Bis zu 650 Mal im Monat sind die Mitarbeiter des Bus- und Bahnbegleitservices im Münchner Raum in der Zeit vor Corona ausgerückt. Jetzt nehmen sie ihre Arbeit allmählich wieder auf. Ihre Aufgabe ist es, Menschen mit körperlichen und seelischen Einschränkungen die Mobilität zurückzugeben und ihnen die Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Das Profil der Mitarbeiter: im Schnitt 56 Jahre alt, langzeitarbeitslos. Für viele aber eine Möglichkeit, selbst wieder in der Gesellschaft aktiv zu sein. Wolfgang Krönner vom Katholischen Männerfürsorgeverein in München und Leiter des Begleitservices erläutert die Herausforderungen.
SZ: Aufzüge funktionieren nicht, Baustellen behindern Fahrgäste beim Ein- und Aussteigen - springen Sie dort ein, wo die MVG nicht hinterherkommt?
Wolfgang Krönner: Das ist nicht unser erstes Ziel. Wir wollen die Leute von zu Hause an den Ort bringen, wo sie gern hin möchten. Aber klar, wenn man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, dann stößt man auf diese Hindernisse.
Wie sehr sind Sie mit Ihrem Projekt durch Corona unter die Räder gekommen?
Die Coronakrise hat unseren Begleitservice für Mobilitätseingeschränkte im März vollkommen zum Erliegen gebracht. Unsere Kundinnen und Kunden sind meist über 70 Jahre alt und gehören fast alle zur Risikogruppe. Um wenigstens die häusliche Versorgung dieser Menschen zu unterstützen, haben wir vom 23. März an Besorgungsfahrten und Einkaufshilfen für sie angeboten. Die Anzahl unserer Einsätze ging jedoch um 90 Prozent zurück, da auch viele Nachbarschaftshilfen solche Dienste für ihre Nachbarn übernommen haben. Angesichts des Shutdowns erlebten einige unserer Beschäftigten sicherlich ähnliche Gefühle, wie sie diese während ihrer jahrelangen Arbeitslosigkeit erfahren hatten. Unsicherheiten und Ängste dominierten die Situation. Die meisten von ihnen nutzten jedoch die Krise, um anderen Menschen zur Seite zu stehen. Sie halfen in Häusern für Wohnungslose aus, übernahmen Pfortendienste, und einer ging sogar soweit, dass er seine Nähmaschine anwarf und zu Hause 1500 kreative Schutzmasken nähte.
Und seitdem erste Lockerungen ermöglicht worden sind?
Seit 11. Mai bieten wir wieder unseren Begleitservice an und erleben bisher eine Auslastung von circa 50 Prozent. Viele Kunden verhalten sich momentan noch sehr vorsichtig und überlegen genau, ob sie ihre Gesundheit für das Risiko eines Arztbesuches oder eine Fahrt im ÖPNV aufs Spiel setzen wollen. Wir rechnen damit, dass wir erst wieder im August eine ähnliche Zahl an Aufträgen erhalten werden, wie sie sich vor der Corona-Krise gestaltete. Da unser Projekt vom Jobcenter und der Landeshauptstadt München als Teil der städtischen Daseinsfürsorge gefördert wird, kam es nicht zu finanziellen Einbußen für die Mitarbeitenden.
Woher kam der Vorschlag, einen Begleitservice in München einzurichten?
Die Idee kam vom Facharbeitskreis Mobilität im Behindertenbeirat der Landeshauptstadt. Und die hatten gehört, dass es in Berlin schon so ein Modell gibt. Dann sind sie dahin gefahren, haben sich das angeschaut, das Projekt nach München gebracht und politisch eingespielt.
In Kooperation mit dem Jobcenter ist der Begleitservice Teil des Programms "Teilhabe am Arbeitsmarkt". Wie sieht die Integration der Langzeitarbeitslosen genau aus, was sind ihre Perspektiven?
Zum einen ist es eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. Das heißt, die Leute kriegen ein Einkommen. Die momentane Gesetzeslage ist so, dass sie fünf Jahre bei uns angestellt sind. Zum anderen kommen die Leute wieder raus aus ihren vier Wänden. Und man hat hier ein Team, das heißt es gibt auch soziales Leben, man kann sich austauschen, sich anfreunden, sich auch mal beraten lassen.
Welche Qualitäten benötigen die Mobilitätshelfer im Vorfeld und was lernen sie in den Schulungen?
Man muss in der Lage sein, jemanden zu halten und zu unterstützen. Auch die psychische Belastbarkeit ist ein Punkt, dass man den Menschen eine Sicherheit vermitteln kann. Gute Orientierung, Kommunikationsfähigkeiten, Fingerspitzengefühl, gerade bei den älteren Menschen. Wir bringen den Mitarbeitern bei, wie man genau mit dem Rollstuhl umgeht. Was man beachten muss, damit keiner rausfällt. Es gibt auch eine Schulung für die Begleitung von Blinden und Sehbehinderten. Jeder durchläuft eine Erste-Hilfe-Ausbildung.
Kann so allen Menschen mit körperlichen Einschränkungen geholfen werden? Wie viele sind es?
Wir befördern keine Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren und keine Menschen, die außerhalb des Bezirks Oberbayern leben. Wir begleiten darüber hinaus aber Menschen mit allen Einschränkungen, das geht bei Unsicherheiten los.
Die MVG selbst bietet Senioren Mobilitätstraining an, für das es derzeit aber keine konkreten Termine gibt. "Sicherheit und Service im öffentlichen Nahverkehr" ist eine theoretische Schulung, die in erster Linie auf die Nutzung der U-Bahn ausgelegt ist. Bei der Einheit "Mit Bus und Tram sicher ans Ziel" können Senioren in einem speziell dafür vorgesehen Bus die Nutzung des Verkehrsmittels ohne Zeitdruck proben.