SZ-Serie: München natürlich:Luftakrobaten, die Wurzeln schlagen

SZ-Serie: München natürlich: Mehlschwalben auf der Suche nach Materialien für ihr Nest.

Mehlschwalben auf der Suche nach Materialien für ihr Nest.

(Foto: R. Mueller/Blickwinkel/imago)

Jeden Herbst gehen Münchner Mehlschwalben auf die Langstrecke gen Süden, doch sie kehren zuverlässig im Frühjahr in die Stadt zurück, wo sie unter Isarbrücken und Hausdächern ihre Nester bauen.

Von Thomas Anlauf

Sie sammeln sich wieder. Auf Stromleitungen sitzen sie zu Hunderten nebeneinander, im Nymphenburger Schlosspark treffen sich ganze Trupps. Sie bereiten sich langsam darauf vor, in wenigen Wochen zur großen Reise aufzubrechen. Noch gibt es genügend Nahrung in den Parks und an der Isar, doch wenn die Tage deutlich kürzer werden, zieht es die Mehlschwalben nach Süden. Über die Alpen geht es dann, übers Mittelmeer und die Sahara, bis die Vögel ihr tropisches Winterquartier erreicht haben. Von Oktober bis April werden die Mehlschwalben aus München verschwunden sein. Doch wenn sie ihre gefährlichen und strapaziösen Langstreckenflüge überstanden haben, kehren sie wieder in ihre Heimat München zurück. Mehlschwalben sind echte Globetrotter.

Wenn sie unterwegs nach Süden sind, können die Mehlschwalben genügsam in Bäumen übernachten. In München aber machen sie es sich richtig gemütlich - wenn die Menschen sie lassen. Unter Isarbrücken, an Kirchtürmen und unter Hausdächern bauen sie "kunstvolle Lehmnester", wie Margarete Siering weiß. Und sie kehren ein Leben lang zu ihren Wurzeln zurück. Margarete Siering kennt die Flugkünstler mit ihren markanten gegabelten Schwänzen seit ihrer Kindheit. Bei ihrer Großmutter in Niederbayern lebten die Vögel sogar im Haus und waren dort eine Selbstverständlichkeit. Wenn eine Mehlschwalbe mal wieder von oben "ein Batzerl" hat fallen lassen, "hat ihn die Großmutter einfach mit der Küchenschürze weggewischt", erzählt die Ornithologin. Die Schwalbenart, die wegen ihren bevorzugten Brutorten auch Haus- oder Kirchschwalbe genannt wird, ist ein Kulturfolger. "Die Mehlschwalbe ist eine echte Städterin", so Siering.

SZ-Serie: München natürlich: Ornithologin Margarete Siering hat die Mehlschwalben gut im Blick.

Ornithologin Margarete Siering hat die Mehlschwalben gut im Blick.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Schon ihr Name deutet darauf hin: Delichon urbicum kommt vom lateinischen urbs, die Stadt. Im Gegensatz dazu zieht es die Rauchschwalbe (Delichon rustica) fast ausschließlich aufs Land, wo sie vor allem dort lebt, wo es viele Rindviecher gibt. In alten hohen Ställen mit dunklen Ecken zum Brüten fühlt sie sich wohl und kann auch noch bequem die Kuhfliegen im Stall aus der Luft fangen. Doch das Höfesterben auch in Bayern und die moderne Rinderhaltung mit oft hell ausgeleuchteten Ställen ohne Schlupfwinkel für die Schwalben sowie das enorme Insektensterben in den vergangenen drei Jahrzehnten macht Margarete Siering Sorge. "Wir müssen mittlerweile von einem Schwalbensterben reden", sagt die Münchner Zoologin, die bei der Höheren Naturschutzbehörde in Schwaben als Vogelexpertin arbeitet.

Auch die Zahl der Mehlschwalben geht zurück. In der Stadt brauchen sie eigentlich lehmige Pfützen oder feuchte Erde am Flussufer, um ihre Nester daraus zu formen. So etwas gibt es natürlich kaum in der dicht bebauten Innenstadt. Deshalb findet man Mehlschwalben vor allem im Englischen Garten und im Nymphenburger Park, wo sie in Kolonien leben. Von dort aus unternehmen sie bei regnerischem Wetter allerdings oft ausgedehnte Ausflüge, um Nahrung für den Nachwuchs zu fangen - etwa an den Olympiasee oder den Westpark oder an die Isar. Denn bei Regen sind Mücken und Fliegen vor allem an Gewässern zu finden. So ein Ausflug kann schon mal den ganzen Tag dauern, bis die Eltern dann mit vollem Schnabel zurück zum Nest fliegen und ihre hungrigen Jungen füttern.

Mehlschwalben gehen laut Margarete Siering Einjahres-Ehen ein, im darauffolgenden Jahr wird ein neuer Partner gesucht. Die Weibchen achten dabei nicht nur auf den Gesang der Männchen, die oft auch im Flug ihr leises Gezwitscher anstimmen ("Wittwittwitt"), sondern vor allem auf die Schwanzfedern der potenziellen Partner. Wer eine besonders lange Schwanzspitze besitzt, wird tendenziell bevorzugt. Dabei ist ein langer Schwalbenschwanz eigentlich ein Nachteil für die Flugakrobaten. Denn damit sind sie nicht so wendig und können leichter von Greifvögeln wie Baumfalken erwischt werden. Doch das ist eben das Handicap-Prinzip in der Evolution, ähnlich wie beim Pfau: Das Pfauen-Rad sieht beeindruckend aus, ist aber ansonsten nutzlos bis hinderlich.

Mehlschwalben

Name: Delichon urbicum

Vorkommen: Mehlschwalben sind Kulturfolger, sie leben häufig in Städten, gern in Parks, wo sie offene Flächen zum jagen haben. In München kommen sie etwa im Englischen Garten und im Nymphenburger Schlosspark vor, brüten aber auch an Kirchen und unter Hausdächern. Wer ein Schwalbennest am Haus hat, kann ein kleines Kotbrett darunter anbringen, dann bleibt die Fassade auch sauber.

Besonderheit: Sie sind außergewöhnliche Flugkünstler und sehr wendig. Die Sommerboten verbringen ein gutes halbes Jahr in der Stadt, dann ziehen sie übers Mittelmeer meist bis ins tropische Afrika südlich der Sahara. Leicht erkennbar sind die etwa 13 Zentimeter langen Singvögel an ihrem weißen Bürzel und an der weißen Körperunterseite - und natürlich am gegabelten Schwanz. ANL

Dass Mehlschwalben dennoch relativ selten von Greifvögeln geschlagen werden, liegt nicht nur an ihrer Wendigkeit und dem hohen Tempo (etwa 80 Stundenkilometer), mit dem Schwalben ihren Verfolgern zu entkommen versuchen, sondern auch an ihrer Aufmerksamkeit, wenn sie in der Gruppe fliegen: "Sie haben immer die nächsten sieben Tiere neben sich im Blick", sagt Margarete Siering. Sobald ein Nachbarvogel bei Gefahr abdreht, reagieren die anderen Vögel in der Nähe ebenso - ähnlich wie ein Fischschwarm.

In der Literatur finden sich zahlreiche Gedichte und Quellen, in denen Schwalben und auch speziell Mehlschwalben vorkommen. Schon William Shakespeare rühmt sie in Macbeth (1. Akt, 6. Szene): Als König Duncan vor Macbeths Schloss in Schottland steht und die milde Luft lobt, belegt sein Heerführer Banquo die Bemerkung mit der Anwesenheit der vielen Schwalben am Schloss: Wo sie am liebsten brüten und jagen, sei die Luft stets am besten. "Where they most breed and haunt, I have observed, the air is delicate." Es ist ein gutes Zeichen, dass in München noch viele Mehlschwalben leben.

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Male of the fence lizard Lacerta agilis Copyright: xKieferx Panthermedia27315865

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