Süddeutsche Zeitung

Olympiaregattastrecke in Oberschleißheim:Das große Zurückrudern

In die Sanierung der maroden Olympiaregattastrecke sollen nur noch neun Millionen Euro gesteckt werden - statt der geplanten 61 Millionen. Sportler und Verbände reagieren verbittert, ihnen fehlt ein Bekenntnis der Stadt zum Spitzensport.

Von Sebastian Winter

Die marode Ruderregattastrecke in Oberschleißheim soll für noch weniger Geld als bisher geplant saniert werden. Das geht aus einer Sitzungsvorlage für den Sportausschuss des Münchner Stadtrats vor, die an diesem Mittwoch diskutiert wird. Darin ist von Investitionen der Stadt über sechs Millionen Euro für das Haushaltsjahr 2021 die Rede, weitere drei Millionen Euro sollen 2022 in die Anlage fließen, die für die Olympischen Spiele 1972 gebaut und seither kaum instandgesetzt wurde. Gut eine Million Euro steckt die Stadt außerdem in temporäre Bauten für die European Championships 2022, deren Ruder- und Kanu-Wettkämpfe auf der Regattastrecke stattfinden sollen.

Frühere Planungen waren weitaus großzügiger angelegt, vor der Corona-Pandemie sollten zumindest 61 Millionen Euro in die seit 2018 unter Denkmalschutz stehende Anlage investiert werden, wie der Stadtrat Ende November 2019 beschloss. Im vergangenen Juli wurde der Betrag dann wegen der massiven Neuverschuldung der Stadt durch die Viruskrise auf 17 Millionen Euro heruntergeschraubt. Davon ist nun nur noch gut die Hälfte übrig geblieben.

Priorität haben der Vorlage zufolge die dringend sanierungsbedürftigen Stege, die zugleich barrierefrei ausgebaut werden sollen. Außerdem wird der umlaufende Weg, den viele Inlineskater, Radfahrer, Jogger, Triathleten, aber auch Ruderer und Kanuten zum Training nutzen, wegen Rissen und Unebenheiten neu asphaltiert. Offenbar auch, damit TV-Teams während der European Championships bessere Bedingungen haben. Ein paar Toiletten werden noch neu gemacht, das Jurygebäude wird durch "kleinere Maßnahmen und Schönheitsreparaturen" etwas aufgehübscht.

Vom großen Wurf, über den sich auch die ansässigen Vereine samt ihrer rund 3000 Kanuten und Ruderer fast 50 Jahre nach den Olympischen Spielen gefreut hatten, ist kaum etwas übrig. Der Start- und Zielturm samt der veralteten Technik, die Heizungsanlage, die Räume über den Bootshallen, in denen wegen Brandschutzvorgaben nicht mehr übernachtet werden darf, fehlende Glasfaserleitungen und nicht zuletzt die riesige Tribüne, die dahinbröckelt? Für all das ist in den nächsten Jahren kein Geld da.

"Ich bin froh, dass es einen ersten Schritt gibt, nachdem jahrzehntelang nichts gemacht wurde", sagt Willi Bock, Vorstand der Rudergesellschaft München 1972 und Funktionär im Bayerischen Ruderverband, "die Stege sind längst ein Sicherheitsrisiko, die Toiletten und die Unterbringung der Athleten unzumutbar." Aber nachhaltig ist das Konzept der Stadt nicht, im Gegenteil. Sie setzt auf temporäre Lösungen, die viel Geld verschlingen und den Vereinen kaum etwas nutzen.

Für die European Championships im August 2022 ist eine mobile Tribüne für 3000 Zuschauer geplant, Container und Zelte werden aufgestellt, die knapp 200 000 Euro verschlingen, die temporäre Beschallungsanlage kostet fast 70 000 Euro, die Verkabelung knapp 140 0000 Euro. Damit will die Stadt bei der Multi-EM, die in die Welt hinaus strahlt und einen immensen Werbewert für München hat, die größten Mängel der Anlage zumindest notdürftig kaschieren.

Während der Breiten- und der Inklusionssport, für die sich auch Sportbürgermeisterin Verena Dietl (SPD) besonders einsetzt, eine neue Perspektive haben, sieht sich der Leistungs- und Spitzensport völlig abgehängt. Und das ausgerechnet auf einer Anlage, die auch der Dachauer Ruder-Weltmeister Oliver Zeidler, eines der größten Aushängeschilder im deutschen Rudersport, als Trainingsrevier nutzt. Die künftige Ausrichtung der Stadt liest sich laut der Vorlage jedenfalls so: "Leistungssport und Veranstaltungen sind (...) nachrangig zu berücksichtigen. Es ist zumutbar, die dafür notwendigen Spezialeinrichtungen für wenige Veranstaltungen im Jahr ggf. mobil und temporär herzustellen."

Oliver Bettzieche frustriert diese politische Haltung zutiefst. Der Chef des Verbands Regatta München kümmert sich seit Jahren um Spitzensport-Veranstaltungen im Rudern an der Regattastrecke, bis hin zu internationalen Weltcups. Am 22. und 23. Mai 2021 richtet der Verband die Junioren-Europameisterschaft in München aus, die jährliche Euro-Masters-Regatta, Europas größte Breitensport-Regatta, wird im nächsten und übernächsten Jahr wegen der Vorbereitungen für die European Championships von München nach Bled in Slowenien ausgelagert. 2024 ist auf der Olympia-Regattastrecke eigentlich ein Weltcup geplant. "Herr Oberbürgermeister Reiter hat die Schirmherrschaft für die Junioren-EM übernommen. Nun müssen wir ernüchtert erkennen, wie löchrig dieser Schirm ist", sagt Bettzieche.

Die Neuausrichtung der Stadt veranlasst den Vorstand zu einem drastischen Schritt. "Da die Stadt in Zukunft Veranstaltungen nur noch nachrangig berücksichtigt und wir ,zumutbar' so verstehen müssen, dass wir selbst für die nötigen temporären Bauten sorgen müssten, wird der Vorstand von Regatta München seine Mitglieder darüber informieren, dass in München bis auf Weiteres keine Regatten mehr geplant werden." Ausgenommen seien die Junioren-EM 2021 und die European Championships. "Aber damit endet die rühmliche Geschichte der Regatten im olympischen Erbe Münchens von 1972", sagt Bettzieche, der durch die neue Kürzung die Ziele von Regatta München ad absurdum geführt sieht: "Die Stadt darf die Verantwortung dafür übernehmen, dass einer der angesehensten und aktivsten Regattaverbände Europas seinen Zweck verliert und sich andere Veranstaltungsorte suchen wird."

Immerhin ist der Verband schon weiter als der 1. Münchner Bogenschützen Club. Der an der Regattastrecke ansässige Verein sollte aus naturschutzrechtlichen Gründen umziehen, doch auch dieser Plan hat sich im Zuge der Budgetkürzungen zerschlagen. Ob die Bogenschützen nun doch bleiben dürfen, ist noch ungeklärt.

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SZ vom 01.12.2020/van/syn
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