Süddeutsche Zeitung

Mural Farmhouse:Der Geschmack von Heimat

Lesezeit: 4 min

Im Mural Farmhouse weiß man, was man mit Zutaten aus der Region alles anstellen kann, um erstklassige Gerichte auf den Tisch zu bringen.

Von Marcelinus Sturm

Wollte man heute als junger Koch, als junge Köchin, schnell und umstandslos Furore machen, dann sollte man so kochen wie große Vorbilder zwischen 1900 und 1980: mit möglichst exotischen Zutaten aus aller Welt. Damit kann man wieder Aufsehen erregen, denn das neue Credo lautet: Koche nachhaltig, regional und saisonal, auf dass du die Ressourcen schonest und der Umwelt nicht schadest. Weit und breit findet man kaum noch einen Küchenkünstler, der nicht die Begriffe regional und saisonal erwähnt, wenn er seinen Kochstil erklären soll.

Die in dieser Hinsicht ganz strenge nordische Schule von Dänemark bis Schweden, die ausschließlich mit Produkten arbeitet, die es nur am Ort gibt, hat längst auch in Deutschland Nachahmer gefunden. In München, wo man wie in anderen Künsten auch beim Kochen noch die konservative Wertarbeit schätzt, war man da lange zögerlich. Seit Kurzem aber gibt es das Mural Farmhouse in Obersendling. Eigentlich handelt es sich dabei um einen Ableger des Sternelokals Mural in der Altstadt, der im neuen Hotel der englischen Locke-Gruppe im Gewerbegebiet an der Gmunder Straße Unterschlupf gefunden hat. Und was für einen! Das Restaurant besteht eigentlich aus drei Teilen: Im Erdgeschoss ein Lokal im dezent-eklektizistischen Siebzigerjahre-Design, freilich ohne die knallbunten Farben dieser Zeit, eine (noch nicht geöffnete) Bar im siebten Stock und ganz oben ein Dachgarten, der spätestens im Frühjahr auch als Terrasse fürs Restaurant genutzt werden kann. Dort werden auf 600 Quadratmetern auch Gemüse und Kräuter angebaut, die in der Küche bereits zum Einsatz kommen.

Das Mural Farmhouse folgt in München damit am konsequentesten dem Grundsatz, mit Produkten aus der Region zu arbeiten, die in der jeweiligen Jahreszeit angebaut werden oder mit traditionellen Methoden, zum Beispiel Fermentation, länger haltbar gemacht wurden. Nur beim Wein macht man naheliegender Weise eine Ausnahme. Der junge Sommelier Maxime Joly, der seinen französischen Akzent vortrefflich zelebriert und weiß, wie gut der ankommt, hat derzeit vor allem ungewöhnliche Bio- und Orangeweine aus dem Jahr 2020 ausgewählt. Geradezu beispielhaft kann man das Konzept im Fine-Dining-Bereich des Lokals erleben (es gibt auch eine À-la-carte-Abteilung, die außer montags täglich abends geöffnet hat). Dort gibt es von Dienstag bis Freitag ein Menü mit 16 bis 18 Gängen (120 Euro). Einzelne Gerichte aus dem Menü finden sich aber auch auf der Tageskarte wieder.

Chefkoch Rico Birndt hat sich zum Ziel gesetzt, exemplarisch die ganze Bandbreite seiner Küche im Menü abzubilden. Das beginnt mit einem verblüffend einfachen Gang, der aus einem Herz vom Romana-Salat in Eiswasser mit Verjus aus Trauben und Kirsche besteht. Hat man den Salat verspeist, bekommt man einen Schuss Gin ins Eiswasser und hat den perfekten Aperitif. Begleitet wird der Vorspeisensalat durch einen Kräuterstrauß aus eigener Ernte vom Dach, darüber etwas geriebener Schottenkäse, dazu ein weiterer Teller mit Kiwi aus dem Voralpenland (doch, das gibt es auch schon!), Stachelbeeren und Holunder.

Überhaupt: Salat, Kräuter, Obst und Gemüse sind die Trümpfe im Aromenspiel des Farmhouse. Da wird zum Beispiel mit Löwenzahnkapern gearbeitet, die fermentiert fast nach Oliven schmecken. Gebrannter Lauch mit Hefe und Liebstöckel gehört jetzt schon zu den Klassikern des Hauses wegen seines überraschend intensiven Geschmacks. Und der Hit im derzeitigen Herbstmenü, da waren sich Sturm und seine Begleiterin einig, ist ein satt-cremiger Spargel-Kartoffel-Eintopf, gekrönt mit wunderbar würzigem Bergkäse.

Soll nicht heißen, dass Fleisch und Fisch im Farmhouse nicht ebenso vielseitig eingesetzt werden. Der Zander mit seiner verblüffend knusprig-krossen Haut und dem perfekt gegarten, zart-elastischem Fleisch auf Beurre blanc mit Waldmeister braucht sich vor keinem Steinbutt aus dem Atlantik zu verstecken. Die Seeforelle aus dem Schliersee, 21 Tag lang dry-aged gereift, wird mit Zitronenverbene und Miso beinahe zum japanischen Edel-Sashimi. Und die eigentlich doch fast schon hundsordinäre Simmentaler Kuh (diese Rinderrasse ist der Klassiker in bayerischen Ställen) verwandelt sich mit Bärlauchkapern, Chili und Pimento in einen südamerikanischen Mini-Grill-Spieß und mit Hefe und Karamell sogar in ein süßes Dessert.

Solche Gänge sind natürlich ein echter Höhepunkt: wenn allzu Vertrautes plötzlich überraschend ganz neu interpretiert und präsentiert wird und eine Geschmacksvielfalt freisetzt, die man zuvor nie erwartet hätte. Manchmal aber genießt man auch nur still und sagt sich dann: Habe ich jetzt in diesem 120-Euro-Menü tatsächlich einen Gang gegessen, der nur aus einem Butterbrot bestand? Gut, das Brot kam von Julius Brantner, ohne den in gehobenen Münchner Restaurants inzwischen gar nichts mehr zu gehen scheint, und der Butter war mit Blauschimmel geimpft, also eigentlich ein fortgeschrittener Streichkäse. So banal das klingt, es bringt das Farmhouse-Konzept auf den Punkt: Wer mit der Beschränkung nur kreativ genug umgeht, der kann große Köstlichkeiten schaffen.

Mural Farmhouse , Hofmannstraße 45, 81379 München, Telefon: 089/262089079, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 18 bis 22 Uhr (A-la carte), Menübeginn Dienstag bis Freitag 18.30 Uhr und 19.30 Uhr (Fine Dining)

Die SZ-Kostprobe

Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fast-food-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können.

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