Fehlendes Ockham-GedenkenTiefgarage statt Philosophengrab

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An den Philosophen Wilhelm von Ockham erinnert heute am Max-Joseph-Platz in der Münchner Altstadt nichts. Doch Münchner Wissenschaftler plädieren dafür, dies im Zuge der Umbauarbeiten zu ändern.
An den Philosophen Wilhelm von Ockham erinnert heute am Max-Joseph-Platz in der Münchner Altstadt nichts. Doch Münchner Wissenschaftler plädieren dafür, dies im Zuge der Umbauarbeiten zu ändern. (Foto: Stephan Rumpf)

Wilhelm von Ockham, einer der größten Denker im Mittelalter, wirkte und starb in München. Doch dort, wo sein Grab war, parken nun Autos. Nichts erinnert dort mehr an seine Bedeutung – Wissenschaftler wollen das ändern.

Von Barbara Galaktionow

Der Max-Joseph-Platz vor der Oper gehört gewiss nicht zu den schönsten Orten der Münchner Altstadt. Zwar lässt es sich im Sommer auf den Stufen des Nationaltheaters gut den Sonnenuntergang genießen. Doch werden Aussehen und Atmosphäre des Platzes seit Jahrzehnten beeinträchtigt von der dominanten Zufahrt zur darunterliegenden Tiefgarage.

Wenn Hans Förstl Gäste von außerhalb der Stadt bekommt, enden seine Führungen trotzdem oft genau hier, „als Höhepunkt“ sogar, wie der frühere Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Technischen Universität München (TUM) berichtet. Denn wo sich seit mehr als sechzig Jahren Autos ihren Weg in die oder aus der Tiefe bahnen, war von 1284 bis zur Säkularisation 1802 ein Franziskanerkloster samt Friedhof angesiedelt. Und an diesem Ort lebte im Mittelalter einer der bedeutendsten Denker seiner Zeit und wurde auch hier bestattet: der Theologe und Philosoph Wilhelm von Ockham (auch Occam geschrieben).

Der englische Theologe und Philosoph Wilhelm von Ockham verbrachte die letzten 17 Jahre seines Lebens in München.
Der englische Theologe und Philosoph Wilhelm von Ockham verbrachte die letzten 17 Jahre seines Lebens in München. (Foto: Imago/Photo12)

Den um das Jahr 1285 geborenen Engländer hatte es 1330 nach München verschlagen. Nach einer Auseinandersetzung mit dem damals in Avignon ansässigen Papst war der Franziskaner vor dessen Inquisitionsgericht zunächst nach Pisa geflüchtet, wo er sich dem politischen Widersacher des Papstes, Ludwig dem Bayern, anschloss. Bis zu seinem Tod im Jahre 1347 lebte und wirkte Ockham in München – damals ein intellektuelles Zentrum von europäischem Rang -, als Theologe und Philosoph und als einer der gefragtesten politischen Berater des Kaisers.

Doch davon wissen heutzutage die wenigsten Münchner. Und das, obwohl Ockham in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den literarischen Welterfolg „Der Name der Rose“ und dessen Verfilmung weltweit neue Popularität erlangte: Dem italienischen Autor Umberto Eco diente der Philosoph in seinem Mittelalterkrimi als ein Vorbild für die Figur des William von Baskerville. Im gleichnamigen Film wurde der Protagonist von Sean Connery verkörpert.

Am Platz seines unmittelbaren Wirkens in der Stadt erinnert jedoch nichts mehr an den großen mittelalterlichen Denker. Der Klosterkomplex der Franziskaner wurde 1802 „auf Abbruch“ versteigert und planiert, wie es in einem Beitrag des Hauses der Bayerischen Geschichte heißt. Im 19. Jahrhundert wurde mit dem Bau des Nationaltheaters und der Errichtung des Max-Joseph-Denkmals der Max-Joseph-Platz geschaffen. Und als rund 150 Jahre später, 1963/64, die Tiefgarage unter dem Platz gebaut wurde, wurden die letzten unterirdischen Reste des Franziskaner-Areals offenbar ohne viel Federlesens abgeräumt.

Zwar muss es am Max-Joseph-Platz früher einmal eine Gedenktafel gegeben haben, auf der Ockhams Name gemeinsam mit anderen Berühmtheiten genannt wurde, die auf dem Friedhof zur letzten Ruhe gebettet worden waren, wie dem Renaissance-Komponisten Orlando di Lasso. Doch wo genau diese Tafel befestigt war und wo sie abgeblieben ist, dazu bedarf es nach Anfrage selbst im Bauamt einiger Nachforschungen: Die Behörde verweist auf eine Fußgängerunterführung unter der Maximilianstraße, die allerdings seit etlichen Jahren verschlossen sei.

Diese Gedenktafel in einer Unterführung am Max-Joseph-Platz ist heute nicht mehr zugänglich. Hier wird Ockham (Occam) neben weiteren prominenten Personen gedacht, die auf dem später aufgelassenen Franziskaner-Friedhof beerdigt worden waren.
Diese Gedenktafel in einer Unterführung am Max-Joseph-Platz ist heute nicht mehr zugänglich. Hier wird Ockham (Occam) neben weiteren prominenten Personen gedacht, die auf dem später aufgelassenen Franziskaner-Friedhof beerdigt worden waren. (Foto: Martinus KE/Wikipedia Commons)

„Ockham hat das Denken revolutioniert"“

In einer Petition an die Stadt München wünschen sich führende Wissenschaftsvertreter der Stadt daher nun, dass dem mittelalterlichen Denker im Zuge des laufenden Umbaus des Max-Joseph-Platzes „direkt an seiner Wirkungsstätte“ endlich gedacht werde. Bislang gibt es in Schwabing die Occamstraße sowie beim Sankt-Anna-Kloster der Franziskaner im Lehel eine lateinischsprachige Gedenktafel. „Ockham hat das Denken revolutioniert und wesentliche Voraussetzungen für unsere heutigen Wissenschaften geschaffen“, heißt es in dem Schreiben, das Hans Förstl gemeinsam mit seinen Kollegen, dem Ockham-Experten und früheren Philosophie-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), Wilhelm Vossenkuhl, und Michael Molls, Leiter des TUM Institute for Advanced Study, initiiert hat. Es hat die Unterstützung der Präsidenten einer ganzen Reihe von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen der Stadt erhalten, unter anderen von Thomas F. Hofmann von der TUM und Bernd Huber von der LMU. Vergangene Woche wurde die Petition an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und weitere Vertreter der Stadt versendet.

Revolutionär sei in seiner Zeit Ockhams Lehre von der absoluten Freiheit Gottes gewesen, der potestas dei absoluta, mit der die größtmögliche menschliche Freiheit einherging, sagt Wilhelm Vossenkuhl. Diese bedeute, dass Gott die Welt nicht ein- für allemal erschaffen und sich „dann auf sein Altenteil zurückgezogen“ habe, führt der Philosophie-Professor aus. Sondern Gott wirke weiter in der Welt, deren Ordnung sei daher „nicht fixiert und determiniert, sondern offen“. In seiner Münchner Zeit habe Ockham einige theologische Überzeugungen unter dem Druck des Streits mit dem Papst noch geschärft.

Einer breiteren Öffentlichkeit ist aus dem Gedankenkosmos des mittelalterlichen Philosophen bis heute hauptsächlich die „Ockhams Rasiermesser“ benannte Maxime bekannt. Danach ist, vereinfacht gesagt, bei der Erklärung eines Phänomens die einfachste den anderen vorzuziehen. Erstreckt auf die Sprachkritik bedeutet dies, sich gegen die Erschaffung immer neuer Begriffe zu wenden, die keine konkrete Entsprechung in der Wirklichkeit haben und letztlich nichts erklären.

Gedanken, die auch Hans Förstl in seiner konkreten Arbeit als Arzt und Demenzforscher immer wieder umgetrieben haben. Angesichts einer „ausufernden medizinischen Terminologie“ habe man sich immer wieder fragen müssen, welchen Nutzen diese habe, sagt er. Hier gebe es teilweise einen „Universalienstreit wie damals im Mittelalter“. Ockham habe mit seiner geistigen Unabhängigkeit, ja seinem „Risiko des Denkens“, den Weg hin zur modernen Wissenschaftsphilosophie geebnet.

Nun soll nach dem Wunsch der Wissenschaftler also auch im Herzen Münchens an den englischen Denker erinnert werden. Wie genau das aussehen könnte, würden sie gerne gemeinsam mit der Stadt überlegen. Es solle jedenfalls eine „informative Art von Erinnerung“ sein, sagt Vossenkuhl, nicht nur Name und Lebensdaten Ockhams, sondern auch ein paar Sätze über seine Bedeutung. Hans Förstl ist sich sicher: „Es wäre eine Zierde Münchens.“

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