Kälte:Streit im Stadtrat nach weiterer Räumung von Obdachlosenlager

  • Die Stadt hat am Dienstagmorgen ein Obdachlosenlager in der Unterführung an der Kapuzinerstraße geräumt.
  • Über die Haltung der Stadt, Camps sogar im Winter zu räumen, geraten SPD und Grüne im Stadtrat mittlerweile heftig in Streit.
  • Viele Obdachlose lehnen es ab, im Kälteschutz in der Bayernkaserne zu übernachten, in dem Platz für 850 Menschen ist.

Von Thomas Anlauf und Heiner Effern

Die Stadt hat am Dienstagmorgen erneut ein Obdachlosenlager geräumt. Gegen sieben Uhr früh wurden Matratzen, Möbel, Decken und Kleidung säckeweise aus der Unterführung an der Kapuzinerstraße in Container verfrachtet und abtransportiert. Dort lebten bis Montag etwa ein Dutzend Obdachlose, darunter Deutsche, Italiener und Polen. Im Gegensatz zu einer Räumungsaktion Ende November, als unter Polizeischutz zwei Obdachlosencamps unter der Reichenbachbrücke und der Wittelsbacherbrücke aufgelöst wurden, gab es keine politischen Proteste oder Kundgebungen an der Kapuzinerstraße.

Doch über die Haltung der Stadt, Camps sogar im Winter zu räumen, geraten SPD und Grüne im Stadtrat mittlerweile heftig in Streit. In einem Eilantrag für die kommende Vollversammlung an diesem Mittwoch fordern die Grünen, sämtliche Räumungsaktionen umgehend zu stoppen. Sie verlangen stattdessen, "ein Konzept zu erarbeiten, das von einem Teufelskreis pauschaler Räumungen absieht und das Recht auf Handlungsfreiheit und persönliche Selbstbestimmung würdigt". Vor allem solle der Kälteschutz deutlich verbessert werden.

Der einstige Koalitionspartner SPD reagiert gereizt auf die Forderungen der Grünen. "Wer Menschen in solcher Kälte lassen will, nimmt ihr Erfrieren sehenden Auges in Kauf", schrieb SPD-Fraktionsvize Christian Müller auf Facebook. Die Grünen würden mit ihrer Attitüde moralischer Überlegenheit und dem Verfechten einer vermeintlichen Freiheit den Menschen, die in wilden Camps lebten, keinen Gefallen tun, legte Müller am Telefon nach. "Was ist denn los, wenn jemand bei den Minusgraden im Moment unter Alkoholeinfluss erfriert?" In den Camps herrschten zudem hygienisch untragbare Zustände, sagte Sozial-Experte Müller. Viele Bewohner befänden sich in einem psychischem Ausnahmezustand. Zudem sorgten Gasflaschen zum Heizen immer wieder für Gefahr. Das so zu belassen, "ist nicht mein Verständnis von Sozialpolitik".

Die Räumung eines Obdachlosenlagers sei "eine perfide Auslegung von Nächstenliebe", konterte Kraus am Dienstag. Denn mit der Räumung sei das Problem nicht aus der Welt geschafft, "die Leute können ja trotzdem erfrieren, das ist doch absurd". Tatsächlich lehnen viele Obdachlose es ab, im Kälteschutz in der Bayernkaserne zu übernachten, in dem Platz für 850 Menschen ist. Das hat viele Gründe: Sie werden dort kontrolliert, manche haben wegen Alkoholproblemen Hausverbot, andere haben Hunde, die dort nicht mitkommen dürfen. Ihre Spinde müssen Männer, wenn sie um spätestens neun Uhr die Notunterkunft verlassen müssen, wieder räumen. Außerdem gibt es keine Kochmöglichkeiten. All das fordern viele Obdachlose - und die Grünen unterstützen sie dabei.

Die SPD hält dagegen, dass Kontrolle möglich sein müsse, und auch eine Einschränkung des Alkoholkonsums. Im Kälteschutz sei nicht an dauerhaftes Wohnen gedacht, sondern an eine Unterbringung in Notzeiten. Tagsüber könnten die Männer gratis zu Aufenthaltsräumen kommen, in denen sie auch beraten würden. In den Kälteschutzräumen erhielten Betroffene "alles, was für die Menschenwürde nötig sei", sagte Fraktionsvize Müller.

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