Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Dreiklang in der Fußgängerzone

In Syrien wurde unser Autor beim öffentlichen Musizieren vom IS gestoppt. Heute genießt er die Straßenmusik - trotzdem ist er in München ab und an verwundert.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ein Bub und eine junge Frau, musizierend, mitten in München. Ich dachte sogleich an eine Hochzeit, denn die Musik war hochwertig, Leute versammelten sich, schauten zu und tanzten gar mit. Da ging ich näher hin und streckte meinen Kopf zwischen den Leuten hindurch, um die Braut und den Bräutigam zu sehen. Wie ich es kenne, sitzt das Ehepaar vorne, die Musiker spielen und der Vater des Bräutigams tanzt. "Wo sind die frisch Vermählten?", fragte ich einen Zuseher. Der antwortete nicht, stattdessen zeigte er mir einen Vogel.

Schräge Vögel bevölkern diesen Teil der Erde, und die schrägsten von ihnen stehen in den Straßen von München und machen Musik. Wenn ein Stück beendet ist, werfen manche Zuhörer Geld in die Kiste, die vor den Musikern auf dem Boden steht. In aller Regel wegen der Musik, manchmal trotzdem. In Syrien spielt niemand auf der Straße, weil die Leute schlecht über einen reden würden: Der ist verrückt, ein Angeber oder Lügner! Gesellschaftlich erwünscht ist in meiner früheren Heimat, dass die Menschen sich auf der Straße mit dem Ein- und Verkauf von Ware beschäftigen.

Hier sah ich, wie die Menschen bei jedem Ausflug klatschten und sich mit den Musikern unterhielten, da gab es keine Barriere zwischen den Künstlern und dem Publikum. Ihre Kleidung ist oft bunt und undefinierbar, was die Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden offenbar noch verstärkt. Manchmal sieht man ganze Gruppen, gemischt aus sehr alten und sehr jungen Straßenmusikanten. Dort bildet sich oft eine regelrechte Traube von Leuten, generationenübergreifende Auftritte kommen bei den Münchnern offenbar besonders gut an.

In der Stadt Rakka führte ich mit meinen Freunden einst eine Straßen-Kampagne durch, die das Bewusstsein von Kindern stärken sollte, sich nicht an Kriegshandlungen zu beteiligen. Wir standen in der Fußgängerzone, mein Freund spielte die Laute und sang dazu: "Der Krieg zerstört alles, auch euch, ihr Männer der Zukunft!" Es dauerte nicht lange, da bogen IS-Männer um die Ecke, nahmen ihm die Laute weg, rissen mir die Kamera aus der Hand und zertraten beides auf dem Boden. Weil mein Freund in einem öffentlichen Garten in Damaskus musizierte, ist er seit sieben Jahren im Gefängnis.

Immer wenn ich am Rosenheimer Platz in Richtung Gasteig gehe, sehe ich die Musikanten. Ich bin so erstaunt, wie auch viele ältere Menschen sich zu ihrer Musik bewegen wie ein junger Hupfer. Hier in Deutschland musizieren viele Syrer in Freiheit auf der Straße als Sinnbild für Demokratie. Das Phänomen Straßenmusik bereichert diese Stadt und bringt Kultur ins Münchner Herz. Sie ist teil des Dreiklangs dieser Stadt: Wenn im Verkehrslärm die Kirchenglocken läuten - und die Straßenmusik ertönt, weiß ich, dass ich daheim bin.

In Syrien saßen mein Freund und ich einst unter dem Balkon der Wohnung einer jungen begehrenswerten Frau. Er spielte Gitarre und ich sang mit leiser Stimme. Ein paar Minuten ging das so, dann goss ihre Mutter einen Eimer Wasser über uns, und wir flohen. Heute spazieren meine Partnerin und ich durch die Straßen von München und lauschen der Straßenmusik, die selbst im Regen eine romantische Atmosphäre schafft.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2019
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