Süddeutsche Zeitung

Neubau an der Isar:Ein vermeintlich glänzendes Gebäude

Direkt an der Isar in bester Lage ist ein Neubau entstanden, der hinten hui und vorne sogar hui-hui sein will. Es steht nicht nur eine neue Fassade, sondern auch die Frage im Raum, ob das gelungen ist. Eine Architekturkritik.

Von Gerhard Matzig

Neulich beschwerte sich auf charmante Weise eine SZ-Leserin über die Wirecard-Berichterstattung. Darin war von "vermeintlich glänzenden Fassaden" die Rede. Der Begriff der Fassade aber schließe das, was vermeintlich glänze, so die Leserin, mit ein. Fassaden seien daher immer Behauptungen, Kulissen - oder gar Potemkinsche Dörfer. Man solle sich das vermeintliche Glänzen sparen.

Zur Erinnerung: Der Feldmarschall Potemkin ließ der (ihrerseits nicht beglaubigten) Legende nach Dorf-Attrappen aufstellen, um Katharina die Große auf einer Reise nach Neurussland über den Wohlstand der neubesiedelten Gegend zu täuschen. Man könnte den Potemkinschen Trick auch so beschreiben: vorne hui, hinten pfui. Und somit wären wir in der Hinten-hui-Erhardtstraße 10, um die Fassade eines Neubaus zu besichtigen.

Zwar nicht in Neurussland gelegen, aber doch in einer Gegend der Isarvorstadt direkt an der Isar und mit Blick auf die Museumsinsel, die rein preislich zunehmend nach Oligarchen verlangt. Der Vorgängerbau bot sieben Wohnungen. Er wurde abgerissen. Abseits aller Gentrifizierungs- und Bauökologieproblematik, die es in München aber fast überall gibt, steht nun an der Isar nicht nur eine neue Fassade, sondern auch die Frage im Raum, ob die Schauseite vermeintlich glänzt, tatsächlich glänzt oder auch gar nicht glänzt.

In einem Punkt kann man der SZ-Leserin ansatzweise widersprechen: Die Fassade (etwa von frz.: façade, Gesicht) markiert als Architekturelement zunächst eine im Grunde neutrale Außenseite von Gebäuden. Da sich aber die (Haupt-)Fassade, und hier hat die Leserin recht, üblicherweise zur Straße oder zu einem Platz zeigt, sind Fassaden anders als reine Hausseiten in der Baugeschichte immer etwas schmuckvoller gestaltet. Die Häuser zeigen ihr Gesicht. Sie präsentieren sich. Das Ergebnis ist im Idealfall: Repräsentation.

Das tut auch der mittlerweile ausgerüstete Neubau, der sich eigentlich einem Dreamteam der Immobilien- und Architekturszene verdankt. Die nunmehr 28 Wohneinheiten auf einer 3000 Quadratmeter umfassenden Gesamtwohnfläche, die ein Ensemble von insgesamt vier Häusern und zwei Höfen ausbilden, wurden vom Immobilienentwickler Euroboden realisiert. Weil aber der Gründer von Euroboden, Stefan Höglmaier, ein der Baukultur verpflichteter Ästhet ist, kam hier der Entwurf eines bemerkenswerten Architekten zum Zuge: Thomas Kröger hat bei Adolf Krischanitz studiert und bei Norman Foster und Max Dudler gearbeitet. Das darf man sich bei aller Unterschiedlichkeit der Architekturhaltungen als erstklassige Ausbildung vorstellen. Kröger gehört zur Riege jener Architekten, deren Namen man sich merken darf.

Das Dreamteam-Ergebnis gibt dennoch ein Rätsel auf: Warum steht man als Kritiker davor und ist weder entsetzt noch begeistert, sondern gelinde enttäuscht vom Ergebnis? Zu schweigen vom Umstand, dass aus günstigen Wohnungen exklusive Wohnungen wurden. Warum also denkt man sich vor allem: tja. Vielleicht, weil das Gebilde hinten hui, vorne aber sogar huihui ist oder doch sein will. Es ist womöglich überambitioniert. Das Ensemble ist insgesamt bemerkenswert klug konzipiert. Was einen stört, ist eine Fassade, die in ihrer bewussten, filternd mehrdimensionalen und rhythmisierten Vielschichtigkeit einerseits glänzen und andererseits nichts Besonderes, aber auch dies in glanzvoller Weise sein will. Dieser Balanceakt misslingt.

Die Fassade zur Isar, sie ist das Hauptproblem, die zwar auf wohltuende Weise die Typologien der Nachbarschaften aufnimmt und ins Zeitgenössische transformiert, ist insgesamt unentschlossen und bietet ein Zuviel an Form- und Materialideen. Schon zwischen der eher horizontalen Akzentuierung (betont durch die klar gefassten Boden-und-Decken-Bänder) und einer eher vertikalen Gliederung (betont durch die vorgelagerten Säulenelemente) mag sich das Haus nicht entscheiden. Dach- und Erdgeschosszone sind klar abgesetzt, aber das gilt auch für einzelne Geschosse, die in Abhängigkeit von einem eher erratisch komponierten, zugleich sgraffitohaft die Baugeschichte bemühenden Putzornament zu einem je eigenen Ausdruck finden wollen. Diese unbedingte Individualität ist übrigens der Erhardtstraße fremd: Zwar gibt es auch hier eine Konkurrenz der Fassadenstilistik, aber die Fassaden sind insgesamt typisch in ihrer Entstehungszeit. Das neue Haus aber ist weder neu - noch alt, sondern ein Mittelding.

Die Gaubenausformung über der Hauptfassade ist ebenfalls betont eigensinnig - samt eigensinniger Materialität bis hin zum helmartig, ja trutzburghaft wirkenden Dachausbau über dem Erkerbereich. Von vorne sieht das halbelegant aus - aus der Fußgänger-Schrägansicht aber ist zu loben: Endlich mal wieder ein Dach, das auch ein Dach sein will. Die Fassade zur Isar ist letztlich eine Art Bauausstellung des Zitatreichtums und der zeitgenössischen Ornamentik. Mehr ist mehr: Das denkt sich das Haus vielleicht, doch will es gleichzeitig angepasst und gefällig erscheinen, aber auch selbstbewusst hervortreten aus seiner Nachbarschaft.

Das Haus ist also hinten gut und nach vorne vermeintlich glänzend. Über den Wohlstand dieser Immobilie an der Isar muss man so oder so niemand täuschen.

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SZ vom 01.03.2021/van
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