„So, ihr macht jetzt also einen Buchladen hier?“, sagt eine Dame mit kurzem grauen Haar und schiebt ihren Rollator über die Schwelle. „Das ist aber schön.“ Sie wohnt gleich ums Eck und begutachtet schon mal das Sortiment. Eine Mutter mit zwei Kindern inspiziert inzwischen das Kinderbuchregal. Schon wenige Stunden nach der Eröffnung scheint die Buchhandlung „Prinz Eugen Buch“ bei den Anwohnern im Prinz-Eugen-Park in Bogenhausen angekommen zu sein. Für Susanna und Johannes Rieder ein vielversprechender Start.
Andere Buchhandlungen geben auf, Kleinverlage kämpfen ums Überleben. Doch die Rieder-Geschwister machen, ganz nach Pippi Langstrumpf, was ihnen gefällt: Seit 15 Jahren behaupten sie sich mit ihrem kleinen „Susanna Rieder Verlag“ auf dem hart umkämpften Kinderbuchmarkt. Zweimal haben sie schon den deutschen Verlagspreis gewonnen. Und eine aktuelle Studie des Börsenvereins des deutschen Buchhandels lässt sie hoffen: Demnach greifen Jugendliche wieder deutlich öfter zu einem Buch als noch vor ein paar Jahren.
Jetzt kommt also auch noch eine Buchhandlung dazu. Erste Erfahrungen sammelten die Rieders mit den Münchner Buchmachern, einem Verbund unabhängiger Verlage, als sie gemeinsam einen Pop-up-Store im Rathaus führten. „Da spürten wir, wie gut es tut, mit Kunden in direkten Kontakt zu kommen“, sagt Susanna Rieder. Das Lesen ist das eine, doch das Reden über Bücher und Autorinnen und Autoren ist noch schöner. Und das kommt in einem Buchladen ja oft ganz von selbst in Gang.
Den Anstoß gab dann Susanna Rieders Tochter Josefa Pohl. Mutters Leidenschaft für Literatur sprang früh auf sie über, schon als Kind fuhr sie mit auf internationale Buchmessen. Die 19-Jährige studiert Management sozialer Innovationen, da geht es viel um Nachhaltigkeit, Teilen und gemeinschaftliche Wohn- und Wirtschaftsformen. Josefa kümmert sich um den ganzen „Social Media-Kram“, wie ihre Mutter sagt, wird aber auch selbst einen Tag in der Woche im Laden stehen und dabei Theorie und Praxis verbinden können. „Ich bin gerne mit Menschen zusammen“, sagt sie, „gefühlt kam heute schon das ganze Haus vorbei.“
Nachhaltigkeit steht auch im Prinz-Eugen-Park hoch im Kurs. Er ist ein Modellprojekt der Stadt München auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne – der Namen wurde beibehalten, auch wenn der Prinz ein Kriegsherr der Habsburger war. Junge Familien und Senioren, Menschen mit Handicap, Gutverdiener, Münchner verschiedenster Ethnien treffen sich hier, oft im gleichen Haus. Denn geförderte und frei finanzierte Wohnungen sind räumlich nicht getrennt. Auch der Buchladen, etwas versteckt im Innenhof der Eugen-Jochum-Straße gelegen, ist von einer Genossenschaft gemietet, „das hilft uns“, sagt Susanna Rieder, „weil die Miete günstig ist“. Sie mussten sich bewerben und lernten dabei gleich die Wohngenossen und -genossinnen kennen. „Wir passen in dieses Viertel“, stellt Johannes Rieder fest.
„Kann ich bei euch auch ein Buch bestellen?“, fragt jetzt eine Kundin. „Natürlich“, antwortet Johannes Rieder, „heute bestellt, morgen da.“ Das funktioniere mindestens so gut wie bei Amazon, aber gleichzeitig könne man noch ein Schwätzchen halten. Wer will, bekomme das Paket aber auch nach Hause geschickt.
Und welche Bücher liegen nun auf den Tischen? Viele Kinderbücher, aus dem eigenen und aus anderen Verlagen. Dazu Bücher von anderen unabhängigen Verlagen. „Da gibt es Perlen, die viel zu wenig sichtbar sind“, sagt Susanna Rieder und zieht einen Band mit blau-orange-farbenem Titel aus dem Regal. „Der Schleuser“ von Stephanie Coste, die Geschichte einer Flucht übers Mittelmeer, erzählt aus der Perspektive eines jungen Schleusers. Solche Themen sind den Rieders wichtig. Darüberhinaus gibt es Romane, etwa von Benedict Wells oder Isabel Allende, Krimis, Graphic Novels, Ratgeber, Reise-, Koch- und Sachbücher wie „Die Verlockung des Autoritären“ der Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum, oder aktuell das Buch von Steffen Mau „Ungleich vereint – Warum der Osten anders bleibt“.
Susanna Rieder, gelernte Verlagskauffrau und studierte Literaturwissenschaftlerin, startete ihren Verlag damals mit der Reihe „Mister Men Little Miss“, liebevollen Mini-Bilderbüchern über menschliche Gefühle und Charaktere, die sie aus dem Englischen übersetzen ließ. Sie sind bis heute ein Verkaufsschlager, sagt die Verlegerin. Bald kamen andere Kinderbücher dazu. Die Geschwister wagen sich oft an schwierige Themen. „Tante Lotti geht in den Himmel“ handelt von Krebs, Abschied und Tod. Oder „Sehr kleine Liebe“, ein Buch über Missbrauch. Mit vielen Illustratoren oder Illustratorinnen arbeiten sie seit Jahren zusammen, auch mit der Münchnerin Ruth Feile, die ihre Bilder näht und dann fürs Buch abfotografiert. Die gemeinsame „Butz und Rosi“-Reihe gibt es zweisprachig, ukrainisch-deutsch.
Während der Pandemie schrieben die Geschwister gemeinsam ihr erstes eigenes Buch. „Hunde im Futur“, ein Aufklappbuch über die deutsche Grammatik, damit Schüler leichter lernen. Sie hielt das für nötig. Er meinte: „Du spinnst.“ Aber dann machte sich Johannes Rieder, der ursprünglich Theaterregisseur ist, Gedanken über Bilder. „Meine Schwester gab mir früher immer Latein-Nachhilfe, und wenn sie mir etwas erklärte, hab’ ich es gecheckt“, erzählt er und lacht. In der rumänischen Illustratorin Arinda Crăciun fanden sie eine Partnerin, die sofort verstand, worum es ging. Das Buch hat sich schon 10 000 Mal verkauft.
Im vergangenen Jahr entstand das zweite Buch: „Kirschen fürs Kamel“, ein Bilderbuch über das friedliche Zusammenleben. Dazu wollen sie auch im Viertel beitragen, sie planen Lesungen, Diskussionen und Workshops. Menschen verbinden, Ideen austauschen, das ist in diesen Zeiten wichtiger denn je, sagen sie.