurz durchatmen, im Kopf noch einmal alle ganzen Zahlen von eins bis zwei durchgehen, danach kräftig ausholen und - verwundert innehalten. Nirgendwo ein Fass zum Anzapfen oder ein Ministerpräsident, dem er die erste Mass reichen könnte. Kein Mikro, in das er rufen könnte: Ozapft is!

Zur selben Zeit wird sich der Schichtl zu Hause auf das Sofa legen, den Blick zur Decke gerichtet, wo ein nur locker angedübeltes Fallbeil hängt, das zumindest für ein bisschen Nervenkitzel sorgt. Die Enthauptung des Schaustellers höchstselbst bei lebendigem Leib? Eine geniale Idee. Dass er da nicht schon viel früher draufgekommen ist! Die Leute vom Toboggan sieht man jetzt oft an den Rollsteigen am Flughafen stehen, immer bereit für einen Spruch, falls dort doch mal jemand ins Straucheln kommt. Der Ansager vom Teufelsrad wartet übellaunig im Deutschen Museum, ob sich Freiwillige auf den Drehteller setzen, den er heimlich unter dem Foucaultschen Pendel montiert hat, und die Wiesn-Anwohner diskutieren auf Eigentümerversammlungen, wer an welchem Tag in welchen Vorgarten pinkeln muss.

Jeder vermisst die Wiesn auf seine Weise. Die größte Sorge aber gilt dem Wiesnschurli. 20 Jahre "Wiesnkönig", so steht's auf seiner Homepage - nur kommen seit 2019 einfach keine Jahre mehr dazu. Bitter, auch wenn der Schurli schon immer ein König war, der aus der Zeit gefallen ist. Trinken, flirten, feiern, jeden Tag von früh bis spät, unterbrochen allenfalls von TV-Auftritten mit Playmates und der "Miss Holz vor der Hüttn". Seine Leistung, resümierte er einmal, lasse sich mit der eines Triathleten vergleichen. Und das ist jetzt wirklich gemein: drei Mal Triathlon-Gold in Tokio, und der Schurli geht leer aus. Aber: Nur noch 410 Tage, dann ist es so weit. Dann trinkt, flirtet und feiert er einem neuen Weltrekord entgegen. Darauf ein Dreifaches: Die Kanülen hoch!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: