Football in München:Die gigantische Logistik hinter dem NFL-Spiel in München

Football in München: Auch das gibt es im US-Football: Blitz, das Maskottchen der Seahawks, zündet in der Pause die Bratwurst-Kanone.

Auch das gibt es im US-Football: Blitz, das Maskottchen der Seahawks, zündet in der Pause die Bratwurst-Kanone.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Erstmals laufen zwei Teams der US-Football-Liga NFL bei einem offiziellen Saisonspiel in Deutschland auf. Allein die Seattle Seahawks reisen zur Partie gegen die Tampa Bay Buccaneers in der Fröttmaninger Arena mit mehr als 140 Menschen und zwölf Tonnen Equipment an - vom Snack bis zum Spezial-Sitzfahrrad.

Von Jürgen Schmieder

Natürlich ist das eine hundsgemeine Idee, ausgerechnet die Seattle Seahawks nach München zu schicken. Die Football-Franchise ist im Nordwesten der Vereinigten Staaten beheimatet; das Team legt deshalb, das zeigen die Reisedaten der vergangenen Spielzeiten, regelmäßig die meisten Kilometer in der US-Football-Liga NFL zurück - sie reisen insgesamt in jeder Saison mindestens einmal um den Planeten, um zu den je nach Spielplan acht oder neun Auswärtspartien zu gelangen.

Immerhin: Diese Partie in München gegen die Tampa Bay Buccaneers gilt offiziell als Auswärtsspiel, also könnte man sagen: Ist jetzt auch schon egal, ob man von Seattle rüber an die Golfküste Floridas fliegt - oder gleich weiter über den Großen Teich nach München. Es ist so oder so strapaziös.

Witzige Tatsache: Die Entfernung zwischen Seattle und Tampa Bay beträgt 4000 Kilometer. Die Flugentfernung von Seattle nach München liegt bei 8502 Kilometern; also mehr als das Doppelte. Jedoch: Die Flugstrecke von Florida in die bayerische Landeshauptstadt beträgt 8040 Kilometer. Die Seahawks werden von der Pazifikküste aus nur eine halbe Stunde länger im Flugzeug sitzen als die Buccaneers.

Es ist natürlich ein wahnwitziger Aufwand, den die NFL betreibt, um ihre Teams zu Partien zu kriegen, weil sie anders als die anderen Ligen im US-Sport den Spielplan nicht bündelt. Im Baseball zum Beispiel spielen Teams stets mindestens drei Mal in Folge gegeneinander, im Basketball und Eishockey reisen die Teams zu mehreren Auswärtspartien nacheinander.

Orlando Magic etwa, der Verein der deutschen Brüder Moritz und Franz Wagner, ist seit 3. November unterwegs: San Francisco, Sacramento, Houston, Dallas, Phoenix, Charlotte und Minneapolis - erst am 19. November spielen sie wieder daheim. In der NFL gibt es das nicht, das bedeutet: Die Seahawks spielen in der Woche vor der Partie in München bei den Arizona Cardinals, danach geht es schnell zurück nach Seattle und von dort aus nach München.

Insgesamt werden die Seahawks in dieser Spielzeit 29 446 Meilen per Flugzeug zurücklegen und auf acht Flugreisen insgesamt 34 Zeitzonen durchqueren. 29 446 Meilen sind 47 389 Kilometer. Erdumfang: 40 075 Kilometer.

Football in München: Die Spezial-Handschuhe gehören natürlich auch zum Equipment, das die Seahawks aus Seattle mitbringen.

Die Spezial-Handschuhe gehören natürlich auch zum Equipment, das die Seahawks aus Seattle mitbringen.

(Foto: Charles LeClaire/IMAGO/USA TODAY Network)

Nein, es soll nun nicht um den Klima-Fußabdruck der NFL gehen. Tennisprofis legen pro Jahr etwa 120 000 Kilometer zurück, der FC Bayern muss irgendwie zum Champions-League-Spiel nach Barcelona kommen. In der NFL gibt es heuer etwa die Pittsburgh Steelers, die ihre Zeitzone nicht verlassen und zum Spiel bei den Cleveland Browns mit dem Bus (zwei Stunden entfernt) fahren werden. Gesamt-Entfernung für neun Auswärtsspiele: 10 367 Kilometer. Drunter geht es nicht in der NFL.

Was den NFL-Verantwortlichen mehr Kopfzerbrechen bereitet als Flugreisen und Zeitverschiebung: die Logistik. Deshalb plädieren zahlreiche Experten dafür, das mit den Gastspielen in Europa - jedes der 32 NFL-Teams wird bis 2030 mindestens eine Partie in Europa absolviert haben - lieber zu lassen, auch wenn es aus Marketing-Aspekten sicherlich sinnvoll ist: Alle Teams stellen sich in Europa vor und die NFL hat auch die Vermarktungs-Claims bereits vergeben.

Wäre es nicht einfacher, gleich eine NFL-Division mit vier Teams in Europa zu gründen?

In Deutschland sind aktiv: Carolina Panthers, Kansas City Chiefs, New England Patriots, Tampa Bay Buccaneers. Nein, die Seattle Seahawks nicht, die sind für Kanada vorgesehen und genau das führt zur Frage: Macht es für die Seahawks einen Unterschied, ob sie gegen die Buccaneers spielen - oder, kleiner Nostalgie-Flash, Frankfurt Galaxy?

Also: Wäre es nicht sinnvoller, Mannschaften in Europa zu beheimaten und eine Division mit vier Teams diesseits des Atlantiks zu kreieren? "Genau das probieren wir doch aus gerade", sagt NFL-Chef Roger Goodell. "Es gibt mehrere Orte, an denen wir Teams etablieren könnten." Also: zwei in London und zwei auf dem Festland, und es ist bekannt, dass Deutschland dabei zu den Favoriten gehört: "Wäre auf jeden Fall einfacher, gleich eine Division zu erschaffen als ein einzelnes Team."

Der Aufwand nämlich, zwei komplette NFL-Franchises für eine Partie nach Europa zu verfrachten, ist ein logistischer Wahnsinn. Dem aktiven Kader jedes NFL-Teams gehören maximal 53 Akteure an, 47 davon dürfen aufs Spielfeld. 53 Seahawks-Spieler werden also nach München reisen, dazu Trainer, medizinisches Personal, Analysten, Management; insgesamt werden mehr als 140 Leute im Flugzeug sitzen, das die Seahawks gemietet haben. Nur die New England Patriots besitzen eigene Jets (zwei Boeing 767), die anderen mieten jeweils Flugzeuge.

Fast alles ist für jede Eventualität doppelt gepackt

Im Bauch dieses Flugzeugs: 3200 Kilogramm Equipment, das stets beim Team ist, also Trikots, Schutzbekleidung, Helme. Dazu kommen etwa neun Tonnen Equipment, das vorher per Flugzeug oder Schiff nach München gebracht wird. Zach Hensley ist bei den Seahawks verantwortlich, dass der Laden läuft, und neben erwartbaren Sachen wie Ausrüstung stehen auch ein paar skurrile Sachen auf der Liste, die nach Deutschland gebracht werden.

Weil in der NFL nun mal gilt: Spieler konzentrieren sich aufs Spielen, alles andere übernimmt der Verein. Wenn es also im Hotel in München nicht das Spezial-Sitzfahrrad gibt, das dieser Verteidiger braucht, bringen es die Seahawks mit. Oder Snacks, die in Deutschland nicht erhältlich sind. Oder eine eigene Seife, weil ein Spieler von Allergien geplagt ist.

Football in München: Die Helme reisen gut verpackt durch die USA und um den Globus.

Die Helme reisen gut verpackt durch die USA und um den Globus.

(Foto: Bill Streicher/IMAGO/USA TODAY Network)

Die vier Equipment-Manager der Seahawks können einen Lastwagen innerhalb von 90 Minuten beladen - und am Stadion innerhalb von 40 ausleeren. Fast alles ist doppelt gepackt und für jede Eventualität; es darf nicht passieren, dass es zum Beispiel am Sonntag überraschend schneit - und die Wärme-Handschuhe von Spielmacher Geno Smith hat jemand in Seattle vergessen.

Es kostet viel Geld, so zu reisen; insgesamt werden die Seahawks heuer knapp fünf Millionen Dollar ausgeben, um zu Auswärtsspielen zu gelangen; bei einer Playoff-Teilnahme mit bis zu vier weiteren Auswärtspartien könnten nochmals zwei Millionen obendrauf kommen.

Seahawks-Trainer Pete Carroll übrigens pflegt seit 2015 eine Tradition, den Spielern die Reisen zu Auswärtsspielen schmackhafter zu machen: Sollte das Team gewinnen, dürfen die dienstältesten Akteure die 18 First-Class-Sitze im Airbus A330 beanspruchen; die Trainer wechseln in die Holzklasse. "Ich bin mir nicht sicher, was mir mehr gefällt: wie sehr sich die Spieler über diesen kleinen Luxus freuen - oder wie sehr das Trainerteam sich ärgert", sagt Carroll. "Mir ist das völlig egal. Es bedeutet, dass wir gewonnen haben; da sitze ich, wo immer ein Platz frei ist."

Football in München: Die Buccaneers um Quarterback Tom Brady (li.) treten die München-Reise mit einem Sieg über die Los Angeles Rams im Rücken an.

Die Buccaneers um Quarterback Tom Brady (li.) treten die München-Reise mit einem Sieg über die Los Angeles Rams im Rücken an.

(Foto: STEVE NESIUS/IMAGO/UPI Photo)

Ebenfalls auf einem der besten Sitzplätze im Flugzeug, allerdings beim Gegner: Buccaneers-Quarterback Tom Brady, der beste Footballspieler der Geschichte. Er ist von seiner Zeit bei den Patriots freilich das eigene Flugzeug gewohnt, kürzlich sagte er: "Ich betrachte eine Football-Saison fast wie die Entsendung von Soldaten."

Dafür erntete er Hohn und Spott, auf Twitter schrieb die Frau eines US-Soldaten: "Unsere Gedanken sind bei Tom Brady, der nun im Privatjet zum Spiel entsandt wird und in einer Luxushotel-Militärbasis untergebracht sein wird, damit er dann ein Lederei werfen kann." Brady hat sich mittlerweile für seine, wie er sagte, "armselige Wortwahl" entschuldigt - deshalb: gute Reise, Tom!

Ganz hundsgemein sind sie freilich nicht bei der NFL. Die beiden Teams nämlich haben am Wochenende nach ihrer Rückkehr in die USA spielfrei, erst eine Woche später sind sie wieder dran. Zu den Seahawks fliegen die Raiders aus Las Vegas ein; die Bucs müssen dagegen schon wieder reisen: zu den Browns nach Cleveland. 1800 Kilometer - für NFL-Verhältnisse ein Kurztrip.

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