Süddeutsche Zeitung

Strafjustizzentrum:Ein Kunstwerk, das keine Zierde sein soll

Dort, wo jahrelang der Prozess gegen den rechtsterroristischen NSU stattgefunden hat, erinnert nun ein Holzrelief an das Geschehene. Es lässt Platz für offene Fragen und Wunden.

Von Jürgen Moises

Einen Schlussstrich, den kann es nicht geben. Sätze wie diesen hat man schon oft gehört. Sebastian Jung sagte ihn vor dem Strafjustizzentrum, wo an diesem Montag in der Mittagssonne seine "künstlerische Intervention zum NSU-Prozess" vorgestellt wurde. Das heißt konkret: Ein zwei mal vier Meter großes Holzrelief an der Fassade des Gebäudes, in dem vom 6. Mai 2013 bis 11. Juli 2018 der Prozess gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe und vier ihrer Unterstützer stattfand. Es war ein langer, schwieriger Prozess, der im Fall von Zschäpe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe führte. Ein Urteil, das auf 3025 Seiten formuliert wurde, und das trotzdem viele offene Fragen ließ. Etwa, warum die zehn Morde und 43 Mordversuche des Nationalsozialistischen Untergrunds so lange unentdeckt blieben.

Für Katrin Habenschaden ist diese Tatsache noch immer "unbegreiflich". Münchens Zweite Bürgermeisterin war eine von fünf Rednerinnen und Rednern, die zur Präsentation des Kunstwerks eingeladen waren. Dazu gehörten neben ihr die Vizepräsidentin des Oberlandesgerichtes München Ursula Schmid-Stein, Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums Mirjam Zadoff sowie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch. Die 87-Jährige hatte sich erst einen Tag zuvor zu der Ansprache bereit erklärt, in der auch sie auf die "offenen Fragen" hinwies. Keine "Zierde", sondern eine Mahnung und ein "Signal für die Zukunft" solle es sein, sagte sie über das Kunstwerk. Ein Zeichen dafür, dass "Hass und Gewalt nie über Offenheit und Toleranz siegen".

Als "eine Kritik an den Verhältnissen" bezeichnete wiederum Mirjam Zadoff das Relief, das im Zusammenhang mit der Ausstellung "Tell me about yesterday tomorrow" entstand, welche noch bis zum 18. Oktober im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist. Dass es den NSU-Prozess "vom Verhandlungsraum in die Öffentlichkeit holt", darin sieht sie das entscheidende Signal. Denn nachdem sich die Justiz mit dem rechten Terror beschäftigt hat, sei es nun an der Gesellschaft, sich den damit verbundenen Fragen zu stellen. Tatsächlich zeigt das in eine helle Pressspanplatte eingeschnittene Relief eine Gerichtsszene, die auf Skizzen beruht, die Sebastian Jung während des Prozesses gemacht hat. Man sieht Richter, Anwälte, die Angeklagten - die Opfer und ihre Angehörigen aber nicht. Für sie, für die offenen Fragen und Wunden, steht eine Leerstelle im Bild.

Dass Polizei und Justiz die Opfer jahrelang zu Kriminellen oder sogar Mördern erklärten und dadurch noch zusätzlich verhöhnten: auch so etwas "dürfe und werde es", so Georg Eisenreich, "in dieser Form nicht mehr geben". Er versicherte: "Die Sicherheitsbehörden haben ihre Lehren daraus gezogen." Mit dieser Überzeugung stand der Minister aber doch eher alleine da. Und so verwies denn auch Katrin Habenschaden im Kontrast dazu darauf, wie sehr der staatliche "Rufmord" an den Opfern deren Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert habe. Dieses Vertrauen durch Aufklärung wiederherzustellen, das sei die Aufgabe der Politik. Und dass sie diese nicht vergisst, auch dafür könnte das Relief vielleicht eine Mahnung sein.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2020/kafe
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