Süddeutsche Zeitung

Schwabing/Gern:Häusliche Krisen

Sozialreferentin Schiwy rechnet, coronabedingt, mit einem starken Anstieg der Zahl der Wohnungslosen. Am Hohenzollernplatz und an der Dantestraße entstehen jetzt zwei neue städtische Unterkünfte

Von Ellen Draxel, Schwabing/Gern

Münchens Bevölkerung wächst, die Mietpreise steigen. Zugleich fehlt es stadtweit an Sozialwohnungen - weshalb die Kommune ständig vor der Herausforderung steht, Standorte zur Unterbringung von akut wohnungslosen Menschen zu akquirieren. Waren es vor der Corona-Krise noch etwa 8600 Menschen, die kein dauerhaftes Dach über dem Kopf hatten, ist der Bedarf aufgrund der Pandemie laut Sozialreferentin Dorothee Schiwy "erheblich" gewachsen. Vor allem von Herbst an rechnet man im Sozialreferat mit einem starken Anstieg der Wohnungslosigkeit oder der drohenden Wohnungslosigkeit, etwa aufgrund von Mietschulden, familiären Krisen mit Trennungen und der Zunahme häuslicher Gewalt.

"Wir gehen davon aus, dass auch Mittelschicht-Haushalte existenziell von der jetzigen Krise betroffen sein werden", sagt Referatssprecherin Hedwig Thomalla. Zumindest zwei neue Bleiben für Wohnungslose aber hat das Sozialreferat jetzt gefunden: eine am Hohenzollernplatz 7 in Schwabing und eine weitere an der Dantestraße 18 in Gern. Beides sind Wohnhäuser im Privateigentum, die der Stadt zur Anmietung angeboten wurden. Das Gebäude im Herzen Westschwabings ist dabei aus städtischer Sicht für Einzelpersonen und Paare gedacht. 92 Apartments für maximal 180 Menschen, die, obwohl erwerbstätig, bislang keine eigene Wohnung finden konnten. Mit "überdurchschnittlichen" baulichen Standards, insbesondere was Ausstattung und Raumgrößen anbelangt. Für die Kosten der Unterkunft sollen die Bewohner am Hohenzollernplatz laut Sozialbehörde selbst aufkommen, die Miete soll entsprechend finanzierbar bleiben. 25 Jahre lang, von kommendem Jahr an bis Ende 2045, will die Stadt das Objekt für diesen Zweck nutzen.

Die Anmietung des Wohnhauses an der Dantestraße ist für denselben Zeitkorridor geplant. Einziehen sollen dort bis zu 90 junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 27 Jahren - Singles und Paare. "Diese jungen Menschen", von denen sich Ende 2019 etwa 350 im Wohnungslosensystem der Stadt befanden und deren Hilfebedarf oft erst nach der Volljährigkeit entstanden ist, benötigten "eine differenzierte Unterbringungsform", erklärt Schiwy in der Beschlussvorlage, die zunächst Ende Mai dem Sozialausschuss des Stadtrats hätte vorgelegt werden sollen, nun aber bereits vom Feriensenat am Mittwoch mit den Stimmen von Grünen, SPD und Linken mehrheitlich beschlossen wurde. Sozialpädagogisch betreut und geführt werden sollen beide Häuser von einem noch zu bestimmenden freien Träger der Wohlfahrtspflege, wobei der Einrichtung an der Dantestraße aber ein intensiverer Personalschlüssel zugedacht ist. "Analog zum Stellenschlüssel der betreuten Wohnprojekte für unbegleitete minderjährige und heranwachsende Flüchtlinge", so Schiwy. Zur "zusätzlichen Unterstützung" sei in Gern außerdem das Zuschalten von erzieherischem und hauswirtschaftlichem Personal möglich.

So viel Verständnis man im westlichen Schwabing für die Situation aufbringt - dass der Bezirksausschuss der vorgezogenen Entscheidung wegen "einfach übergangen" und nicht mehr angehört wurde, ärgert die Lokalpolitiker "maßlos". "Das ist der krönende Abschluss nach 46 Jahren BA-Tätigkeit", schimpfte CSU-Fraktionssprecherin Ingrid Braunstorfinger in der letzten Sitzung ihrer langjährigen politischen Arbeit am Mittwochabend. Braunstorfinger, die an der Ecke wohnt, findet auch die Belegung zu dicht: Der Platz, sagt sie, vertrage die zusätzlichen 180 Personen nicht. "Wir haben schon die Drogenberatung Condrobs mit dem Kontaktladen "Limit" in der Nähe, der sich wunderbar integriert hat, wir haben seit Kurzem das Beratungszentrum Destouches 89 für Wohnungslose, und wir haben die vielen Menschen, die am Hohenzollernplatz umsteigen." Der scheidende Gremiums-Chef Walter Klein (SPD) hingegen ist der Ansicht, das Projekt sei "nicht schlecht: Die Leute haben einen Job, sind also tagsüber arbeiten und nicht auf dem Platz, und sie zahlen selbst. Sie haben nur keine Wohnung."

Vorgezogen hatte Schiwy die Beschlussfassung aus aktuellem Anlass: Weil Krankenhauspersonal in München derzeit besonders dringend benötigt wird, Wohnungen aber schwer zu finden sind, wurde der München-Klinik die Möglichkeit einer vorübergehenden Anmietung des Hauses an der Dantestraße in Aussicht gestellt. Doch die Klinik lehnte ab - "zeitnah zum Sitzungstermin". Eine terminliche Umplanung sei damit, so Schiwy, aufgrund der "umfangreichen verwaltungsinternen und -externen Abstimmungen" nicht mehr möglich gewesen.

Im Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg nahmen die Lokalpolitiker die Entscheidung, anders als im westlichen Schwabing, ohne Grollen und ohne weitere Debatte zur Kenntnis. Sie wollen das Vorhaben aber im Juni im Unterausschuss Soziales noch einmal vorgestellt bekommen und bitten außerdem darum, die Anwohner an der Dantestraße zu informieren, durch Flyer oder auch eine Infoveranstaltung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4898228
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.