Süddeutsche Zeitung

Verkehrswende:Stadtrat stoppt Kürzungen beim Nahverkehr

Um Geld zu sparen, wollte die MVG im kommenden Jahr das Angebot bei Bussen, Tram- und U-Bahnen zurückfahren. Doch die Politik lehnt Verschlechterungen strikt ab - und will Millionen zur Verfügung stellen.

Von Andreas Schubert

Die Ankündigung der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) im April dieses Jahres löste einigen Unmut aus. Damals stellte das Unternehmen das Leistungsprogramm für das Jahr 2023 vor - und statt eines deutlichen Ausbaus im Sinne der Verkehrswende fanden sich in dem Konzept massive Kürzungen beim Nahverkehr. Konkret bedeutete dies dünnere Takte und verkürzte Strecken.

Als Grund führte die MVG eine strukturelle Unterfinanzierung an. So sollten für die nächste Fahrplanperiode 24,6 Millionen Euro eingespart werden. An diesem Mittwoch aber will der Stadtrat nun gegen diese Kürzungen stimmen. Entsprechende Änderungsanträge haben die Fraktionen von SPD/Volt, Grünen und auch CSU/Freie Wähler gestellt. Sie sprechen sich dafür aus, zumindest den bisherigen Fahrplan auch im kommenden Jahr aufrechtzuerhalten. Die Finanzierung soll aus Haushaltsmitteln der Stadt erfolgen.

Schon kurz nach der Bekanntgabe der Kürzungspläne im Frühjahr hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bei der 50-Jahr-Feier der Münchner S-Bahn und der U-Bahn die geplanten Kürzungen kritisiert. Diese sollten durchaus drastisch ausfallen: Bei der U-Bahn etwa sollte in den Ferien die Verstärkerlinie U7 entfallen. Bei U4 und U6 stehen Taktverlängerungen und gestrichene Verstärkerfahrten auf der Streichliste. Taktverlängerungen waren bei der Tram auf der Linie 29 vorgesehen sowie ein genereller Wegfall des Zehn-Minuten-Takts nach 20 Uhr auf allen Tram- und Metrobuslinien. Der bereits eingestellte Expressbus X98 soll wegen zu geringer Nachfrage nicht mehr fahren. Auch die Linien X30 und X35 sollten entfallen, auf acht Linien sollte es zudem dünnere Takte geben.

Nikolaus Gradl, verkehrspolitischer Sprecher der SPD/Volt-Fraktion, stellt aber klar: Man werde im Stadtrat beschließen, dass es 2023 zu keinen Kürzungen im Angebot komme. "Im Gegenteil, in Freiham und der Messestadt Riem wird es sogar Verbesserungen im Schulverkehr geben." Paul Bickelbacher, Verkehrsexperte der Grünen, erklärt: "Wir wollen und müssen den öffentlichen Nahverkehr stärken und ausbauen. Leistungskürzungen widersprechen der Verkehrswende und kommen daher nicht in Frage - auch wenn das Geld kostet."

Die Einnahmen aus Ticketverkäufen reichen bei Weitem nicht

Die CSU wendet sich ebenfalls gegen die Sparpläne. "Wer es ernst meint mit der Verkehrswende, muss attraktive Angebote machen - Kürzungen wären das Gegenteil", sagt Veronika Mirlach, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion. Der Stadtrat müsse schnell und geschlossen handeln, um die Kürzungen zu vermeiden.

Doch das wird die Stadt auf Dauer eine Stange Geld kosten, sofern es künftig nicht deutlich mehr Mittel, etwa vom Bund, für den ÖPNV gibt. Laut MVG-Chef Ingo Wortmann reichen zur Finanzierung die Einnahmen aus Ticketverkäufen bei Weitem nicht aus. Auch die Erhöhung des Tarifs um 6,9 Prozent dieses Jahr - die höchste seit drei Jahrzehnten - decke den Bedarf nicht. 22 Prozent hätten es aus seiner Sicht sein müssen. Und noch immer ist der Fahrgastrückgang während der Corona-Pandemie spürbar, das werde sich auch nächstes Jahr fortsetzen. Doch für 2023 ist noch kein ÖPNV-Rettungsschirm beschlossen, stattdessen soll im Frühjahr das 49-Euro-Deutschlandticket kommen, das mit drei Milliarden Euro finanziert werden soll - eine Summe, die aus Sicht der Verkehrsbetriebe aber nicht ausreicht. Dazu kommen noch die enorm gestiegenen Energiepreise und Personalkosten.

Der Fahrgastverband Pro Bahn begrüßt es, dass sich die drei großen Rathausfraktionen gegen Kürzungen aussprechen und fordert die Stadtpolitik auf, die Finanzierung der MVG inklusive nötiger Angebotsverbesserungen dauerhaft sicherzustellen. In Anspielung auf die Erweiterung der U5 nach Pasing erklärt der Münchner Pro-Bahn-Sprecher Andreas Barth: "Wer locker eine Milliarde Euro für eine einzige U-Bahn-Strecke ausgibt - das sind pro Bürger etwa 670 Euro -, muss auch in der Lage sein, nicht mal 20 Euro pro Bürger in ein gutes Angebot zu investieren."

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