Community Kitchen:Genießen, was sonst übrig bleibt

Community Kitchen: Günes Seyfarth hat die Community Kitchen gegründet.

Günes Seyfarth hat die Community Kitchen gegründet.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Günstig und gut fürs Klima: In der Community Kitchen in Neuperlach kocht man mit Lebensmitteln, die sonst im Müll landen würden. So sollen im Jahr Hunderte Tonnen CO₂ eingespart werden.

Von Franz Kotteder

Den Deutschen ist es anscheinend wichtiger als Angehörigen anderer Nationen, dass Essen billig ist. Hierzulande wurden die großen Lebensmitteldiscounter erfunden, und hier werden auch ziemlich viele Lebensmittel weggeworfen - mutmaßlich, weil sie ja ohnehin so billig sind. Allein die Münchner Privathaushalte werfen jeden Tag 165 Tonnen Nahrungsmittel in den Müll. Dafür regt man sich aber gerne darüber auf, wenn Restaurants besonders teure Gerichte auf der Karte haben. Oder wenn der Bierpreis auf der Wiesn wieder steigt, so wie jedes Jahr.

So gesehen müssten vor einem Lokal wie diesem hier in Neuperlach eigentlich jeden Tag lange Schlangen vor dem Eingang stehen. Eins von meist zwei Hauptgerichten pro Tag - zum Beispiel Quiche oder Zucchini-Kartoffelpflanzerl, Pilzsuppe, Ratatouille oder diverse Aufläufe - kostet 5,50 Euro, Salate und Sandwiches 2,50 Euro, selbst für ein Stück Kuchen zahlt man nicht mehr als 2,80 Euro. Trotzdem ist man hier nicht beim Billigheimer, bei der Community Kitchen handelt es sich um eine richtige GmbH, ihr Restaurant hat exakt 199 Plätze, und täglich bringt man so an die 2000 Essen unters Volk.

Günes Seyfarth hat das Sozialunternehmen im Mai 2021 zusammen mit Judith Stiegelmayr gegründet. Damals war schon klar, dass die ehemalige Kantine der Allianz-Versicherung in der Fritz-Schäffer-Straße 9 frei werden würde und sie für eine Zwischennutzung infrage kam. Hier ließ sich verwirklichen, was Seyfarth schon lange vorhatte: ein Restaurant zu eröffnen, in dem praktisch nur mit Lebensmitteln gekocht wird, die man vorher gerettet hat. Mit Lebensmitteln, die sonst niemand mehr braucht, die also schlicht weggeworfen werden. Die Community Kitchen ist nun das erste Restaurant deutschlandweit, das mit solchen Zutaten arbeitet.

"Man stellt sich das Lebensmittelretten so romantisch vor", sagt Seyfarth, "aber man muss es letztlich genauso professionell machen wie eine normale Firma." Stimmt, "Romantik" ist wohl das falsche Wort für das, was die 42-jährige Unternehmerin da Tag für Tag stemmt. Aber auch mit dem Begriff "Idealismus" kommt man nicht weit. Zwar arbeiten bei ihr auch sehr viele Ehrenamtliche mit, aber im Prinzip findet sie es "eher asozial, Mitarbeitern nichts zu zahlen". Das ist doch erfrischend offen für eine Branche, in der ein gewisses Maß an Selbstausbeutung meist stillschweigend hingenommen wird.

Die geschenkten Lebensmittel holen Seyfarth und ihre Mitarbeiter mit dem Lastwagen ab

Die Community Kitchen als sogenanntes Sozialunternehmen beschäftigt inzwischen zehn Männer und Frauen, darunter auch eine Köchin, die aus der Sternegastronomie kommt. Es gibt Beschäftigte auf 450-Euro-Basis, es gibt aber auch gut 30 Ehrenamtliche, die mithelfen. "Ohne die ginge es gar nicht", sagt Seyfarth. So ist die Belegschaft gut gemischt. Ein Drittel, so die Chefin, spricht kein Deutsch, und so wird bei den Besprechungen im Team munter rundum übersetzt und mit Händen und Füßen erklärt, was zu tun ist.

Und da ist viel. Das Lebensmittelgesetz setzt hohe Hürden, was die Verwendung der Zutaten angeht: Was zu Hause jederzeit noch auf den Tisch kommen könnte, muss in der Gastronomie oft ausgemustert werden, weil zum Beispiel das Mindesthaltbarkeitsdatum schon abgelaufen ist. Andererseits gibt es aber immer noch genug Nahrungsmittel, die bei Erzeugern sowie Groß- und Einzelhändlern entsorgt werden, weil schon absehbar ist, dass sie nicht rechtzeitig zum Endverbraucher gelangen.

Diese Lücke nutzt Günes Seyfarth mit ihrer Community Kitchen aus. Sie und ihre Mitarbeiter bekommen diese Lebensmittel geschenkt, dafür holen sie diese aber auch mit dem Lieferwagen ab. Und das oft genug gleich palettenweise, drei- bis viermal die Woche. "Es ist jedes Mal wie Weihnachten", sagt Seyfarth und lacht. Das gilt zumindest für die Küche; die Helfer, die zum Ein- und Ausladen da sind, mögen das nicht immer so sehen. Denn sie müssen zeitweise ganz schön anpacken. Bis zu 40 Tonnen in der Woche laden sie ein und wieder aus, die Waren müssen dann gleich sortiert und in die Kühlung gebracht werden. Oft geschieht das am frühen Abend, weil die Spender erst tagsüber wissen können, dass die Lebensmittel nicht mehr benötigt werden.

Community Kitchen: Bis zu 40 Tonnen Lebensmittel werden jede Woche eingesammelt.

Bis zu 40 Tonnen Lebensmittel werden jede Woche eingesammelt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
Community Kitchen: Gerettetes, das schmeckt: Eines der meist zwei Hauptgerichte ist in der Regel für 5,50 Euro zu haben.

Gerettetes, das schmeckt: Eines der meist zwei Hauptgerichte ist in der Regel für 5,50 Euro zu haben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Immerhin, die Sachen müssen nicht mühsam und stückweise eingesammelt werden. "Wir bekommen die Lebensmittel in der Regel direkt vom Erzeuger, von Weiterverarbeitern oder vom Großhandel", erzählt Seyfarth. "Vom einzelnen Supermarkt kommen nicht die Mengen, mit denen wir arbeiten müssen." Denn die Küche der Community Kitchen braucht frische Ausgangsprodukte - Gemüse, Salat, Obst, Fleisch, Mehl und andere Grundnahrungsmittel -, um jeden Tag so viele Essen auf den Tisch zu bringen. Dazu kommen noch Essensportionen, die zum Beispiel an soziale Einrichtungen ausgeliefert werden.

Der erste Belastungstest in dieser Hinsicht kam schon kurz nach der Eröffnung im Februar. Nachdem die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine am Bahnhof eintrafen, wurde die Community Kitchen zum Erstverpfleger und kochte nahezu pausenlos Mahlzeiten für die Ankommenden. Köche aus vielen Münchner Restaurants und Kantinen sprangen mit ein und halfen. "Die waren teilweise echt erstaunt", erzählt Seyfarth, "welche Qualität unsere Zutaten haben und wie frisch die sind." Denn in der Gastronomie, besonders in Kantinen, werden oft schon vorgeschnittene Zutaten verwendet, von den Kartoffeln bis zum Gemüse. Das geht in der Community Kitchen nicht, hier wird alles frisch zubereitet, es gibt keine vorproduzierten Zutaten, und so kamen viele Köche hier seit ihrer Ausbildung erstmals wieder richtig viel zum Schälen.

Auch wenn die Lebensmittel nichts kosten und praktisch nichts zugekauft werden muss: Wirtschaftliches Kalkulieren ist trotzdem oberstes Gebot. "Wir fragen uns beim Lebensmittelretten schon immer: Was können wir damit anbieten?", sagt die Chefin. Frisch und saisonal - was nicht zuletzt auch "planbar" bedeutet - müssen die Gerichte sein. Und sie müssen sich verkaufen, klar. "Wir retten das, was der Durchschnittsdeutsche essen mag", sagt Günes Seyfarth lapidar.

Seyfarths Wunsch: "Ich hoffe, dass wir viele Nachahmer finden"

Und weil der Durchschnittsdeutsche, auch wenn er Ausländer sein sollte, zum Essen nicht immer aus dem Haus will, bietet die Community Kitchen künftig auch Gerichte aus dem Glas an, von der Bananen-Schoko-Creme bis zum Ajvar. Das Team möchte den örtlichen Einzelhandel dafür begeistern, man kann die Gläser aber auch im Restaurant kaufen, zu den normalen Öffnungszeiten (montags bis freitags von zehn bis 16 Uhr, sonntags von zehn bis 18 Uhr).

Die Idee, meint Günes Seyfarth, ist noch ausbaufähig. Sie hat ein Programm aufgelegt für Schulbrote, mit denen Kinder versorgt werden, die sonst nichts zum Frühstück bekommen. Und sie arbeitet mit Schulklassen, damit die lernen, wie wertvoll Lebensmittel sind und was es für den Klimaschutz bedeutet, wenn sie nicht einfach weggeworfen werden: "Wir haben mal ausgerechnet, dass ein Jahr Community Kitchen 720 Tonnen CO₂ einspart."

So viel Engagement bekommt auch Preise. Den Bayerischen Mittelstandspreis hat das Sozialunternehmen bereits bekommen, und in die Endauswahl des deutschen Gastro-Gründerpreises kam man auch. Der Gedanke liegt nahe, dass er nur deshalb nicht an die Community Kitchen ging, weil die Preisträger der vergangenen beiden Jahre ebenfalls aus München kamen.

Günes Seyfarth ist natürlich schon ein bisschen stolz auf das Erreichte. Aber der schönste Lohn wäre es, wenn sich möglichst viele ihr Geschäftsmodell zum Vorbild nähmen: "Ich hoffe, dass wir viele Nachahmer finden."

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