Freisinger Hof:Es lebe die Wiener Rindfleischküche

Freisinger Hof: Ganz klassisch: Der Tafelspitz ist so zart, dass man ihn mit der Gabel zerteilen kann.

Ganz klassisch: Der Tafelspitz ist so zart, dass man ihn mit der Gabel zerteilen kann.

(Foto: Stephan Rumpf)

Im Freisinger Hof orientiert man sich an österreichischer Tradition: Fünf Fleischsorten werden angeboten. Kurz denkt man an die CO₂-Bilanz - doch die Gerichte schwächen den Willen.

Von Johanna N. Hummel

Über die Beständigkeit lässt sich trefflich streiten. Für die einen ist sie der Gipfel der Phantasielosigkeit, andere lassen sich in ihrem Schlagschatten behaglich nieder, etwas zu bewahren, macht zufrieden. Als Sinnbild für Beständigkeit könnte der Freisinger Hof gelten.

1995 haben Michaela und Karl Wallisch das Gasthaus aus dem Jahr 1875 an der Oberföhringer Straße übernommen, und die Familie führt es bis heute. Sie hat es renoviert und fein gemacht, würdig für den Bib Gourmand, den es seit Jahren hält. Trotzdem hat sich nicht viel verändert seit 2008, als die Kostprobenrunde das letzte Mal eingekehrt ist: Noch immer an den weißen Wänden Fresken mit Trachtenfigurinen und erlesene Grafiken, noch immer die großen runden Tische in einigen Ecken, alles ist gediegen weiß gedeckt. Seit Corona stehen durchsichtige Stellwände zwischen den Tischen, was ein gutes Gefühl gibt.

Selbst die Speisenkarte liest sich nicht viel anders als vor 14 Jahren. Nun liegt das auch daran, dass der Österreicher Karl Wallisch sich der klassischen Wiener Küche, der Rindfleischküche, verschrieben hat, wie man sie nirgendwo sonst in München bekommt. Sie wird so zubereitet, als hätten das alte Wien und seine Wiener, die mittags auf ein Beinfleisch gingen, Pate gestanden. Wir dachten zwar an CO₂-Bilanz und Kritik am dicken Steak, doch der wunderbar mürbe Ochse aus dem Siedetopf schwächt den Willen.

Fünf Fleischsorten werden angeboten, bei Weitem nicht so viele wie in den Wiener Restaurants vor 100 Jahren. Aber sie werden zelebriert wie dazumal, ob der edle Tafelspitz, so zart, dass man ihn mit der Gabel zerteilen konnte, das saftige Schulterscherzl oder die intensiv gepökelte Zunge. Serviert wurden sie mit Brühe und Wurzelwerk in Kupferkasserollen, dazu gab es knusprige Bratkartoffeln, braven Spinat oder würzigen Speckwirsing, milden Apfelkren und feine Schnittlauchsauce (26 bis 28 Euro).

Nur eines hätten wir gern gewusst: Wo die Rinder herkommen. Im Wien vor hundert Jahren war man da weiter, und für das legendäre Restaurant Meissl & Schadn wurden die Ochsen mit Zuckerrüben gefüttert. Doch bis zu einem Herkunftsnachweis reicht im Freisinger Hof die K.-u.-k.-Verzückung dann doch nicht.

Freisinger Hof: Weiß eingedeckte, große runde Tische. Hier setzt man auf Bewährtes.

Weiß eingedeckte, große runde Tische. Hier setzt man auf Bewährtes.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nun steht nicht nur Siedefleisch auf der Karte. Es gibt ein paar Tagesangebote, die Standardkarte wechselt hauchartig mit den Jahreszeiten, und die kräftige Tafelspitzbouillon (7,50) steht immer darauf. Die aufgeschäumte Maronisuppe schmeckte ziemlich süß, erst der großzügige Schuss Sherry, den der Kellner hineinschüttete, peppte sie auf (9,50).

Die Kellner übrigens sind ein Kapitel für sich: Es bedienten, wann immer wir einkehrten, nur Kellner, als wäre das Wiener Kaffeehaus ein Vorbild. Sie waren präsent und aufmerksam, kenntnisreich und gesprächsbereit, aber nie aufdringlich, wir fühlten uns verpflichtet, sie alle "Herr Ober" zu nennen.

Die SZ-Kostprobe

Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online und mit einer Bewertungsskala. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fastfood-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: Nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können. SZ

Als das Kabeljaurücken-Filet mit Petersilien-Kartoffel-Ragout aufgetragen wurde, schaute ein vorbeilaufender Ober erschrocken auf den Teller und sagte: "Die Trüffel fehlen!" Er brachte Hobel sowie schwarzen Trüffel und häufelte reichlich Scheiben auf das Gericht. Das tat dem perfekt gebratenen Fisch gut und brachte uns den Preis von 34,50 Euro etwas näher.

Beim braven Kartoffelragout blieben wir distanziert, es machte pappsatt, eine Eigenschaft, die auch der an sich schön schlotzige Risotto von Gerstengraupen mit Wurzelwerk und Rosenkohl hatte, das einzige fleischlose Essen unter den Hauptspeisen (23,50). Gekrönt war es von köstlichen, in Tempurateig ausgebackenen Schwarzwurzeln.

Mit überraschenden Kreationen aber hält sich die Küche zurück. Sie baut auf das Bewährte, das Fleischerne, und vieles schmeckte uns so gut wie 2008, zum Beispiel die geräucherten Blutwürstchen mit Apfelspalten (14) oder das saftige Bio-Backhendl in knuspriger Panade und mit feinem Kartoffel-Gurken-Salat (23,50). Am Zwiebelrostbraten gab es nichts zu meckern, und dass der Ober nicht fragte, ob wir das Fleisch durch, rosa oder blutig wollten, hat auch Tradition. 2008 war das nicht anders (32,50).

Die halbe Bauernente, zart und mit rescher Haut, lag neben zwei lockeren Knödeln in leichtem Bratensaft (28,50). Nur beim Wiener Schnitzel (27,50) schwächelte die Küchencrew, vielleicht ruhte auch die Routine, was manchmal passierte, schwer auf dem Kochlöffel. Die Panade war matt und kühl, die Kartoffeln hatten ein paar Krümel Petersilie abbekommen.

Freisinger Hof: 1995 haben Michaela und Karl Wallisch das Gasthaus übernommen.

1995 haben Michaela und Karl Wallisch das Gasthaus übernommen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Österreichisches hat den Vorrang, auch beim Wein. Im hinteren Gastraum steht ein Weinschrank mit einem hübschen Angebot. Die offenen Weine kamen vor allem aus dem Weingut Stift Klosterneuburg, und sie waren alle angenehm, ob der frische Grüne Veltliner, der interessante Zierfandler-Rotgipfler oder der typische Blaufränkische (0,2 Liter 6 bis 7). Das Bier stammt vom Freisinger Hofbrauhaus (die Halbe Urhelles vom Fass 5,20).

Kein Essen ohne Mehlspeise und beim üppigen karamellisierten Kaiserschmarrn mit Apfelmus und Zwetschkenröster wurden wir schwach (14,50). Die Palatschinke (9,50) aber bewies, dass eine sündige Delikatesse aus fast nichts entstehen kann: aus hauchdünnem Pfannkuchen, bestrichen mit feiner Marillenmarmelade, heiß und in Butter schwimmend, wunderbar. Übrigens, auch er steht schon immer auf der Karte. Es lebe die Beständigkeit? Manchmal schon, selbst wenn Stammgäste es nicht leicht haben. Es sei denn, sie halten es mit dem alten Kaiser Franz Joseph. Er wollte jeden Tag Tafelspitz auf dem Esstisch sehen.

Freisinger Hof, Oberföhringer Straße 189-191, Telefon: 089/189 082 400, www.freisinger-hof.de, Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag von 11 bis 24 Uhr, alle Kostproben finden Sie unter sz.de/thema/Restaurants

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