Süddeutsche Zeitung

München:Nur das Nötigste

Seit Mittwoch sind Geschäfte geschlossen, die nicht der Grundversorgung dienen. Die Kunden gehen mit der neuen Situation unterschiedlich um. Eine Bestandsaufnahme in Einkaufszentren am Stadtrand

Am liebsten würde man Lubika Jarikova die Hand schütteln, sie umarmen - aber genau das geht ja nicht mehr. Zusammen mit ihrem Mann betreibt sie die italienische Eisdiele "Gelatissimo" im Mira Einkaufszentrum an der Nordheide. Freunde ihrer beiden Kinder haben Bilder gemalt: Mit Regenbogen und der Durchhalteparole "Tutto andrà bene" - "Alles wird gut". "Ja", sagt die 42-Jährige, "so etwas braucht es, damit man positiv bleibt." Sie lacht und gestikuliert, während ein Angestellter aus Apulien einen Pistazienbecher kreiert. Mit der Situation zu hadern, habe gar keinen Sinn, beschreibt Jarikova ihre Gefühlslage. Man müsse sich anpassen. Noch hat sie geöffnet. Eis zum Mitnehmen ist erlaubt. Aber auch draußen darf Eis geschleckt werden, an Tischen, im gebührendem Abstand voneinander.

Im Mira selbst ist es ruhig. Im Sushi-Laden wird geputzt, auch im Soul Bowles. "Alles ausräumen", heißt die Devise. An diesem Donnerstag werden sie ihre Läden schließen. Vor der Hofpfisterei steht eine Schlange. Sonst ist es still. Nur im Aldi geht es rund. Wohl wegen der Klopapierrollen, die vor allem Frauen in großen Taschen heraustragen. "Sieben Paletten haben wir gestern einsortiert", sagt der Mann an der Kasse, "um 13 Uhr war alles weg." Center-Manager Josef Blattner ist aber mit dem Verhalten der Menschen im Mira zufrieden. Die Stimmung sei gelassen. "Wichtig ist für uns eine gute Grundversorgung." Und dass die Leute draußen auf dem Vorplatz fünf Minuten Auszeit haben: bei einer Kugel Eis von Lubika.

Im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) sieht es nach entspanntem Einkaufen aus - wenn bloß dieses Gefühl der latenten Bedrohung nicht wäre. Bei Vinzenzmurr hat man statt der üblichen Schlangen auf einen Schlag zwei Verkäufer ganz für sich. Die um die Pflanztröge gruppierten Viererbänke sind wie andere Sitzinseln abgesperrt. Im OEZ haben wie in der Meile Moosach und im Evers alle Geschäfte zu, die nicht der Grundversorgung dienen. Die Kunden lassen sich in zwei Hälften einteilen: Die einen haben den Einkaufswagen randvoll gepackt, die anderen kaufen nur für heute oder morgen ein. Bei der ebenfalls geschlossenen Literaturhandlung "Blattgold" kann man Bücher telefonisch bestellen, sie werden kostenlos geliefert.

Péter Staszkiv, 39, und seine Frau Katalin vom Leckerwerk im Evers am Oertelplatz haben bis zum frühen Nachmittag noch keinen einzigen Baumstriezel gebacken, dafür aber Lángos, jene ungarische Spezialität aus frittiertem Hefeteig, mit Schmand, Knoblauch, Schinken oder Käse belegt, die sich ein Pärchen gerade schmecken lässt. Das Hauptgeschäft am Stachus ist zu, in Allach wollen Staszkiv und seine Frau noch so lange öffnen, wie sie dürfen.

Ähnliche Bilder im Osten der Stadt: Schon die Fahrt zur U-Bahn-Haltestelle Messestadt West hat etwas Geisterhaftes. Die letzten zwei Stationen ist der Waggon leer. Fast leer ist auch der weitläufige Platz vor den Riem Arcaden. Nur das Weinen eines Kindes unterbricht die gespenstische Ruhe. Im Shopping-Center ist es nicht anders. Kleidungs- und Geschenkeläden sind zu. Bei vielen Shops sind die Rollläden heruntergelassen. Dazwischen ein paar Restaurants und Imbisse, die geöffnet haben. Die Angestellten putzen die Glasscheiben, Essen bestellt so gut wie niemand.

Vor der Apotheke im Erdgeschoss hingegen hat sich sogar eine Schlange gebildet. Auf einem Schild am Eingang steht: "STOPP - bei Fieber bitte draußen bleiben". Eine Apothekerin mit Mundschutz passt auf, dass keiner eintritt, ohne sich die Hände zu desinfizieren. Die Wartenden sprechen kaum. Doch die Ruhe täuscht. Die Nerven sind angespannt, was sich zeigt, als sich jemand beschwert: "Stellt euch doch weiter vor." Sofort folgt in harschem Ton die Antwort: "Nein, es ist wichtig, dass man ausreichend Abstand hält."

Im Edeka ein Stockwerk tiefer sind die Regale gut gefüllt, mit großen Lücken bei Nudeln und Mehl. Zwei Frauen stehen als einzige auf der Rolltreppe. "Ganz schön gespenstisch", sagt die eine. Die Schlange vor der Apotheke hat sich inzwischen aufgelöst. An den Gastro-Ständen stehen ein paar Menschen für ihr Mittagessen an. Sie nehmen ihre Tüten und verlassen die Riem Arcaden möglichst schnell wieder.

Ganz normal ging es auf den ersten Blick am Dienstagnachmittag noch im Zentrum Neuperlachs zu. Doch auf den zweiten Blick war schnell klar, dass das täuschte: Wo sich sonst zwischen dem Einkaufscenter Pep und dem Aufgang der U-Bahnstation Menschenmassen hin und her wälzen, herrschte fast schon Beschaulichkeit. So wie man mit einem Dimmer die Lichtstärke nach und nach senkt, so hat offenbar das Coronavirus das öffentliche Leben auf Sparflamme gesetzt - schon am Dienstag ein leiser Vorgeschmack auf den Katastrophenfall, der ja für Mittwoch ausgerufen wurde. Nun sitzen an den Tischen im Freien vor Starbucks und McDonald's wenige, aber offenbar entspannte Gäste, drinnen herrscht fast schon Leere. Ähnliche Eindrücke gewinnt man im Pep selbst. Nur in den Lebensmittelläden und Imbissen werden Kunden noch bedient. Hauptziel ist der Kaufland im Untergeschoss. Besucherströme lassen sich nirgends ausmachen, es sind eher Besucherrinnsale. Und noch etwas fällt auf: relativ viele offensichtlich schulpflichtige Jugendliche, relativ viele Rentner, relativ viele Mütter mit Baby und relativ viele Familien, bestehend aus Großeltern, Eltern und Kindern, die gemeinsam zum Einkaufen kommen. Ob der Appell, das soziale Leben einzuschränken und dadurch das Infektionsrisiko für sich und andere zu minimieren, bei allen angekommen ist?

Auch im Westen hat man auf Sparflamme schalten müssen. Viele Läden in den Pasing Arcaden hatten sich schon am Dienstagabend von ihren Kunden verabschiedet. Wie etwa der Fan-Shop des FC Bayern, der darauf hinweist, dass das Wohlbefinden der Kunden und Mitarbeiter nun "höchste Priorität" habe. Diesen Tenor hat auch das Statement des Centermanagements: "Die Gesundheit unserer Kunden, Mitarbeiter sowie Miet- und Geschäftspartner hat für uns höchste Priorität", begründet man die Maßnahme, vorerst nur die Grundversorgung anzubieten. Es sind wenige Leute unterwegs in den Etagen, die meisten schleppen das anscheinend wichtigste Gut nach Hause: Klopapier. Die Optiker haben geöffnet, aber ohne Sehtest. Ein Friseur, der mit besorgtem Blick allein in seinem Laden steht, bekommt von einer Passantin ein aufmunterndes "Machen Sie's gut, wird schon!" geschenkt. Im Lottoladen weist ein Schild auf die Hygiene beim Ausfüllen hin. Am besten holt man seinen eigenen Stift aus der Tasche. Und hört zum Schluss von der Frau an der Kasse den zuversichtlichsten Satz des Tages: "Lotto gespielt wird immer!"

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SZ vom 19.03.2020 / anna, BN, czg, gru ilgd, ole
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