SZ-Serie: Nachtgeschichten:Wie das Licht nach München kam

Münchner Nachtleben: In den angeblich so prüden 1950er Jahren gab es in der Stadt Nachtlokale in denen zumindest die Herren ihre Freude hatten.

Münchner Nachtleben: In den angeblich so prüden 1950er Jahren gab es in der Stadt Nachtlokale in denen zumindest die Herren ihre Freude hatten.

(Foto: Alfred Strobel)

Nach Einbruch der Dunkelheit ist das mittelalterliche München ein finsteres Loch, in dem die Menschen Angst vor Bränden haben. Erst später erhellen Straßenlaternen die Stadt und die Grenze zwischen Tag und Nacht verschwindet.

Von Wolfgang Görl

In seiner Enzyklopädie schrieb der frühmittelalterliche Universalgelehrte und Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus: "Die Nacht repräsentiert Unrecht, Unglauben und alles Unglück." In Maurus' Worten schwingen das Unbehagen und die Angst mit, welche die Menschen seines Zeitalters, der Ära Karls des Großen und seiner Nachfolger, beim Einbruch der Nacht heimsuchten. Die Nacht, das war das Unheimliche, das Chaos, die unsichtbare Gefahr, das Grauen. Draußen und in den Hütten der überwiegend auf dem Lande lebenden Menschen herrschte Finsternis, vollkommene Finsternis, in deren Schutz jederzeit Räuber oder wilde Tiere ihr Unwesen treiben konnten; und wenn es keine realen Bedrohungen waren, die aus der Dunkelheit hervorkrochen, dann gab es immer noch die Teufel und Dämonen, die durch die Wachträume geisterten. Erst im Morgenlicht verschwanden die unheilvollen Kreaturen der Nacht.

Als im 12. Jahrhundert die europäischen Städte wuchsen und neue gegründet wurden - München wird 1158 erstmals urkundlich erwähnt -, kam eine andere Erfahrung der Nacht hinzu. Die Städter lebten, anders als die Bewohner von Dörfern und Einöden, in größerer Zahl dicht zusammen, umgeben von schützenden Mauern. Damit dieses Zusammenleben auch funktionierte, bedurfte es Regeln - nicht nur für das soziale Miteinander bei Tag, das unter anderem geprägt war durch eine immer differenziertere Arbeitsteilung, sondern auch für die Nacht. Im Katalog zur Ausstellung "Die Nacht", die vor 20 Jahren im Haus der Kunst zu sehen war, schreibt Gerhard Dohrn-van Rossum über die Nachterfahrung der mittelalterlichen Stadtbewohner: "Der Rhythmus von Tag und Nacht wurde gemeinsam erlebt und organisiert. Die Dauer des Arbeitstages bestimmte das Sonnenlicht; Nachtarbeit oder Arbeit bei Licht waren in aller Regel verboten. (...) Die Festlegung der Grenzen zwischen Tag und Nacht wurde nun aber immer weniger unausgesprochener Naturerfahrung oder dem Ruf der Haustiere überlassen. Die Glockenzeichen der Kirchen oder der städtischen Obrigkeiten legten Beginn und Ende der Nacht fest."

Zwar war das mittelalterliche München ein finsteres Loch und die meisten Menschen waren schon mangels Licht gezwungen, mit den Hühnern ins Bett zu gehen, ob sie aber gut und selig schlafen konnten, war keineswegs garantiert. Auch innerhalb der Stadtmauern konnte die Nacht unliebsame Überraschungen bieten. Ruhestörer waren da noch das kleinste Übel, schlimmer war der Schaden, den Diebe oder Einbrecher anrichteten. Die größte Gefahr aber war das Feuer, das schon eine Herdglut oder ein brennender Kienspan entfachen konnten - mit katastrophalen Folgen: Die weitgehend aus Holz errichteten mittelalterlichen Städte brannten wie Zunder, ein einzelner Brandherd war geeignet, ganze Viertel, schlimmstenfalls die gesamte Stadt in Schutt und Asche zu legen. So brach am 13. Februar 1327 "beim ersten Hahnenschrei" vermutlich im Angerkloster ein Feuer aus, bei dem etwa ein Drittel der Münchner Gebäude, darunter die Kirche St. Peter, das Heiliggeistspital sowie Teile der Burg zerstört oder schwer beschädigt wurden.

Wenn das Flammenmeer erst einmal richtig tobte, hatten die Menschen kaum wirksame Mittel, den Brand zu löschen. Nicht zuletzt deshalb bemühte sich der Münchner Rat, Vorsorge zu treffen, damit es erst gar nicht zum Inferno kommt. Bereits 1310 hatte man Wächter dauerhaft auf dem Turm von St. Peter postiert, die aber bei der Brandkatastrophe im Angerkloster auch nichts auszurichten vermochten. Im Juli 1371 erließ der Stadtrat eine Verordnung zur nächtlichen Sicherheit der Stadt, derzufolge in jeder Gasse drei Wächter zur Nacht patrouillieren sollten. Auch auf jedem Tor sollten zwei Nachtwächter Posten beziehen. Zudem wurde jedes Haus verpflichtet, stets einen Zuber mit Löschwasser bereitzuhalten.

SZ-Serie: Nachtgeschichten: Wegen einer nicht gelöschten Kerze stand die Residenz 1750 ebenso wie 1674 in Flammen.

Wegen einer nicht gelöschten Kerze stand die Residenz 1750 ebenso wie 1674 in Flammen.

(Foto: Münchner Stadtmuseum)

Das mittelalterliche München war bei Nacht eine Welt für sich, eine mehr oder weniger stille Kammer, abgeschottet von der Außenwelt. Wie die Historikerin Brigitte Huber vom Stadtarchiv in ihrem Buch "Mauern, Tore, Bastionen" schreibt, wurden die Stadttore, die tagsüber durchgehend geöffnet waren, zur Winterzeit abends um neun Uhr geschlossen, im Sommer um zehn Uhr. Ausnahme war der sogenannte Innere Einlass, an dem Nachzügler noch bis 23 Uhr in die Stadt gelangen konnten - selbstverständlich nicht ohne Kontrolle durch die Torhüter.

Auch tagsüber überprüften die Wächter diejenigen Personen, die in die Stadt wollten, und ebenso die Menschen, welche die Stadt verließen. Fremde wurden registriert und erhielten Nachtzettel, die sie berechtigten, in München zu übernachten. Die Obrigkeit wollte genau wissen, wer sich innerhalb der Stadtmauern zur Schlafenszeit aufhielt. Doch nicht immer erledigte die Torwache ihren Dienst mit der gebotenen Sorgfalt, wie einem Eintrag in der Stadtchronik zu entnehmen ist, der allerdings einen Vorfall aus späterer Zeit schildert: Im Oktober 1648 wird "der Torschreiber beim Isartor, der die ankommenden fremden Personen weder examinierte, noch verzeichnete, noch in die Nachtzettel aufnahm, wegen seines hochsträflichen Unfleißes in die Schergenstube geschafft".

Zeitgenössische Berichte, wie es nach Einbruch der Dunkelheit innerhalb der Münchner Stadtmauern zuging, liegen nicht vor. Ein Nachtleben, wie es in modernen Metropolen tobt, gab es gewiss nicht, schon weil es an Beleuchtung fehlte. Die Gassen waren finster, möglicherweise brannten zu den Gebetsstunden in den Klöstern kurzzeitig Kerzen, die im übrigen zu teuer waren, um damit ein Privathaus stundenlang zu illuminieren. Den meisten Bürgern blieb gar nichts anderes übrig, als sich bald zu Bett zu begeben. Doch es ist schwer vorstellbar, dass etwa die Fuhrleute, die in den Herbergen im Tal die Nacht verbrachten, ruhig und friedlich waren wie ein Nonnenkonvent.

Und ja, es gibt auch Hinweise, dass nicht alle Münchner frühzeitig den Weg in die Schlafkammer fanden. So verzeichnet die Stadtchronik am 11. Oktober 1489 eine öffentliche Bekanntmachung "von des geschrays wegen nachts auf der gassen" - ein deutlicher Beleg für nächtliche Ruhestörung. Während der Faschingszeit anno 1529 ist von einer personell verstärkten Nachtwache die Rede, "nachdem die unzucht und Rumorn sich teglich meren". Gut ein Jahr später verlangte der Herzog, das "Nachtgeschrei, Plärren und Juchitzen" abzustellen, und möglicherweise als Folge davon ergriff der Stadtrat Maßnahmen "wegen des Nachtrumorens infolge zu langen Sitzens und Zechens in den Wirtshäusern". Nachtschwärmer, die sich nicht sonderlich um die Ruhebedürfnisse ihrer Zeitgenossen kümmerten, gab es offenbar auch im mittelalterlichen München, in der Regel aber dürfte in der nächtlichen Stadt das geherrscht haben, was man heute tote Hose nennt.

Am herzoglichen Hof hingegen ging es auch zu später Stunde gewiss etwas reger zu, vor allem wenn hochrangige Gäste zu bewirten und zu unterhalten waren. Im Kerzenschein fanden Festbankette statt, vielleicht auch Theateraufführungen, Konzerte und andere Lustbarkeiten. Offene Flammen aber waren auch in den Gemächern der erlauchten Herrschaften ein Risiko. Am 9. April 1674 brannten große Teile der Neuveste (Residenz) ab, angeblich weil eine Kammerfrau neben einer brennenden Kerze eingeschlafen war.

In der Zeit um 1700, so schreibt Johannes Bähr in seinem Buch "Netzwerke. Die Geschichte der Stadtwerke München", rafften sich einige Münchner Bürger dazu auf, Beleuchtungen an ihren Hausfassaden zu installieren. Sie verwendeten an Stangen befestigte Körbe aus Gusseisen, sogenannte Pechpfannen, die mit Talg aus Schlachtabfällen ("Unschlitt") gefüllt waren, der billiger war als Öl, dafür aber unangenehm ranzig roch. Im Jahr 1705 wurden 40 derartige Pechpfannen gezählt. Rund 25 Jahre später begann sich der Hof unter Kurfürst Karl Albrecht mit der Straßenbeleuchtung der Hauptstadt zu beschäftigen. In einem Erlass vom 18. Juni 1731 verfügte der Kurfürst die Einrichtung eines "Illuminationsamts". Bis zum Jahresende installierte man 600 Unschlittlaternen, welche die Pechpfannen als Straßenbeleuchtung ablösten.

In seinem Erlass äußerte der Kurfürst die Erwartung, dass durch das Laternenlicht "nicht nur viel Sünd und Laster, dann andere Ungelegenheit verhindert, sondern auch die auf den Bettel und anderen Frevel vagierenden Personen, dann anderes liederliches Gesindel abgehalten werden können". Nicht jeden Münchner dürfte diese Art der sittlichen Ertüchtigung erfreut haben. Die Hausbesitzer mussten für das Aufstellen der Straßenlaternen zahlen, der Stadt wiederum kostete die Beleuchtung jährlich 77 Gulden, vier Schillinge und zweieinhalb Pfennige. Bald waren jeden Abend 35 Lampenanzünder unterwegs, auch drei Lampenfüller arbeiteten für das Beleuchtungsamt.

Licht im öffentlichen Raum

Die Münchner Nacht war nun nicht mehr schwarz wie ehedem, die Unschlittfunzeln brachten Licht in den öffentlichen Raum, das allerdings noch recht duster und diffus war. Immerhin konnten die Bürger nun schon eher mal einen abendlichen Spaziergang durch die Gassen wagen, deren Dunkelheit einst Angst hervorgebracht und lichtscheues Gesindel angezogen hatte. Und doch gab es auch Schattenseiten: Der Chronik ist zu entnehmen, dass es zu Streitigkeiten zwischen Hauseigentümern und Laternenwächtern kam, weil die Leitern, die zum Anzünden nötig waren, schlecht verwahrt und von Dieben zum Einsteigen in die Häuser genutzt wurden. 1799 beschwerten sich Bürger, dass die Beleuchtung unzureichend sei, ausgenommen jene Gassen, "wo ein hoher Adel wohnt".

Besser wurde es erst, nachdem die Stadt das Beleuchtungsamt übernommen hatte. Anfang der 1830er-Jahre stieg die Zahl der Unschlitt-Laternen auf 1211, für welche die Beleuchtungssteuer abermals erhöht wurde. Städte wie London und Berlin hatten da schon die viel helleren Gaslichter eingeführt, München war zu dieser Zeit - nicht nur in puncto Beleuchtung - hinterm Mond. Die lichttechnische Rückständigkeit zu beseitigen, fiel der Stadt allerdings nicht leicht. So blieb es bis zur Mitte des Jahrhunderts, ehe man mit dem Bau eines Gaswerks an der Thalkirchner Straße den entscheidenden Schritt vorankam. In folgenden Jahrzehnten erhellten Gaslichter - man begann mit 1148 Straßenlaternen - die Münchner Nacht.

Kurz vor der Jahrhundertwende setzte sich die Stadt sogar an die Spitze der technischen Entwicklung: Nun nutzte man den elektrischen Strom als Energiequelle, den die mit Wasserkraft betriebenen Turbinen des Kraftwerks an der Westenriederstraße - der Geschichtslehrer Alexander Rotter hat kürzlich die Überreste des Westenriederwerks im Keller der Riemerschmid-Wirtschaftsschule entdeckt und ein Buch darüber geschrieben - sowie das größere Muffatwerk lieferten. Die beiden Anlagen wurden gekoppelt, vom 27. November 1893 an lieferten sie die Elektroenergie für die brandneuen Bogenlampen in der Innenstadt. Zwei Jahre später kam noch das Maxwerk in den Maximiliansanlagen hinzu. Und siehe da: Die Fachpresse feierte München als die Stadt mit der "bei weiten größten elektrischen Straßenbeleuchtung des Continents". Das elektrische Licht, das die effiziente Illumination des öffentlichen Raums und privater Wohnungen ermöglichte - ein Prozess, der sich über Jahrzehnte hinzog - hatte nichts weniger als eine kulturgeschichtliche Revolution zur Folge.

Die Grenze zwischen Tag und Nacht, die das menschliche Leben seit dem Auftauchen der ersten Vor- und Frühmenschen geprägt hatte, verlor an Bedeutung. Das Licht machte die Nacht zum Tage, was Unternehmern und Fabrikanten die Möglichkeit eröffnete, zum Leidwesen ihrer Arbeiter auch nachts zu produzieren. Aber auch das urbane Nachtleben konnte sich jetzt richtig entfalten - selbst in München. Das mondäne Café Luitpold oder das Hotel Bayerischer Hof beleuchteten ihre Räume noch vor der Jahrhundertwende mit elektrischem Licht, dessen Stromquelle dezentrale Blockstationen waren. Auch das Residenz- und das Nationaltheater verfügten bereits in den 1880er-Jahren über eine elektrische Beleuchtung.

Gleichwohl ging es im nächtlichen München der Belle Époque keineswegs so ausgelassen und frivol zu wie etwa in Paris, dessen Salons und Amüsierstätten ganz andere Dimensionen hatten. Die elegante Welt der französischen Aristokratie und des Großbürgertums, wie sie beispielsweise in Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" verewigt ist, war in München allenfalls in einer provinziellen Miniatur-Erscheinungsform vorhanden, der man in den Romanen Annette Kolbs nachspüren kann. Zu einem delikaten Nachtleben à la française konnte sich die morbide Münchner ebenso wenig aufschwingen wie das doch recht bodenständige Bürgertum.

Nationaltheater in München, 1911

Beleuchtung vor der Oper zum 90. Geburtstag des Prinzregenten Luitpold 1911.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Schwabinger Boheme, klar, die ließ es krachen, doch die Künstlerinnen und Künstler samt ihrer Entourage waren ein exklusiver Kreis, dessen Wirken sich weitgehend auf Schwabing und die Maxvorstadt beschränkte. Künstlerkneipen wie das Café Stefanie oder Kati Kobus' Simplicissimus, mitunter auch Privatwohnungen und Ateliers waren ihre Amüsierstätten, und ob immer so ausschweifend lasziv gefeiert wurde, wie man es etwa bei Oskar Maria Graf nachlesen kann, mag man glauben oder nicht. Für die Simplicissimus-Redakteure Peter Scher und Hermann Sinsheimer war ein "Schwabinger Bacchanal" nicht viel mehr als "ein durch Harmlosigkeit entwaffnender Versuch, sündhaften Überschwang vorzutäuschen".

Glaubt man aber dem wunderbaren Erich Mühsam, dem "Prototyp eines Caféhausliteraten" (so bezeichnete er sich selbst), dann konnte eine bis zum Morgengrauen durchfeierte Schwabinger Nacht ziemlich aufregend sein, insbesondere in Gesellschaft mit der Diseuse Emmy Hennings, der Wachspuppenkünstlerin Lotte Pritzel und Uli Trolsch, auf die Mühsam ein Auge geworfen hatte: "Lotte und Emmy küssten sich maßlos. Dadurch wurde eine angenehme erotische Atmosphäre geschaffen. Dann wurde Uli lebhaft und tanzte zum Wahnsinnigwerden schön. Wenn ich Uli so sehe, dann vergesse ich alles in der Welt und vergehe vor Liebe zu ihr."

Die eigentliche Massenunterhaltung der Münchner in der Prinzregentenzeit lieferten die Volkssänger, jene meist derbwitzigen Alleinunterhalter und Ensembles, die einen ganzen Abend mit Couplets, humoristischen Einlagen, Vorträgen, Einaktern, Possen, Akrobatik, Zauberei und Tanz bestritten. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren in München 800 Volkssänger amtlich registriert, die in Wirtshäusern, aber auch in großen Spielstätten wie dem Apollotheater oder dem Hotel Oberpollinger in der Neuhauser Straße auftraten. In seinem Schlüsselroman "Erfolg", der in den Zwanzigerjahren spielt, beschreibt Lion Feuchtwanger die Atmosphäre einer Volkssängerveranstaltung: "Die Zuhörer waren zumeist Kleinbürger, Leute aus dem Mittelstand, Dreiviertel-Liter-Rentner, Drei-Quartel-Privatiers wurden sie genannt, weil ihr Vermögen zu einem ganzen Liter Bier nicht reichte. Sie saßen in dem harten Licht des nüchternen, mit patriotischen und mythologischen Fresken geschmückten Saales, rauchten Zigarren oder Pfeife, hörten in den Pausen einem großen Blasorchester zu. Während der Vorträge aßen sie."

Diese Biederkeit stand im herben Kontrast zum wilden und glamourösen Treiben im Berlin der Zwanzigerjahre. Das nachrevolutionäre München war Hauptstadt der "Ordnungszelle Bayern", wie sie der Ministerpräsident Gustav von Kahr und seine reaktionären Verbündeten anstrebten, in deren Augen Berlin ein einziger Sündenpfuhl war. Mondäne Vergnügungstempel und Avantgarde-Theater wie an der Spree suchte man in München vergebens, allenfalls Faschingsbälle und die späten Stunden des Oktoberfests konnten passionierten Nachtschwärmer noch etwas bieten. Auch damit war es vorbei, als die deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg verdunkelt werden mussten, um Fliegerangriffe zu erschweren. Es herrschte wieder Finsternis, fast wie im Mittelalter.

Nach dem Krieg waren es zunächst die US-Soldaten, die wieder Schwung ins Münchner Nachtleben brachten. Mit ihnen kamen der Jazz und später der Rock'n'Roll nach München - Musik, die der Nacht einen neuen Sound verlieh. Die weißen GI's hatten ihr Revier in der Goethestraße, in der Havana und der Rumba Bar. Die Schwarzen feierten im Birdland in der Kirchenstraße oder im Tabarin in der Thierschstraße. Anfang der Fünfzigerjahre schnürten auch die ersten Profiteure des beginnenden Wirtschaftswunders durch die neuen Amüsierstätten der Münchner Nacht. Die einschlägigen Etablissements hießen Bongo Bar, Lola Montez oder Petit Tabaris. Stripperinnen und sogenannte Schönheitstänzerinnen versetzten die Herren in eine Stimmung, die im erfreulichen Kontrast zum Grau-in-Grau der Aufbaujahre stand und mit der Hoffnung auf das verbunden war, was Kurfürst Karl Albrecht als "viel Sünd und Laster" gebrandmarkt hatte. Nach den Schrecken der Nazi-Herrschaft und des Krieges wollten sich die Menschen wieder amüsieren - und das ging am besten in der Nacht, die oft gnädig verhüllt, was nicht an den Tag kommen soll.

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