Ein Bild von München, eine Stadtansicht in Öl. Sehr unspektakulär, die Perspektive kennt fast jeder: aus der Residenzstraße streift der Blick eine Ecke der Feldherrnhalle und geht dann Richtung Odeonsplatz. Weiß-blaue bayerische Fahnen wehen … doch das ist nur die Oberfläche, die jahrzehntelang sichtbar war. Und die Abgründe verbarg. Denn die Altmünchner Straßenszene zeigte ursprünglich – erst das Röntgenbild macht es unter der Übermalung sichtbar – Hakenkreuzfahnen und SS-Wachen am Nazidenkmal für die erschossenen Hitler-Putschisten.
„Erinnerung ist …“, heißt die Ausstellung, mit der das Münchner NS-Dokumentationszentrum nach fünfmonatiger Schließung und Umbaupause am Donnerstag (13 Uhr) wieder eröffnet. Der Filmproduzent Thomas Schuhbauer als Erbe des in der Ausstellung gezeigten Bildes schildert im Kommentar zum Nazi-Gemälde von 1934 seine Erinnerung: „Fünfzig Jahre lang saßen wir unter einem Hakenkreuz und SS-Wachen, ohne es zu ahnen.“

Es sind solche Abgründe, Retuschen der Geschichte, Überraschendes, Verstörendes, 22 Objekte insgesamt, die die Kuratorinnen Karolina Kühn und Ulla-Britta Vollhardt zunächst für ein Jahr als „Intervention“ in der sonst dokumentarisch-zweidimensional gehaltenen und kaum veränderten Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums platziert haben.
Diskussionswürdiges wird in der aktuellen Ausstellung gezeigt, wie das Metallbesteck aus der NSDAP-Parteizentrale, auf dem das Hakenkreuz prangt. Anderes regt zum Nachdenken an, wie ein Bierkrug, in den ein in der NS-Zeit entrechteter Sohn eines Kameruners seinen Vornamen gravieren ließ – als er in den 70er-Jahren in Pullach für den Bundesnachrichtendienst arbeitete. Die Brücke in die Gegenwart schlägt eine Broschüre mit den Namen der zumeist jungen Menschen, die 2016 beim rassistisch motivierten OEZ-Attentat getötet wurden.
Seit zehn Jahren gibt es das Dokumentationszentrum in München. Eine Million Menschen haben es in dieser Zeit besucht. Jetzt hat sich dieser für München so wichtige Ort noch einmal gleichsam selbst erfunden. Die Wiedereröffnung am 80. Jahrestag des Kriegsendes ist programmatisch. Man wolle das NS-Dokumentationszentrum noch mehr zu einem Ort des Gedankenaustauschs und des Gesprächs machen, sagt Direktorin Mirjam Zadoff.
Manches, was neu zu sehen ist, muss der Betrachter erst einmal wirken lassen. Die Fotos aus dem Judenlager Milbertshofen etwa, aufgenommen vom dort eingesperrten und kurz darauf in Kaunas getöteten Rupprecht Neustätter – und als Kontrast dazu diejenigen eines Nazi-Bürokraten mit ihren menschenverachtenden Kommentaren. Oder das Pillendöschen, das im Fort 9 von Kaunas ausgegraben wurde, dem Ort, an dem am 25. November 1941 nahezu tausend jüdische Kinder, Frauen und Männer aus München von der SS ermordet wurden.

Neonazis, Rassisten, Judenhasser mordeten auch nach 1945 in München. In einem dunklen Raum werden in einer Videoschleife Straßenszenen aus dem München von heute gezeigt, kommentarlos. Es sind acht Tatorte antisemitischer und rechtsextremistischer Anschläge. In keiner deutschen Stadt forderte rechter Terror nach 1945 so viele Todesopfer wie in München: mindestens 24, vielleicht noch mehr.
Doch vieles wurde verdrängt und blieb lange im kollektiven Bewusstsein der Stadtgesellschaft unterbelichtet, „underexposed“, wie im Titel der Installation angedeutet wird. Eine Uhr im Raum macht das nur scheinbar Vergangene gegenwärtig. Ihre Ziffern springen auf die jeweiligen Tatzeitpunkte – und wecken beim Betrachter der Videoinstallation von Daniel Asadi Faezi und Mila Zhluktenko nahezu automatisch die Assoziation: Es könnte fünf vor zwölf sein ...
Da muss sich vieles setzen. Deshalb gibt es im und vor dem überarbeiteten NS-Dokumentationszentrum jetzt mehr Plätze, an denen die Gäste sich hinsetzen können. Im Foyer, in dem Besucher früher bisweilen zunächst nach Orientierung suchten, wurden eine Sitzecke und sogar ein Café eingerichtet. Zahlreiche neue Vermittlungsangebote und Veranstaltungen ergänzen das Konzept – nicht nur am Jubiläumswochenende.
Der Umbau sei seit Jahren geplant gewesen, sagt Zadoff. Lange vor dem 5. September 2024. Dem Tag, an dem ein junger Mann mit einem Gewehr kurz vor 9 Uhr zunächst auf die Front des NS-Dokumentationszentrums schoss und anschließend auf das benachbarte Israelische Generalkonsulat, in das er vergeblich einzudringen versuchte. Es war der Jahrestag des Münchner Olympia-Massakers von 1972.
Auch dieser Anschlag spielte zwangsläufig eine Rolle beim Umbau. In Absprache mit Polizei und Kreisverwaltungsreferat seien die Sicherheitsvorkehrungen erhöht worden, erläutert die Direktorin. Es gibt Zufahrtssperren vor dem Haus, Videoüberwachung und einen veränderten, besser zu kontrollierenden Eingangsbereich. Ein offenes Haus soll es gleichwohl bleiben.

Ob der 18-Jährige, getrieben vom Hass auf Juden, angestachelt von islamistischer Propaganda, den Ort der Erinnerung zunächst mit seinem eigentlichen Anschlagsziel verwechselt hatte, wie die Ermittler glauben, oder ob er auch das NS-Dokumentationszentrum gezielt angriff, bleibt eine offene Frage. Die Schüsse des Attentäters trafen keine Menschen. Sie schlugen in die Fassade des Gebäudes ein.
Die Schäden an dem weißen Kubus sind längst behoben. Doch das Dokumentationszentrum ist selbst zum Erinnerungsort geworden. Wo im September Einschusslöcher und zersplittertes Glas zu sehen waren, kann der Besucher jetzt einen Schriftzug lesen, programmatisch für die Arbeit im NS-Dokumentationszentrum. „History is not the past“, steht dort. Geschichte ist keine Vergangenheit.