Süddeutsche Zeitung

München:Neuzeitliche Nomaden

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Iris und Christian Vilsmaier träumen von einem Leben ohne allzu viel Ballast in einem autarken, fahrbaren Wohnmodul. Zuvor aber gilt es, die Hürden des strengen deutschen Baurechts zu überwinden und ein geeignetes städtisches Grundstück zu finden

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Iris und Christian Vilsmaier freuen sich auf ihr neues Zuhause. Nächsten Sommer wird es fertig. Wie sie dann wohnen werden, wissen die beiden Wahlmünchner schon ganz genau: in einem autarken, fahrbaren Wohnmodul, das sie binnen eines Tages auf- und abbauen können. Aber hinter dem Wo steht noch ein großes Fragezeichen. Denn die Vilsmaiers möchten mit diesem Modul in der Stadt von ungenutzter Fläche zu ungenutzter Fläche ziehen - Wohnen auf Rädern sozusagen. Solch alternative Modelle sind aber in den strengen deutschen Bauvorschriften nicht vorgesehen. Daher sucht das Ehepaar seit drei Jahren nach einem Areal für den Start und hat noch immer keine Genehmigung - trotz der Kooperationsbereitschaft der Stadtverwaltung. Der Bürgerversammlung Bogenhausen gefiel ihr "Pilotprojekt zur reversiblen Aktivierung von Grundstücken als Wohnraum" auf Anhieb so gut, dass eine Mehrheit für die Umsetzung votierte.

Die Vilsmaiers gehen ihr Projekt mit großem Idealismus an, das steht außer Frage. Würde man sonst in einen etwa 25 Quadratmeter großen Wohnwagen ziehen wollen, mag er noch so komfortabel ausgestattet sein, und sich intensiv mit Bio-Toiletten befassen, die Ausscheidungen in Kompost verwandeln? Minimalistisch wollen die beiden leben, ohne viel Ballast, mit Distanz zur Überflussgesellschaft. Umweltbewusst sind sie schon von Berufs wegen: Christian Vilsmaier, 34, ist Technik-Chef bei einem Start-up, das Angebote der Fahrradmobilität verknüpft, Iris Vilsmaier arbeitet im Vertrieb eines Start-ups, das die Flut an Einwegbechern eindämmen will.

Und mit ihrem E-Auto tanken sie ausschließlich Ökostrom. Iris Vilsmaier fand als erste, dass man zusätzlich auch ohne Wohnung auskommen kann. "Das hab' ich erst mal kategorisch abgelehnt", sagt ihr Mann. Doch ein Jahr später war auch er bereit, die Vier-Zimmer-Mietwohnung mit großem Garten in der Parkstadt Bogenhausen gegen etwas Kleineres, Einfacheres einzutauschen und nebenbei noch einen Beitrag zur Linderung der Münchner Wohnungsnot zu leisten: "Die Wohnung freimachen, heißt, was zurückzugeben." Als Vilsmaier dann auf ein Grundstück an der Cosimastraße stieß, das ihm ideal erschien, begann er zu recherchieren, welche Genehmigungen so ein Leben im Wohnmodul erfordert. Inzwischen weiß er: Es sind sehr, sehr viele.

Bei allem Idealismus sind die Vilsmaiers aber Menschen mit praktischer Ader und großer Hartnäckigkeit, die für ihre Ziele die Ärmel aufkrempeln. Eine Portion Humor haben die beiden auch, sonst könnten sie nicht heute noch über die stundenlange Arbeit lachen, die sie auf Anforderung der Stadtentwässerung allein in die Beschreibung des Wasserkreislaufs ihres Wohnmoduls gesteckt haben. Von Anfang an sei bei der Stadtverwaltung "starkes Interesse" zu spüren gewesen, berichten sie. Die Anforderungen des Baurechts aber haben zur Folge, dass sie mit der Grundstückssuche genau genommen immer noch keinen Schritt weiter sind als vor drei Jahren.

14 Flächen haben sie inzwischen mit dem Kommunalreferat und diversen anderen Behörden diskutiert, und immer passte irgendetwas nicht. Das Areal an der Cosimastraße damals war "eigentlich perfekt", sagt Vilsmaier. Der Nachbar habe ihnen sogar schon erlaubt, ihr Abwasser in seinen Revisionsschacht zu leiten. Doch dann brauchte die Stadt das Gelände für einen Kindergarten. Grundstück Nummer zwei in Johanneskirchen lag zum Teil im Außenbereich, wo praktisch nur landwirtschaftliche Bauten zulässig sind. Einmal scheiterten die beiden am Parkplatznachweis, einmal mussten sie lernen, dass man in öffentlichen Grünanlagen keine Übernachtungsmöglichkeiten schaffen darf. Dabei würde Iris Vilsmaier auch den Streifen Grün hinter einem Trafohäuschen nehmen. Oder den Flecken Rasen neben einer Wertstoffinsel. "Tote Ecken, die für nichts anderes gut zu nutzen sind", sagt die 31-Jährige. "Ein Grundstück, das Jahrzehnte brachliegt, weil es für irgendwas vorgehalten wird", ergänzt ihr Mann.

Bei Versuch Nummer 15 scheinen die Vilsmaiers jetzt eine Fläche gefunden zu haben, die auch die Lokalbaukommission und das Immobilienmanagement des Kommunalreferats zufriedenstellt. Wo sie liegt, möchten die beiden nicht sagen aus Angst, dass wieder etwas schiefgeht. Und die Genehmigung lässt auch noch auf sich warten. Denn die Stadtverwaltung muss eine Grundsatzentscheidung treffen: Ist autarkes, mobiles, temporäres Wohnen in München möglich oder nicht? Es gebe mehrere Fälle in der Stadt, zu denen man gerade die Fakten zusammensammle, sagt Pressesprecherin Birgit Unterhuber vom Kommunalreferat. "Wir müssen uns dazu eine Meinung bilden." Eine Entscheidung stellt sie zunächst für Mitte November in Aussicht, ihr Kollege Maximilian Winter vertröstet jetzt auf die kommende Woche. Es seien noch interne Abstimmungen nötig.

Unterdessen bleiben die Vilsmaiers optimistisch und bereiten sich auf ihr Pilotprojekt vor. Das Wohnmodul ist bestellt, ihre Wohnung wollen sie sicherheitshalber erst einmal für ein Jahr untervermieten, man weiß ja nie. Aber dass sie hart im Nehmen sind, das haben sie schon herausgefunden: Nach einem Wasserrohrbruch kamen sie drei Monate ohne Badezimmer aus. Und was reizt sie jetzt am einfachen Leben, wenn schon der Start so schwierig ist? Christian Vilsmaier muss einen Moment nachdenken. Dann sagt er: "Ich glaube, so sind wir halt. Wir wollen die Welt verbessern und zeigen, was möglich ist."

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Quelle:
SZ vom 24.11.2018
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