Süddeutsche Zeitung

München:Neue Spielregeln für Neubauten

Mit einer grundlegenden Reform der Sozialvorgaben will Grün-Rot deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Die CSU kontert: Der Plan wird nach hinten losgehen - weil er die Lust am Bauen abwürgt.

Von Sebastian Krass

Deutlich mehr bezahlbarer Wohnraum, der länger bestehen bleibt, und deutlich weniger Eigentumswohnungen: Mit einer Reform der "Sozialgerechten Bodennutzung" (Sobon) verschärft die grün-rote Rathauskoalition die Vorgaben für den Bau neuer Wohnungen auf privaten Grundstücken. "Es ist eines der ganz wichtigen Projekte unserer Koalition, bei dem wir jetzt einen Durchbruch erreicht haben", sagte Anna Hanusch, die Fraktionsvorsitzende von Grünen/Rosa Liste am Mittwochmittag in einer Pressekonferenz. Christian Müller, Chef der SPD/Volt-Fraktion, ergänzte: "Wir senden da ein Signal: Ja, wir schaffen es, für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen." Die Reform soll nach der geplanten Verabschiedung in der Vollversammlung des Stadtrats am 28. Juli in Kraft treten - und zwar für alle Baugebiete, für die fortan der Stadtrat mit einem Aufstellungsbeschluss die Planung startet.

Die größte Oppositionsfraktion kritisierte die Pläne. "Es wird die Frage sein, wie viele Aufstellungsbeschlüsse für Wohnraum es dann noch gibt", sagte CSU-Stadtrat Alexander Reissl auf einer eigenen Pressekonferenz. Denn dafür brauche es Investoren, die sich auf die neue Sobon einlassen, "wir fürchten, dass der privat finanzierte Wohnungsbau in München deutlich zurückgehen wird".

Mit dem 1994 eingeführten Modell der Sobon hat die Stadt Regeln festgelegt, nach denen Investoren einen Teil des Gewinns, den sie durch vom Stadtrat neu geschaffenes Baurecht für Wohnungen machen, abtreten müssen. Zuletzt wurde die Sobon 2017 reformiert. Demnach müssen auf 40 Prozent der Flächen Mietwohnungen entstehen, bei denen die Preise nach verschiedenen Modellen reguliert sind, diese Bindung gilt 25 Jahre. Die übrigen 60 Prozent können die Investoren frei vermarkten, meist werden sie einzeln als Eigentumswohnungen verkauft. Zudem müssen die Investoren sich an den Infrastrukturkosten, etwa dem Bau von Grundschulen, beteiligen.

Künftig gilt ein so genanntes "Baustein"-Modell, bei dem Investoren in verschiedenen Kategorien Punkte sammeln. Sie müssen auf 100 Punkte kommen, damit die Stadt in die Planung einsteigt. Gemeinsam mit dem Planungsreferat hat die Stadt ein Grundmodell aus vier Kriterien festgelegt: 60 Prozent preisregulierte Mietwohnungen, 40 Jahre Bindung. Der Infrastrukturbeitrag steigt von 100 auf 175 Euro pro Quadratmeter Geschossfläche, die gebaut wird. Neu ist die Vorgabe, dass 80 Prozent Mietwohnungen entstehen müssen (davon 20 Prozent frei finanziert); nur noch 20 Prozent können einzeln verkauft werden. Bei einzelnen Kriterien sind Abweichungen möglich, die an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen. So können Investoren etwa mehr Eigentumswohnungen bauen, wenn sie einen Teil des Grundstücks zu günstigen Preisen an die Stadt verkaufen.

Den zwei Pressekonferenzen von Grün-Rot und CSU vorausgegangen war ein kommunalpolitisches Wettrennen um den ersten öffentlichen Aufschlag. Anfang der Woche war durchgesickert, dass die Koalition nach monatelangen Verhandlungen mit der Immobilienwirtschaft die neue Sobon festgezurrt hat und dass sie am Mittwoch um 13.30 Uhr die übrigen Fraktionen über die Details informieren würde. Eine Pressekonferenz war für Donnerstagvormittag geplant. Am Dienstagabend aber lud die CSU für Mittwoch, 14.30 Uhr, zu einem Pressegespräch, um ein eigenes Sobon-Modell vorzustellen. Das bekam Grün-Rot mit und verschickte am Mittwoch eine Einladung zur Pressekonferenz um 12 Uhr. Zu dieser Zeit tagte noch der Planungsausschuss des Stadtrats, in dem auch alle für die Sobon zuständigen Stadträte inklusive OB Dieter Reiter (SPD) sitzen.

Das führte zu der kuriosen Situation, dass Hanusch und Müller die Ausschusssitzung verließen, vom Alten ins Neue Rathaus eilten und dort die Sobon öffentlich vorstellten - noch bevor die Opposition informiert wurde. "Wir hatten den Termin der Pressekonferenz eigentlich abgewogen", sagte Hanusch, "aber dann gab es auch andere Ankündigungen. Und es ist gut und richtig, dass wir als Initiatoren die neue Sobon als erste vorstellen."

Die CSU kündigte an, sie werde ihr eigenes Modell in der Vollversammlung einbringen. "Wir schlagen eine Fortschreibung der Sobon von 2017 vor", sagt Reissl. Demnach würde auf den Flächen künftig 50 (statt bisher 40) Prozent preisregulierter Wohnraum entstehen, die Bindungsdauer würde wie bei Grün-Rot von 25 auf 40 Jahre steigen und der Infrastrukturbeitrag von 100 auf 150 Euro. Dieses Modell sei "im Einvernehmen mit den Münchner Wohnungsbauern" entwickelt worden.

Auch kleinere Oppositionsfraktionen kritisieren das Modell von Grün-Rot. "Die Verknappung des Angebots von frei finanziertem Wohnraum wird die Preise für Kauf und Miete noch weiter hoch treiben", sagt Gabriele Neff (FDP). Stefan Jagel (Linke) hingegen sieht in der Reform ein "Einknicken vor der Immobilienlobby. Für die Investoren bleiben die wenig verbliebenen Flächen weiter eine Goldgrube". Dirk Höpner (München-Liste) begrüßt, dass die neue Sobon "mehr bezahlbaren Wohnraum schafft und mehr Flexibilität bietet".

Würgt die neue Sobon den privaten Wohnungsbau ab? Es könne sein, dass "das einige Akteure sagen", erwidert SPD-Stadtrat Müller, "letztlich werden sich alle auf die neuen Gegebenheiten einstellen". Man habe von vielen großen Investoren das Signal bekommen, "dass sie damit arbeiten können", ergänzte Hanusch. Und wer das nicht wolle, müsse wissen, dass "niemand die Stadt zwingen kann, neues Baurecht zu schaffen". Dann, so die mitschwingende Drohung, bleibt man auf seinem teuer gekauften Grundstück sitzen. Hanusch und Müller betonten, die Neuregelung sei juristisch geprüft. Und wenn doch jemand vor Gericht zieht? "Dann wünsche ich ihm viel Vergnügen", sagt Müller. "Wenn er bis zum Bundesverwaltungsgericht geht, hat er ein Grundstück, das zehn Jahre wie Blei in seinem Portfolio liegt." Die CSU hingegen warnt: Wenn einer klagt, werden alle andere Investoren abwarten und erst einmal nicht bauen.

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SZ vom 08.07.2021/infu
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