Fußball trotz Diabetes:Kick mit Ball und Pumpe

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Auch mit Diabetes können Kinder und Jugendliche Fußball spielen. In Neufahrn organisierte der FC Diabetes nun deutschlandweit erstmals für sie ein internationales Turnier. (Foto: Florian Peljak)

Teams aus vier Ländern spielen beim ersten Fußballturnier in Deutschland für Kinder und Jugendliche, die auf Insulinspritzen angewiesen sind. Der FC Diabetes organisiert das Treffen und liefert nebenbei Daten für eine Uni-Studie.

Von Bernd Kastner

Julia schießt – der Torwart pariert. Nach vier Minuten der erste Treffer. Gegenangriff, Schuss, gehalten, Schuss, gehalten, dritter Versuch – drin. Es geht hin und her in der Halle, zwei Jugendteams spielen gegeneinander Fußball. Dann ist das Team von Jonathan dran. „Pass! Pass! Pass!“, ruft einer von der Seitenlinie rein. Ein Tor, und noch eins, Jonathans Mannschaft liegt zurück, der Torwart schaut bekümmert, das polnische Team ist einfach besser, 0:4 steht es am Ende in Neufahrn, wo Mannschaften aus Deutschland, Polen, Schweden und Ungarn gegeneinander kicken.

Wüsste man es nicht, man käme nicht auf die Idee, dass es kein gewöhnliches Turnier ist. Das leise Piepen, das manchmal von einem der knapp 90 Spielerinnen und Spieler ausgeht, fiele nicht auf. Und das Buffet im Hallenfoyer, wo sich die Fußballer ständig bedienen, die Teller mit Paprika- und Gurkenstücken, würde man üblicher elterlicher Fürsorge zuschreiben.

Gespielt wird in gemischten Mannschaften mit Mädchen und Jungs. Außergewöhnlich ist nur, dass alle eine Insulinpumpe tragen oder regelmäßig Insulin mit einem Pen spritzen müssen. (Foto: Florian Peljak)

Allein, das Turnier ist außergewöhnlich. Das Piepen kommt von kleinen Geräten, die fast alle am Körper tragen. Hier kicken Kinder und Jugendliche mit Diabetes, das Dauer-Buffet soll die Zuckerwerte in Balance halten. In der Sporthalle unweit des Flughafens findet das bundesweit erste Turnier dieser Art statt, sagen die Veranstalter vom FCD, dem FC Diabetes. Sie müssen es wissen, sind sie doch ein Fußballklub für junge Kicker mit Diabetes.

Mathias Walter ist FCD-Vorsitzender seit der Gründung 2023, er wohnt mit seiner Familie in Sendling. Sein Sohn Jonathan ist 13, er hat Diabetes Typ 1, was bedeutet: Die Bauchspeicheldrüse produziert anfangs unregelmäßig, irgendwann gar kein Insulin mehr. Zwei Tage vor dem Turnier sitzt Familie Walter um ihren Esstisch herum und berichtet vom Leben mit Diabetes und Fußball. „Seit ich laufen kann, habe ich einen Ball vor den Füßen“, sagt Jonathan. Mit fünf habe er die Diabetes-Diagnose bekommen. Ein Schock sei es gewesen, sagt Isabell Walter, vielleicht auch deshalb, „weil ich zu viel wusste, was auf uns zukommt“. Die Mutter hat selbst Diabetes und arbeitet als Diabetesberaterin.

Jonathan erzählt, wie er sich langsam an die Insulingaben gewöhnte. Die ersten Male habe er geschrien, als die Eltern mit dem Pen ankamen und ihn piksten. Dann piksten sie ihn nachts im Schlaf, da merkte er es nicht. Bald lernte er, sich selbst zu spritzen, und heute trägt er eine Insulinpumpe, die dank eines Sensors am Oberarm weiß, wann Jonathan was braucht. Über einen Katheter fließt das Insulin in den Körper.

Gummibärchen sind Medizin für Kinder mit Diabetes

An ein Schockerlebnis erinnert sich die ganze Familie: Jonathan saß beim Frühstück, aß Müsli, und plötzlich begann seine Hand zu zittern, er verkleckerte alles. Unterzucker! Die Mutter rief den Notarzt, in der Straße drehten sich einige Blaulichter, Jonathan kam ins Krankenhaus, sicherheitshalber.

Leah, die vier Jahre ältere Schwester, erzählt, dass Diabetes auch ein Teil von ihr geworden sei. Die Sorge um den Bruder, die ständige Verlustangst, weil ja was Schlimmes passieren könnte. Und das Erleben, dass lange Zeit dem Bruder die größte Aufmerksamkeit der Eltern galt: Sobald die Pumpe piepte und zu geringe oder zu hohe Zuckerwerte meldete, stand der Bruder im Mittelpunkt.

Inzwischen hat sich Jonathan zum Diabetesexperten entwickelt. Er müsse sich auskennen, sagt er, weil es sonst gefährlich werden könnte. So hat er gelernt, seine Krankheit mit dem Fußball zu vereinbaren. Er weiß die grafischen Kurven seiner Pumpe zu lesen und was zu tun ist, „wenn ich hoch bin“. Sport wirkt sich immer auf diese Kurve aus: Der Körper verbrennt Zucker, das drückt die Werte; zugleich schüttet er Adrenalin aus, was der Gegenspieler von Insulin ist und so die Zuckerwerte erhöht. Jonathan muss seine Kurve im Blick haben, auf Warnsignale des Körpers achten und zwischendurch eine Breze essen oder Traubenzucker. Oder Gummibärchen. Die Eltern lachen, denn Gummibärchen seien für Diabetes-Kinder eine Art von Medizin.

Mathias Walter vom FC Diabetes hat das Turnier organisiert. Die Erkrankung des Sohns betrifft die ganze Familie, auch dessen Schwester Leah (links), die mit Mutter Isabell Jonathans Team anfeuert. (Foto: Florian Peljak)

Seit Wochen organisiert Mathias Walter im Team mit anderen FCD-Aktiven das Turnier. Kinder und Jugendliche aus Deutschland und Österreich gehören zum FC Diabetes, sie reisen aus Traunstein, Karlsruhe, Berlin oder Wien an, wo sie, wie Jonathan in München, in normalen Vereinen kicken. Die meisten übernachten zusammen mit ihren Familien und den ausländischen Teams in einem Hotel. Sie wollen die Zeit nutzen, sich kennenzulernen. „Die Kinder lernen so viel voneinander, mehr als von den Eltern“, sagt der Vater und meint den Umgang mit der Krankheit.

Christian Steffl ist ein anderer Papa, er sitzt am Samstag kurz mal im Foyer der Sporthalle, er trägt ein gelb-blaues Trikot. Aus der Nähe von Göteborg ist er angereist, mit Frau und zwei Kindern, sein zehnjähriger Sohn hat Diabetes. Am Wochenende trainiert Steffl das Team, in dem sein Sohn spielt. Keines der sieben Kinder, die hier kicken, ist älter als elf. 

Steffl spricht perfekt Deutsch, sein Vater stammt aus Wien. Ein paar Mal, erzählt Steffl, sei er mit seinem Team nach Polen gereist, dort finden seit Jahren solche Diabetes-Turniere statt. „Wir wollen mehr spielen.“ Auf Wunsch der Kinder ging es also nach München.

Steffl berichtet auch, dass in der Kommunikation unter Eltern leicht mal ein schiefes Bild entstehe: Wenn man sich über Diabetes austausche, dann meist über Probleme, über schlimme Nächte zum Beispiel. Dann antworte natürlich niemand: Wir hatten eine gute Nacht. Dabei ist Steffl sicher, dass in vielen Familien das Leben mit der Insulinpumpe gut funktioniere.

Dieses Gerät gab es nicht, als Manfred Wadenstorfer, Jahrgang 1954, jung war. Als Kind habe er auch gerne gekickt, auf dem Bolzplatz, aber in den Verein hätten ihn seine Eltern nicht gelassen. Zu riskant, der Bub hat ja Zucker. Wadenstorfer sagt, er habe trotzdem viel Sport getrieben, Kajak, Tennis, Ski, an echte Probleme könne er sich nicht erinnern. Heute engagiert sich Wadenstorfer im Diabetikerbund Bayern im Vorstand, und weil er nahe Freising wohnt, schaut er beim Turnier vorbei. Er freut sich, denn da werde gezeigt, „dass Diabetes ein ganz normales Leben ermöglicht“. Mehr als 34 000 Minderjährige in Deutschland haben laut Robert-Koch-Institut Diabetes.

Neben ihm sitzt Christine Walig, sie betreut im Diabetikerbund eine Elterngruppe und erzählt, dass Mütter und Väter mit der Zeit immer gelassener und routinierter würden. Sie gäben sich gegenseitig Tipps: Wohin soll ein Mädchen im weißen Kommunionkleid seine Insulinpumpe tun? Wohin beim Abiball? Walig lacht und verrät die möglichen Lösungen: unters Strumpfband oder an den BH dranhängen.

Julia Lippiotta ist 16, trägt die leuchtend gelbe Kapitäninnenbinde am Oberarm und kommt von der Tribüne rasch mal nach draußen. „Warum ich?“ Sie habe eine Weile gehadert, als sie vor vier Jahren Diabetes bei ihr entdeckten. Kurz zuvor war sie zum 1. FC Nürnberg gewechselt, ihr Trainer habe schon bemerkt, dass irgendwas nicht stimme. Heute, sagt Julia, vergesse sie oft selbst das mit dem Diabetes, wenn es nicht gerade piept. Sie habe sich abgefunden mit der Krankheit, und im Fußball wurde sie immer besser, spielte sich hoch bis in die Junioren-Bundesliga.

Mathias Walter, der FCD-Vorsitzende, sitzt auf der Tribüne, während eines der sechs Teams seines Vereins spielt, und er erzählt, wie froh er sei, dass alles so gut laufe. „Am glücklichsten sind die Kids. Außer sie verlieren.“ Er grinst. Gewinnen werden das Turnier in den drei Altersklassen ungarische und polnische Teams. In Polen sei Fußball mit Diabetes seit Langem etabliert.

„Wow! Stark!“ Mit eineinhalb Augen verfolgt er das Spiel. Walter sammelt am Wochenende auch Daten der jungen Spieler. Daten, die in eine medizinische Studie der Universität Bayreuth fließen sollen. „Abgeben!“, ruft er und bittet um Nachsicht, dass er sich nicht zurückhalten könne. „Das Tor hätte der Lorenz schießen können.“ Ach ja, die Studie. Ein Lehrstuhl für Sportwissenschaft will herausfinden, welchen gesundheitlichen Einfluss das Kicken habe. Bei erwachsenen Sportlern lägen viele Daten vor, nicht aber bei Minderjährigen. Diese Lücke wolle die Uni Bayreuth schließen, erzählt Walter und brüllt im nächsten Moment wieder. „Und jetzt rein damit!“

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