Stadtgesellschaft:Wie München auf Angriffe von rechts reagiert

Abschlusskundgebung der Demonstration Ausgehetzt gegen die Politik der Angst von verschiedenen Akt

Der Verein "München ist bunt" ruft immer wieder zu Demonstrationen gegen rechts auf, an diesem Freitag soll eine Menschenkette um den St.-Jakobs-Platz die Synagoge symbolisch schützen.

(Foto: imago/Ralph Peters)

Gegen rechte und antidemokratische Umtriebe hat die Stadt ein bundesweit einzigartiges kommunales Netzwerk geknüpft. Es hat viel zu tun.

Von Martin Bernstein

Sie sehen sich als Seismografen, die die Erschütterungen der Stadtgesellschaft registrieren - und sich gegenseitig dabei unterstützen, darauf zu reagieren. Wenn das Bild stimmt, müssten in diesen Wochen und Monaten die Messinstrumente permanent Alarm schlagen. Experten und zivilgesellschaftliche Organisationen beobachten mit Sorge, wie sich rechtsextreme, rassistische, antisemitische oder demokratiefeindliche Vorfälle in München häufen.

Auch in diesem gerade einmal drei Wochen alten Jahr: Schmierereien, Drohungen, gewaltsame Übergriffe. Was bedeutet dieses permanente Rumoren - sind es die Vorboten eines großen Bebens, das sich ankündigt? Und was bedeutet jeder einzelne Vorfall für diejenigen, deren Perspektive nach Einschätzung eines Sprechers der Opferhilfsorganisation "Before" oft viel zu wenig Raum eingeräumt wird: für die Betroffenen?

Das neue Jahrzehnt beginnt in München, wie das alte geendet hat. In Pasing stoppt die Polizei eine "nationale Streife", Neonazis der Gruppierung "Dritter Weg", die auf ihrer Internetseite das Jahr 2019 mit der Parole "Angriff statt Stillstand - bereit für alles Kommende!" bilanziert hat. Unter den acht Männern und Frauen, uniformiert mit Jacken, die die Aufschrift "National - revolutionär - sozialistisch" tragen, sind laut Polizei auch zwei, die an einem ebenfalls gestoppten Marsch zur Feldherrnhalle am Jahrestag des Hitlerputsches teilgenommen haben.

Nur einen Tag nach dem Pasinger Vorfall tauchen in der Nähe Nazi-Schmierereien auf, die nächsten dann eine Woche später an einem benachbarten CSU-Bürgerbüro: ein Hakenkreuz und das Wort "Volksverräter". Ob ein Zusammenhang besteht, prüft derzeit der Staatsschutz. Die nächsten Hakenkreuze dann am Wochenende, wieder im Münchner Westen. Diesmal werden SPD-Wahlplakate beschmiert. Und vor einer Woche dann ein fremdenfeindlicher Übergriff auf eine Münchnerin in der Au.

"Den Worten folgen Taten." Das wissen die, die sich seit Jahren um Opfer rechter Gewalt kümmern. Den schlimmsten Übergriff verübten Unbekannte Anfang Dezember. In ihrer eigenen Wohnung wird eine Frau attackiert und gewürgt. Die Täter schmieren einen Spruch an die Wand, eine in rechtsextremistischen Kreisen geläufige Chiffre für Selbstjustiz. Die Drohung ist unübersehbar: Die Frau hätte am Tag darauf in einem Neonazi-Prozess in Nordbayern als Zeugin aussagen sollen. Die Verhandlung muss verschoben werden, einen neuen Termin gibt es nach Auskunft des Gerichts noch nicht.

"Extrem rechten Kreisen das Leben schwer machen"

Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Münchner Generalstaatsanwaltschaft hält den Fall für so bedeutsam, dass sie sich eingeschaltet hat. Ein Behördensprecher bestätigt, dass Zusammenhänge zu dem Gerichtsverfahren und zum "Dritten Weg" geprüft würden.

Angriffe, Schmierereien, Hetze: Der Stadtplan der "München-Chronik", einer "Auflistung rechter und diskriminierender Vorfälle und Aktivitäten" im Internet, zeigt die Orte dieses nicht enden wollenden Rumorens. Zusammengetragen wurden die Fälle vom Kommunalen Netzwerk gegen Rechtsextremismus, Rassismus, religiöse Radikalisierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Denn nicht die Zunahme rechter Aktivitäten hebt München von vergleichbaren anderen Kommunen ab, sondern diese organisierte Zusammenarbeit von Stadtverwaltung, Experten und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Die Seismografen eben. Etwas Vergleichbares, sagt Miriam Heigl von der Fachstelle für Demokratie, gebe es nirgendwo sonst. Die Fachstelle ist direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt. Sie wirkt einerseits in die Verwaltung hinein und hat andererseits die Aufgabe, diejenigen, "die sich bereits gegen die demokratiefeindlichen Tendenzen engagieren, zu bündeln, weiter zu vernetzen und zu stärken".

Wo diese demokratiefeindlichen Tendenzen auftreten, beobachtet und analysiert die beim gemeinnützigen Kulturverein Feierwerk angesiedelte Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München (Firm). Die Firm recherchiert und bietet in Kooperation mit der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations und Archivstelle Aida auch Fachinformationen. Marcus Buschmüller von der Firm sagt: Man wolle den "extrem rechten Kreisen das Leben schwer machen".

Betroffene von Diskriminierung und rechter Gewalt können sich an die Beratungsstelle Before wenden. Und auch Angehörige, Freunde oder Zeugen. Den "kleinen Zeugenschutz" bieten seit 2019 Polizei und Staatsanwaltschaft an: Denn oft werden rassistische, antisemitische oder andere rechte Straftaten erst gar nicht angezeigt. Wer gefährdet ist oder bedroht wird, kann nun eine andere Adresse als die eigene angeben, etwa die einer Opferhilfeeinrichtung.

Before betont jedoch seine Unabhängigkeit von Behörden. Die Beratungsstelle sieht sich als parteiisch - für die Betroffenen. Sie stünden im Mittelpunkt: "Wir unterstützen sie, ihre Rechte wahrzunehmen, die Folgen eines Angriffs oder einer Ungleichbehandlung zu bewältigen und Handlungsspielräume zu gewinnen."

Beobachten, reagieren, helfen - das ist nur ein Teil der Aufgaben des kommunalen Netzwerks. Es geht auch um Vorbeugung, um Prävention. Die Haltung rechter Täter werde man kaum verändern können, heißt es, wenn man mit Repräsentanten des Netzwerks spricht. Man könne aber sehr wohl Grenzen markieren. Wie also kann man "Kräfte stärken, die was dagegen tun wollen"? Und wie eventuell verhindern, dass junge Menschen anfällig für demokratie- und menschenfeindliche Ideologien werden?

Die Stadtgesellschaft muss auf die Ausschläge der Seismografen reagieren

Da ist zum Beispiel das Stadtjugendamt, dessen Bereich politische Bildung aktiv wird, wenn schnell auf Einzelfälle reagiert werden muss. Einzelfälle, die zuletzt gar nicht so selten waren, judenfeindliche Bilder und vermeintliche "Witze" in Schüler-Chatgruppen etwa. Die Anlaufstelle im Stadtjugendamt bietet eine Ersteinschätzung und hilft Fachkräften und Lehrern weiter. Also dann, wenn Erschütterungen bereits spürbar waren.

Dass es dazu aber gar nicht kommt, daran zu arbeiten, ist die Aufgabe mehrer Stellen, die sich um pädagogische Vermittlung bemühen: das Netzwerk demokratische Bildung München (NDBM), die Fachstelle demokratische Jugendbildung beim Kreisjugendring (KJR) und das Bildungskollektiv "Die Pastinaken". Seit sieben Jahren gibt es die Gruppe junger Pädagogen für die politische Bildungsarbeit. Sie bieten Workshops und Seminare für Projekttage und Schullandheim-Aufenthalte an. Ein "idealtypisches Beispiel" für konkrete Präventionsarbeit ist nach Einschätzung der Verantwortlichen das alljährliche "Sommer.dok" auf dem Königsplatz. Die Geschichtswerkstatt wird laut KJR "ausschließlich von jungen Menschen für junge Menschen geplant, organisiert und durchgeführt".

Doch auch ein dicht geknüpftes Netzwerk kann nur sensibilisieren, Hilfestellung leisten, warnen - es ist die Stadtgesellschaft, die auf die Ausschläge der Seismografen reagieren muss. Den Bezirksausschüssen wurde deshalb 2013 die Möglichkeit gegeben, Beauftragte gegen Rechtsextremismus zu benennen, die nicht selten selbst Anfeindungen aus der rechten Szene ausgesetzt sind, auf rechten Seiten angeprangert und mit Briefen bedroht werden, auf denen sie lesen: "An den Galgen mit dir oder standrechtlich erschießen".

Am Freitag werden voraussichtlich mehrere Hundert Menschen einem Aufruf des Vereins "München ist bunt" folgen, der auch zum kommunalen Netzwerk gehört. Sie wollen mit einer Menschenkette um den St.-Jakobs-Platz die Synagoge symbolisch vor einer Provokation der rechtsextremistischen Pegida schützen. Sogar die Stadtwerke schließen sich an. Ihr Geschäftsführer sieht in der Pegida-Kundgebung "eine eindeutig antisemitische Hetze, welche die Religionsfreiheit missachtet und welche eine schlimme Provokation gegen Jüdinnen und Juden, aber auch gegen die gesamte Münchner Stadtgesellschaft dargestellt". Der Seismograf schlägt erneut aus.

Kommunales Netzwerk: Anlaufstellen, Adressen, Telefonnummern und Flyer unter www.muenchen.de/rathaus/Stadtpolitik/Fachstelle-fuer-Demokratie/kommunalesNetzwerk

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