Protestaktion am S-Bahnhof:Aktivisten entfernen Armlehnen an Sitzbänken am Marienplatz

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Protestaktion am S-Bahnhof: Auf einigen Bänken ließen die Aktivisten eine Armlehne stehen, damit Menschen, die darauf angewiesen sind, sich weiter abstützen können.

Auf einigen Bänken ließen die Aktivisten eine Armlehne stehen, damit Menschen, die darauf angewiesen sind, sich weiter abstützen können.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Dort ist nun das Liegen wieder möglich. Mit der Aktion soll auf die obdachlosenfeindliche Architektur in München aufmerksam gemacht werden. Die ist nicht nur an den S-Bahn-Stationen ein Problem.

Von Katharina Haase

Mit einer Aktion gegen die "defensive Architektur" im Umgang mit Obdachlosen im öffentlichen Raum haben mehrere Aktivistinnen und Aktivisten am Dienstag im S-Bahnhof am Münchner Marienplatz Armlehnen von Sitzbänken entfernt. Dadurch wurde der unterbrechungslose Sitzbereich so verlängert, dass sich Menschen auf insgesamt 23 Bänken nun hinlegen könnten. Die Aktivisten, die unter dem Motto "Wir lassen uns nicht verdrängen" agieren, fordern in einem Statement ein Ende der "menschenfeindlichen Architektur", die Obdachlose immer mehr aus der Gesellschaft herausdränge.

Die Bänke waren im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen im Jahr 2019 an vielen S-Bahnhöfen Münchens neu montiert worden. Bereits damals wurde die Deutsche Bahn für die Installation der Armlehnen kritisiert. In einer Broschüre der Firma Metdra, die derartige Bänke vertreibt, heißt es: "Die optionalen Armlehnen ermöglichen ein leichtes Aufstehen und verhindern gleichzeitig den Missbrauch zum Liegen." Die Deutsche Bahn weist die Vorwürfe zurück. Die Lehnen, so die Erklärung, dienten ausschließlich der Kundenzufriedenheit und würden deshalb wieder angebracht. Zudem werde man Anzeige wegen Sachbeschädigung erstatten, so ein Sprecher.

Die Lage der Obdachlosen auf Münchens Straßen hat sich seit 2019 verschärft, auch bedingt durch die Corona-Pandemie. Viele Einrichtungen, die vor allem im Winter Schutz vor Kälte und Nässe boten, wurden während der Lockdowns geschlossen. In einigen herrschen noch immer strenge Vorgaben, was die Anzahl der dort gleichzeitig untergebrachten Personen betrifft. Zudem gibt es auch Obdachlose, die sich in keine Einrichtung zurückziehen wollen.

Viele spüren, dass ihr nächtlicher Aufenthalt in den S-Bahnhöfen unerwünscht ist. Die obdachlose Mathilde etwa sagte der Süddeutschen Zeitung, dass sie und weitere Wohnungslose stets vertrieben würden, wenn sie sich zum Schlafen in die vergleichsweise warmen S-Bahn-Stationen zurückzögen.

Protestaktion am S-Bahnhof: Nach der Demontage der Armlehnen ist ein Liegen auf den Sitzbänken wieder möglich.

Nach der Demontage der Armlehnen ist ein Liegen auf den Sitzbänken wieder möglich.

(Foto: wir-lassen-uns-nicht-verdraengen)

Doch nicht nur in den S-Bahnhöfen ist die Verdrängung von Obdachlosen ein Problem. So geriet zum Beispiel eine Sparkassenfiliale in München Ende 2022 in die Kritik, weil sie im Geldautomatenraum Metallzacken auf dem Boden installierte. Die Ausstellung "Who's next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt", die Anfang 2022 in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen war, zeigte eindrücklich, wo und wie Obdachlose in Großstädten systematisch aus dem Stadtbild verdrängt werden - aber auch, wie man dies verhindern könnte.

"Der öffentliche Raum ist für alle da"

Die Stadtratsfraktion von Die Linke/Die Partei forderte die Stadtverwaltung am Mittwoch in einen Antrag dazu auf, sämtliche Formen von "defensiver und menschenfeindlicher Architektur" in München zu verbieten, alle derartigen Konstruktionen aufzulisten und Möglichkeiten zur humanen Veränderung vorzuschlagen. "Der öffentliche Raum ist für alle da", teilte dazu die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Marie Burneleit (Die Partei) mit.

Protestaktion am S-Bahnhof: Marie Burneleit, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Stadträtin von Die Partei.

Marie Burneleit, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Stadträtin von Die Partei.

(Foto: Robert Haas)

Für die Aktivisten am Marienplatz, die sich selbst keiner Partei oder Organisation zuordnen wollen, kommt dieses Ansinnen jedoch zu spät. "Statt darauf zu warten, dass Parteien unsere Probleme lösen, nehmen wir die Dinge selbst in die Hand", heißt es seitens der Aktivisten. Sie fordern Stadt und Staat auf, mehr Geld zu investieren, um das Grundbedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum abzudecken, anstatt dieses den Profitinteressen von Immobilieninhabern und Konzernen unterzuordnen.

Damit Personen, welche aufgrund eingeschränkter Mobilität auf die Unterstützung der Armlehnen angewiesen sind, diese weiter nutzen können, ließen die Aktivisten einzelne Armlehnen stehen. Die Demontage der Lehnen sei ohnehin nur ein Beispiel dafür, was sich in München ändern müsse. "Bei unserer Aktion geht es nicht nur um die einzelnen Bänke. Es braucht ein Umdenken zur Frage, wie wir als Gesellschaft mit Obdachlosigkeit umgehen wollen. Wir denken, dass nicht die Menschen, welche durch diese Architektur verdrängt werden sollen, das Problem sind. Es sind die Zustände in denen sie leben müssen, die falsch sind."

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